Kolumne Fernsehen: Totengräber Jörg Pilawa
Die Selbstvergreisung beim ZDF geht weiter. Deprimierende Kärtchen-Ableser füllen das Abendprogramm. Sucht das ZDF etwa einen neuen Totengräber?
L etzten Samstagabend hatte ich nichts Besseres vor, als fernzusehen. Im Ersten lief "Frag doch mal die Maus" mit Eckart von Hirschhausen, worauf das ZDF nur "Rette die Million!" zu erwidern wusste. "Die Promis retten eine Million - und er rettet Ihren Samstagabend: Jörg Pilawa", tönte eine Stimme aus dem Off. Ich wollte aber nicht, dass Jörg Pilawa meinen Samstagabend rettet - das kann nur schiefgehen. Also schnell weiter: Doch weder bei "Deutschland sucht den Superstar" (RTL) noch bei "Speed Racer" (ProSieben) oder der Wiederholung eines NDR- "Tatorts" von 1989 blieb ich hängen. Ich hatte dann schnell was Besseres vor.
Sogar das "heute-journal" begann wegen der vorproduzierten, faden Quizkonserve eine Stunde später als sonst - und ich bin mir fast sicher, dass das Claus Kleber oder wer auch immer am Samstag moderiert hat - mindestens ebenso sehr geärgert hat wie mich. Schließlich kam der- oder diejenige am Samstag auch eine Stunde später nach Hause aufs Sofa. Wegen Pilawa. Traurig. Wegen "Wetten, dass ..?"? Immer gern. Aber wegen Pilawa?! Hoffen wir, dass das nicht bald schon identisch ist. Allein die Vorstellung, wie Jörg Pilawa aus der Kulisse auf eine fußballplatzgroße Bühne tritt und sie nicht auszufüllen vermag wie Thomas Gottschalk, deprimiert mich. Das hat die Samstagabendunterhaltung, einst Stolz des deutschen Fernsehens, nicht verdient.
Denn natürlich war die Formulierung "rettet Ihren Samstagabend" eine Anspielung auf die Nachfolge Gottschalks bei "Wetten, dass ..?": Jörg Pilawa gilt da ja als Favorit - warum auch immer?! Wobei, ich weiß, warum. Weil sie keinen Besseren haben beim ZDF. Oder sie haben ihn bislang gut vor der Öffentlichkeit versteckt (was einigermaßen widersinnig wäre).
Erspart bleiben wird uns immerhin die Rückkehr Wolfgang Lipperts: Nicht, dass es irgendwelche Anzeichen dafür gegeben hätte, aber das Klatschportal tikonline.de hat trotzdem noch mal nachgefragt - und bekam die beruhigende Antwort: "Nein, nein! Ich bin stolz darauf, dass ich einer der drei Herren bin, die das mal machen durften. Meine Zeit waren zwei Jahre. Und ich bin auch stolz darauf, dass ich die Quoten gehalten habe, das wird manchmal nicht so ganz richtig erzählt. Es war eine schöne Zeit." Für ihn auf jeden Fall.
Das deutsche Fernsehen ist voll von Leuten, die Texte von Kärtchen ablesen können, und trotzdem fällt mir außer Hape Kerkeling kein würdiger Gottschalk-Nachfolger ein - vorausgesetzt natürlich, man sucht beim ZDF nicht insgeheim einen Totengräber. In diesem Fall würde ich dann auch den Namen Wolfgang Lippert wieder ins Spiel bringen.
Weil es sonst keiner macht, möchte ich diese Kolumne ausnahmsweise mal mit einem politischen Appell beschließen: Liebe ZDF-Hierarchen! Erwachet! Richtet ein Thomas-Gottschalk-Stipendium ein! Der beste Lehrer auf dem Markt hat bald wieder Termine frei! Stoppt die Selbstvergreisung! Investiert in eure Zukunft! Wäre auch Loriot nach seiner aktiven Zeit in die Nachwuchsförderung gegangen, würden heute womöglich gute Komiker das Berliner Olympiastadion füllen.
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