Kolumne Die eine Frage: Der hässlichste Anzug aller Zeiten
Schlecht gekleidet besucht Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer San Francisco. Seine Strategie der ästhetisch-kulturellen Irritation geht auf.
A n einem schönen Septembertag steht ein Mann in sehr, sehr blauem Anzug in der Public Utilities Commission des Staates Kalifornien in der Innenstadt von San Francisco. Ich muss mich über die ästhetischen Qualitäten seiner Kleidung gar nicht weiter äußern, denn das macht der Oberbürgermeister von Tübingen in diesem Moment gleich selbst.
„Some say, it is the ugliest suit they ever saw“, sagt Boris Palmer. Manche hielten seinen Blaumann für den hässlichsten Anzug aller Zeiten.
„That’s true“, brummt in der ersten Sitzreihe der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller. Das spielt Palmer in seine Karten, denn die Geschichte steuert ja auf eine Moral zu. Gerade habe eine Kalifornierin zu ihm gesagt: „Oh, ich habe Sie vor sechs Jahren in Oakland gesehen. Da trugen Sie denselben blauen Anzug.“ Tatsächlich ist es nur der gleiche, aber es bestätigt seine Strategie, dass postfossile Politik Wiedererkennungsmerkmale und Symbole brauche und der Anzug offenbar eines sei, das funktioniere.
Jedenfalls sind wir hier beim Weltklimagipfel der Regionen und Städte in der nordkalifornischen Metropole. Es geht darum, die Botschaft auszusenden, dass das Pariser Klimaabkommen trotz Präsident Trumps Kündigung immer noch gilt und es auch in den USA unterhalb der nationalen Ebene voran geht.
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Dafür treten die globalen Big Shots aus Politik und Kultur in San Francisco auf, also Al Gore, Robert Redford, Harrison Ford und Winfried Kretschmann. Dazu Rockstar Dave Matthews, Mae Jemison, die erste schwarze Frau im All, Schimpansen-Forscherin Jane Goodall, Bill de Blasio, der Bürgermeister von New York City, Eric Garcetti, der Bürgermeister von Los Angeles. Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris.
Es versteht sich, dass der Oberbürgermeister von Tübingen da nicht fehlen kann. Palmer ist einer der wenigen Grünen, die sozialökologische Politik wirklich machen und nicht nur Moral ausstoßen. Gerade habe Tübingen die 30-Prozent-Marke bei der Reduktion von CO2 überschritten, erzählt er. 5,9 Tonnen CO2 pro Tübinger. Viel zu viel, aber viel weniger als die meisten anderen im Westen.
Was bringt so eine Yes, we can-Show, in der alle fünf Minuten jemand anders auf die Bühne hüpft und erzählt, was er zu Hause alles Tolles macht und dass man nach Trumps Abschied von der Idee einer gemeinsamen Welt seine Anstrengungen nochmal erhöht habe?
Es wird viel Schmu erzählt
Messbar ist das nicht. Die Welt sei auch nicht so, wie man sie in San Francisco erlebt habe, sagt der deutsche Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth. Die Erhitzung beträgt bereits 1,2 Grad – ein Viertel davon in den letzten fünf Jahren. Und die Intensivierung der Anstrengungen fällt häufig zusammen mit hohem Lebensniveau. Wenn in der Silicon-Valley-Metropole Palo Alto 22 Prozent der Neuzulassungen Elektroautos sind, heißt das auch, dass es dort keine Armen gibt.
Aber bei allem Schmu, der auch erzählt wird: Es geht eben nicht darum, dass nur die 100-Prozent-Guten mitmachen, denn die gibt es nicht. Es geht darum, dass eine große, globale, diverse Allianz aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft sagt: Wir werden richtig was für die Zukunft einer gemeinsamen Welt tun. Pars pro toto steht die Verpflichtung von Gouverneur Jerry Brown, Kalifornien bis 2045 komplett emissionsfrei zu machen.
Als Palmer den Saal verlässt, raunt der frühere baden-württembergische Finanzminister Willi Stächele: „Drollig, mit dem blauen Anzügle.“ Man könnte sagen, dass Boris Palmers Strategie der ästhetisch-kulturellen Irritation aufgeht. Jedenfalls wird sein Anliegen damit auf keinen Fall übersehen. Und er auch nicht.
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