Kolumne Eier: Mittelmäßig ist auch O.K.
Er war oral besser, ihr schläft beim Vögeln nie der Arm ein. Wie kriegen wir es hin, dass Sex kein göttinverdammter Wettbewerb sein muss?
D ass er sich unterlegen fühlt, gesteht mein Gesprächspartner. Unterlegen, weil seine Freundin mehr Erfahrung hat als er, sexuell. Dass es ihn verunsichert, sagt er. Dass er es deswegen nicht mag, wenn sie über ihre Exfreunde spricht. Ich bin ein bisschen überrascht von diesem Geständnis. All die Jahre in der queeren Szene, all die Semester Gender Studies – und nach wie vor unterhalte ich mich so gut wie nie mit anderen Männern über das Gefühl sexueller Unzulänglichkeit.
In meiner letzten Kolumne habe ich über die grauenvollen Jahre meiner schändlichen Jungfräulichkeit geschrieben. Von dem Moment, als ich mir sicher war, dass alle anderen schon mal hatten, nur ich noch nicht. Ich hoffe, dass der eine oder andere sich wiedererkannt hat. Nun sind wir etwas älter und hatten vielleicht inzwischen unser erstes Mal. Mit etwas Glück war es ganz nett, mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht. In jedem Fall ist die Jungfräulichkeit passé. Aber es gibt ein neues Problem: den Vergleich. Weiß ich alles, kann ich genug? Bin ich agil, souverän, überraschend? Kurz: Bin ich besser als all die anderen, die er*sie schon mal hatte?
Im Zeitalter der seriellen Monogamie gibt es immer die ehemaligen und zukünftigen Partner*innen, die Sex-Geister, die mit im Bett liegen. Die besseren Oralsex machen, die bei 69 keine Koordinationsschwierigkeiten kriegen und denen garantiert nie beim Vögeln der Arm einschläft.
Für Heteromänner war das mal alles ganz leicht. Die Partnerin hatte jungfräulich zu sein. Und auch als man anfing, es mit dem intakten Hymen nicht mehr so genau zu nehmen, musste sich immer noch die Frau schämen, wenn sie sexuell erfahren war, nicht der Mann. Das haben Carrie und Samantha Anfang des Jahrtausends geändert. Und die Scham ist plötzlich bei den Männern hängen geblieben. Die wiederum reden natürlich nicht darüber und lassen die Scham tun, was sie am liebsten tut: von innen nagen.
Übrigens ist es für schwule Männer auch nicht viel leichter. Die Perfektion, an der man sich in der schwulen Welt messen zu müssen glaubt, ist überwältigend. Sollten Sie einen schwulen Pornofilm finden, in dem ein tapsiger Typ mit durchschnittlichem Penis nicht so richtig weiß, wohin mit seinen Füßen, dann lassen Sie es mich bitte wissen.
Es muss natürlich nicht sein, dass es allen so geht wie mir und meinem Gesprächspartner. Vielleicht kennt nicht jeder Mann das Gefühl, sich beim Sex vergleichen zu müssen. Sie zum Beispiel? Warum lesen Sie das hier denn immer noch? Gehen Sie in Frieden. Ich will Ihnen nichts einreden.
Für alle anderen: Wie kriegen wir das hin, dass Sex kein göttinverdammter Wettbewerb sein muss? 15.000 Paare in Paris haben in diesem Moment gerade keinen Orgasmus, obwohl sie es drauf anlegen. Können wir uns mittelmäßigen Sex auch mal verzeihen? Sind wir dafür Mann genug?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“