piwik no script img

Kolumne Die eine FrageWen kann ICH noch wählen?

Kolumne
von Peter Unfried

Die einen tendieren zu „Frau Merkel“, die zweiten zu Lindner von der FDP und die dritten zu sich selbst. Eine aktuelle Wähleranalyse.

Der angenehm abgekämpft aussehende Linder wird von denen gewählt, die für sich selbst kämpfen Foto: dpa

M ein absoluter Lieblingssatz dieser Tage lautet: „Also, ICH weiß gar nicht, wen ICH noch wählen kann!“ Okay, wir sind inmitten eines weiteren Bundestagswahlkampfes, in dem nicht über die zukunftsentscheidenden Dinge gesprochen wird.

Das ist ein Problem. Aber hinter dieser im Empörungsmodus vorgetragenen Klage steht zu oft undemokratische Selbstverliebtheit. Das Gefühl, dass die zur Wahl stehenden demokratischen Parteien den eigenen Ansprüchen an Solidarität und Nonkonformismus, an universalistische Moral und Haltungsästhetik, nicht annähernd genügen. Auch oder gerade jene Partei nicht mehr, die man sonst immer wählte.

Ich frage dann gern: Welche drei realistischen politischen Projekte sind denn für Sie zentral? Dann ist Schweigen im Walde.

Die zweite emotionale Dynamik in den Milieus, die mir zugänglich sind, konzentriert sich in der Frage: Soll ich Frau Merkel wählen? (Man sagt ja jetzt „Frau Merkel“.) Das sind Leute, die Frau Merkels Politikmix aus Sozialdemokratie, identitätspolitischer Liberalität und sozialökologischer Apathie als verlässlichen Umgang mit einer Welt schätzen gelernt haben, in der es – laut Peter Sloterdijk – fast nur darum geht, unter verschiedenen Übeln das für den Moment kleinste zu finden. Dennoch sind diese Menschen hin- und her gerissen, weil sie mit der Union kulturell nichts zu tun haben wollen und Frau Merkel wählen nicht dem idealistischen Bild entspricht, das sie von sich selbst entworfen haben. Ihnen zittert jetzt schon die Hand beim Gedanken an die Wahlkabine.

Bewegung weg von den Grünen

Auch die dritte neue Bewegung führt von den Grünen weg. Hier lautet die Frage: Wen wähle ich, wenn ich mich jung, digital, nonkonformistisch und ,ähem, leistungsbereit fühle, ohne Festanstellung, und das vielleicht sogar absichtlich? Die wahrscheinlichste Antwort: Lindner. Es ist noch offen, wie es sich wirklich mit dem Politikangebot der FDP verhält für diese Jungen, die eben keine „Klasse“ sind, sondern Einzelkämpfer auf der Suche nach politischer Repräsentation. Aber es sieht aus, als seien nicht mehr die Grünen, sondern als sei im Moment der FDP-Spitzenkandidat die Identitätsprojektion.

Das darf aber nicht sein?

Tja. Dagegen hilft jedenfalls kein Skandalisierungsversuch von Lindners Ukraine-Position. Diese Individualisten wollen nicht Teil eines Kollektivs sein, das sich über permanente Gesinnungschecks und Empörungsrituale selbst die Pfoten abschleckt. Sie wollen auch nicht den „Mehr Gerechtigkeit für alle“-Chören von Gotthilf Schulz beitreten. Sie wollen akzeptiert sein und politisch unterstützt werden in dem, was sie sind und machen – nämlich ihr Ding. Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsident Robert Habeck hat so im Spiegel den Erfolg von Emmanuel Macron entschlüsselt, der im halblinks-halbrechts-Denkstandard nicht zu begreifen ist. Für Habeck besteht der Sprung darin, eine politische Form und Sprache gefunden zu haben, die „das Subjektive, das Nicht-Gleiche aufgenommen und formuliert“ habe. So hat Macron – wie zuvor Winfried Kretschmann – eine neue Mehrheit der Nicht-Gleichen zusammengebracht. Dadurch ist man – theoretisch – an dem Punkt, an dem man endlich nicht mehr sagen muss, wer und wie man nicht ist. Sondern klären kann, was man zusammen erreichen will.

