Kolumne Die eine Frage: Tischtennis statt Sex
Was braucht der Mensch außer Fernsehabenden mit der Partnerin und Pingpong mit Freunden? Eine Begegnung mit dem Autor Frank Schulz.
W as braucht der Mensch schon außer Glotze gucken, ’n bisschen bumsen, ’n bisschen Anerkennung? So fragte vor Jahren der zeitweilige Boxweltmeister Graciano Rocky Rocchigiani. Seit ich mit Frank Schulz über sein neues Buch gesprochen habe, weiß ich, dass das nicht stimmt. Statt Sex braucht es Tischtennis. Aber der Reihe nach.
Der Hamburger Schriftsteller Frank Schulz, Jahrgang 1957, gehört mit seinem Roman „Morbus Fonticuli“ in die bundesrepublikanische Kanon-Top-10 des 20. Jahrhunderts. Wer wissen will, wie man wurde, was man ist – aber sich schon auch dabei noch amüsieren –, der ist bei Schulz richtig. Nach Abschluss seiner Lebensarbeit, der sogenannten Hagener Trilogie, hat er sich der Figur Onno Viets zugewandt. Gerade ist der zweite Band erschienen („Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen“); in dieser Zeitung bereits groß gewürdigt.
Mir geht es um einen kleinen, gewöhnlich ausgeblendeten Aspekt unserer Gegenwart, nämlich um die Frage, was wirklich zählt in einem Leben. Onno Viets droht alles zu verlieren. Da er es nicht zu Sozialstatus und einer als respektabel geltenden Berufsbiografie gebracht hat, besteht dieses Alles im Kern aus regelmäßigem GFA mit Edda Viets, der Frau, die er seit seiner Jugend liebt – GFA bedeutet gemütlicher Fernsehabend. Und einmal die Woche Tischtennis mit seinen drei gleichaltrigen männlichen Freunden. Jetzt wird man als normal hochnäsiger Mensch zischen: Na, das war ja eh nicht viel. Da sage ich nur: Abwarten.
Ist der Kapitalismus schuld oder Gerhard Schröder, frage ich Schulz auf dem roten taz-Sofa bei der Leipziger Buchmesse. Denn Onno Viets’ Probleme beginnen, als Rot-Grün die Arbeits- und Sozialpolitik in Deutschland verändert, er mehr Geld braucht und in die harte Welt hinausmuss.
Na ja, sagt Schulz: „Man kann nicht einfach sagen, Schröder hat Hartz IV erfunden und deshalb geht Onno zum Teufel. Aber der Markt greift ins Privatleben über.“ Inwiefern? „Der friedliebendste Mensch der Welt wäre nie Privatdetektiv geworden, wenn er weiterhin ein halbwegs vernünftiges Auskommen gehabt hätte.“
Humor als Überlebensstrategie
Die Männer vom Islamischen Staat sind Bestien, oder? Unsere Autorin berichtet seit vier Jahren aus Syrien und sieht das anders. Warum, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. März 2015. Außerdem: Manche Impfgegner bezweifeln, dass es Masern überhaupt gibt. Wir haben einige der schärfsten Kritiker besucht. Und: Martin Walser wird 88 Jahre alt. Ein großer Romancier, bei uns mal ganz knapp und präzise im Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Viets hat null Erwerbs-, aber großes Zufriedenheitstalent, er braucht keinen Status und keinen Beruf, er hat Frau und Freunde. Am Ende des ersten Bandes erleidet er in Ausübung des für ihn unpassenden Jobs eine posttraumatische Belastungsstörung. Das verändert ihn und dadurch verändert sich die Beziehung seiner Frau zu ihm.
Und dann schickt ihn einer seiner Freunde auf das Kreuzfahrtschiff, und zwar der Ich-Erzähler, der ihn finanziell immer unterstützt hat, aber den eben auch Edda vor dreißig Jahren einmal kurz geküsst hat. Mehr will ich nicht verraten. Nur noch, dass ich mich sorge, dass unter der komischen Oberfläche auch Frank Schulz immer trauriger wird.
„Ja …“, sagt er ausweichend und fährt sich durch die Frisur. Der Sprachwitz der Onno-Bände sei jedenfalls „psychologisch gesehen die Abwehr dessen, was an Tragik im Schwange ist: Humor als Überlebensstrategie“. Der hochkomische Roman endet mit einem tieftraurigen Satz: „Keine unserer alltäglichen Niederlagen war je bedeutungsvoller als die gegen diesen unseren Sports- und Busenfreund Onno Viets.“
Soll heißen: Besser als GFA mit seiner Lebensliebe und Tischtennis mit drei Lebenskumpels wird es nicht. Kann es auch gar nicht werden. Wer das verliert, der ist wirklich verloren. Das ist die große Wahrheit des Frank Schulz. Und nun passen Sie bitte, bitte auf, dass Ihnen das schon klar wird, bevor es zu spät ist.
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