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Kolumne Flimmern und RauschenNotfalls Grenzen überschreiten

Steffen Grimberg
Kolumne
von Steffen Grimberg

Es ist gut und richtig, wenn Journalisten begründet gegen Einschränkungen der Pressefreiheit verstoßen. In Australien drohen ihnen dafür Strafen.

Weil Journalisten über den Fall George Pell berichteten, drohen ihnen jetzt Gefängnisstrafen Foto: ap

I n Australien müssen sich demnächst 36 Medienorganisationen und JournalistInnen vor Gericht verantworten, weil sie bei der Berichterstattung über den Prozess gegen den katholischen Kardinal George Pell gegen Nachrichtensperren und andere Auflagen verstoßen haben sollen.

Was sich ein bisschen nach einer weiteren Staffel von „Secret City“, der Netflix-Serie über die Enthüllungsjournalistin Harriet Dunkley anhört, die bei ihren Recherchen über die Machenschaften von Geheimdiensten in Konflikte gerät, ist allerdings ein bisschen komplizierter.

Pell, seit 2003 Kardinal und zuvor Erzbischof von Melbourne und Sydney, wurde im Dezember 2018 wegen sexuellen Missbrauchs von zwei Jungen in den 1990er Jahren schuldig gesprochen und im Februar 2019 zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der oberste Richter des australischen Bundesstaats Victoria hatte im Sommer 2018 für ganz Australien geltende „Suppression Orders“ erlassen, die eine Berichterstattung untersagten.

Hintergrund war ein zweites Verfahren, das gegen Pell angestrengt wurde und bei dem das Gericht eine Beeinflussung von Zeugen und Geschworenen durch Berichterstattung über Verlauf und Urteil im ersten Verfahren befürchtete. Dieses zweite Verfahren wurde mittlerweile eingestellt.

Öffentliches Informationsinteresse

Um es klar zu sagen: Hier geht es also nicht wie 2014 um Vertuschungen im Politbereich, als eine entsprechende „Suppression Order“ die Berichterstattung über Korruptionsvorwürfe gegen australische PolitikerInnen – angeblich aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ – unmöglich machen sollte. Damals hatte Wikileaks den Fall – der auch „Secret City“ inspiriert hat – aufgedeckt. Es geht auch nicht um aus Großbritannien bekannte „Super Injunctions“, von denen der Guardian ein Lied singen kann und die sogar die Berichterstattung darüber verbieten, dass nicht berichtet werden darf.

Trotzdem bleibt immer eine Einschränkung der Pressefreiheit. Es ist gut und richtig, wenn Medien begründet dagegen verstoßen. Denn für sie gilt als Gegenargument immer das öffentliche Informationsinteresse. Und es gehört zu einer freien und demokratischen Presse dazu, bei der Verteidigung von Freiheit und Demokratie auch Risiken einzugehen und notfalls Grenzen zu überschreiten. Im Rechtsstaat klärt dann der Rechtsweg, was höher wiegt: das Persönlichkeitsrecht – oder wie hier das Interesse an einem fairen Gerichtsverfahren – oder eben die Informations- und Pressefreiheit.

Steffen Grimberg

Medien­profi, bringt regelmäßig Unordnung in die aufgeräumte Medienwelt.

Womit wir von Australien in Berlin angekommen wären: Dass der Senat weiter gerichtlich verhindern will, dass der Tagesspiegel in Sachen Stasi-Gedenkstätte Auskunft bekommt, ist absurd. Bleibt zu hoffen, dass das jetzt zuständige Oberverwaltungsgericht dem Senat das möglichst bald mitteilt.

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
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1 Kommentar

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  • Zitat (aus dem Text, der im letzten Absatz verlinkt ist): „Sollte die Sichtweise der Senatsverwaltung dort bestätigt werden, bliebe dem Tagesspiegel nur noch der Gang zum Bundesverfassungsgericht.“

    Ach ja? Bleibt dem Tagesspiegel denn nicht auch der Gang zu jenen betroffenen Frauen, die Knabe angezählt haben? Wenn nicht, wieso nicht?

    Anders als die minderjährigen Opfer George Pells sind Knabes (vermutete) Opfer erwachsen. Können sie also nicht für sich selbst sprechen? Wieso müssen sie sich von der Senatsverwaltung „beschützen“ lassen, womöglich wieder gegen ihren Willen? Weil sie zuvor nicht gut genug beschützt wurden und der Senat sich nun rehabilitieren möchte? Oder weil er womöglich auch etwas zu verbergen hat?

    Was würde passieren, wenn die Betroffenen den Mund aufmachen? Würden sie dann die endgültige Kündigung riskieren? Wenn ja – welche Rechtsgüter würden dann abgewogen? Was wiegt schwerer als das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, die (womöglich) Opfer von Straftaten geworden sind? Das Sicherheitsbedürfnis ihrer Vorgesetzten? Oder die Staatsräson, die wanken könnte, wenn der Deal ‚Unterwerfung gegen Schutz‘ nicht ganz funktioniert hätte im Auge interessierter Tagesspielgel-Leser*innen?

    Mehr Fragen als Antworten also. Mal wieder. So viel zur These, Opfer könnten hierzulande heutzutage schon Profit schlagen aus ihrer Situation. Für Leute ohne Vorgesetzte mag das stimmen. Die tragen das Risiko selbst, können also auch Chancen allein nutzen. Für Senatsmitarbeiter*innen gilt es aber definitiv nicht. Wären die frei genug gewesen, gar nicht erst Opfer zu werden, müssten sie sich jetzt nicht noch einmal öffentlich erniedrigen lassen.

    Und was George Pell anbelangt: Der Erzbischof und Kardinal wird – wie Knabe – ein Gespür dafür gehabt haben, an wem er sich straflos vergreifen kann – und an wem nicht. Man nennt dieses Gespür Führungsstärke, glaube ich, und schreibt es auch sogenannten Pickup artists zu. Mit Moral ist es nicht einmal weitläufig verwandt.