Während SPD und Grüne ihre Spitzenkandidaten klein halten, hat Angela Merkel es geschafft, weit über die traditionelle Verortung einer Partei hinauszuweisen. Das ist, bei allen internen Problemen, das Erfolgsprinzip und die Zukunft. Wer das versteht und dann auch noch sprechen kann, der wird eine neue Mehrheit gewinnen. Womöglich sogar für sozialökologische Politik. Allerdings bis auf weiteres nicht innerhalb der Grünen Partei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Nein, Herr Unfried.

    Wie's in den Wald reinschallt, so schallt es halt auch raus.

    Mit diesen Thesen kann ich nichts anfangen. Und das in der TAZ !

    Sie schreiben über den Existenzialisten Jean-Paul Sartre und mahnen Kultur an. Was ist Kultur und dann folgt wohl die Kultur des Umgangs miteinander.

    Vielleicht sollte ich - ICH fühle mich angesprochen in Ihrem Artikel - ein Stückchen Schokolade in den Wahlumschlag legen mit der Anmerkung "Ihr seid nichts und Ihr werdet nichts, und Euch zu wählen ist mir ein Greuel".

    Und wenn ich demnächst eine Loblied zu Ludwig Ehrhard lese, krieg ich die mittlere Krise !!!

  • Ist doch Mal interessant welche Millieus dem Herrn Unfried nach eigener Aussage zugänglich sind. Menschen die die Linke wählen scheinen nicht dazu zu gehören.Sie wollen ja auch nicht den "Gerechtigkeit für alle Chören des Gotthilf Schulz" angehören. Es gab Mal Zeiten in denen sich die TAZ als linke Zeitung verstanden hat. Ist schon lange her.... Lindner und Merkel Fans wird es freuen.

  • Ok. Denn mal so - kerr!

     

    "Ich bin nicht bereit, die steigende Ungleichheit als unvermeidlich hinzunehmen: Sie ist das Ergebnis von Kräften, die wir beeinflussen können.

    Anthony Atkinson, Ökonom, im Interview mit der Südd. Zeitung am 28./29.8.2016, S. 28

     

    kurz - Erst kommt das Fressen &

    Dann die Moral!

    © bekannt - I hope.

  • Ich frage dann gern: Welche drei realistischen politischen Projekte sind denn für Sie zentral?

     

    1. Gesundes Essen und sauberes Trinkwasser

    2. Klimawandel einbremsen damit mein Keller nicht jedes Jahr durch Starkregen vollläuft.

    3. Kitaplätze und ausreichend Betreuungsangebote für Kleinkinder

     

    Bleibt nur Grün. Ich wüsste im Übrigen sowieso nicht, was man, wenn man Vernunft walten lässt, außer den Grünen noch wählen könnte.

     

    Und zur FDP: Da las ich heute auf einem Wahlplakat "Wirtschaftspolitik wieder verfügbar". Im Ernst jetzt? Die Grünen braucht man nicht mehr, aber wirtschaftsfreundliche Politik daran soll es aktuell fehlen?

     

    In welchem Land leben Sie Herr Unfried?

    • @Grisch:

      "Hütet Euch vor Liberalen,

      wie sie reden,

      wie sie prahlen,

      häng'n ihr Fähnlein in den Wind".

      Unbekannter Dichter, 1848

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @Grisch:

      Grüne und Vernunft? Ratio? Nicht doch! Grüne und Gefühle, das schon eher.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...wie gesagt, Merkel und Lindner werden's machen und nur weil Schulz und die SPD nichts auf die Reihe kriegen.

  • Was mich viel mehr nervt als "Ich weiß nicht was ich noch wählen soll!" ist das "Die Parteien sind doch alle gleich!" Gefasel! Das ist eben nicht wirklich wahr. Zu dieser Idee kommen Menschen, weil sie sich selber so weit von der Mitte der Gesellschaft entfernt haben, dass der Weg zur SPD kaum mehr kürzer ist als der zur AfD.

     

    Bedauerlich finde ich das es für Individualisten keine andere Partei gibt als die FDP. Insbesondere, dass es keine solche linke Partei gibt. Diejenigen die auf der Linken noch Bürgerrechtler sind glauben das jede Person nur die Summe ihrer Gruppenzugehörigkeiten ist. Das nervt massiv und ist das Gegenteil von liberal!

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Oh Mann, sind das Sätze und Unterstellungen in dem Artikel!

    Auf Nachfrage herrscht Schweigen im Walde, behaupten Sie. Das kann ich nicht glauben, sorry. Wem stellen Sie denn diese Frage?

    Selbstverliebtheit? Empörungsmodus? Das finde ich nicht bei denjenigen, die sich die o.g. Frage stellen.

    Absurder Artikel!

  • Es ist nicht undemokratisch wenn man keine Partei findet die für die breite Masse agiert.

     

    Ich sehe seit Jahren keinen Vorschritt in den zentralen Themen - nennen wir sie doch Steuern, soziale Gerechtigkeit, Renten und Gesundheitsystem und Bildung.

    Es gebe schlicht genug zu tun, aber keiner packt es an - allen voran die SPD nicht.

    Deshalb wählen die Leute die Merkel. Weil wenn sowieso alles beim alten bleibt kann man doch auch gleich bei der Merkel bleiben - da weiß man wenigstens wie es steht.

    Bei Rot/Grün kommen vielleicht noch Abenteuer wie Hartz 5, Riester 2.0, Bologna 2.0 oder eine weitere Senkung der Kapitalerwerbssteuer

  • Das Erfolgsgeheimnis von Merkel sind die Medien. Öff-rechtl, Springer, Burda und Bertelsmann sind quasi Hofberichterstatter und der Rest übt Randkritik.

    Stillstand wird als Erfolg präsentiert und allgemeine Floskel ersetze die politisch-mediale Streitkultur. Im Rückblick werden Merkel-Jahre verlorene Jahre sein.

     

    Das Erfolgsgeheimnis von Macron war die Fascho-Braut LePen (so die Medien). Und natürlich die 1,x%, die sie über die 2 nächstplazierten in der 2. runde wählbaren Kandidaten hatte. Gewählt zu werden in einem Frankreich des Jahres 2017 war noch das kleinste Problem. Wahrscheinlich hätte auch eine auf Hochglanz polierte Statue von de Gaulle gewonnen.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @agerwiese:

      Die Fascho Braut Le Pen und die Medien, die Macron zu Füssen lagen, liegen, weil deren Eigner Freunde oder Frendesfreunde unseres Jupiters sind.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @agerwiese:

      So wie Kohl-Jahre verlorene Jahre waren.

  • Nu. Eine eine Frage - gell!

    Mr. PU van Mondfahrt. Reicht!

     

    "Wie bitte - Hältses mit Hartz IV?"

    EndeGelände.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Ach Hartz4 ist doch out, damit kriegt man doch keinen mehr hinter dem Ofen vor. Und in Deutschland geht es den Menschen so gut wie nie zuvor. Die geschickte Taktik der Alternativlosigkeit ist es eben bestimmten Leuten wie z.B. den Hartz IV Menschen klar zu machen, dass es sich nicht lohnt zur Wahl zu gehen. Das hat wunderbar geklappt in Frankreich. Die anderen wählen dann sowieso eine marktwirtschaftskonforme automobilbranchenhörige Partei, trotz narzisstischer Bauchschmerzen, denn einer muss den Laden ja schmeissen.

      • @82236 (Profil gelöscht):

        Erfreulich bleibt -

         

        Daß Sie für diesen asozialo -

        Eierpfannkuchen der aller aller -

        Flächsten Sorte - Nicht so -

        Dess LangenBreiten&Flächsten -

        Ha noi. Rummähren - wie unser aller -

        Edelfeder de taz - Dero -

        Chefelches v.&zu Schwurbelflachstein!

        Danke. Einfach fein.