Kolumne Die Kriegsreporterin: Thilo Sarrazin, der Greyerzer der SPD
Wer war noch gleich Roger Schawinski? Warum kann die ARD nicht klarer sein? Und warum die „Bild“ auch heute noch ein reaktionäres Scheißblatt ist.
H allo, taz-Medienredaktion!
Das Aufregende am Medienbetrieb ist ja, dass hier Dinge passieren, die außerhalb keine Sau interessieren. Umso aufregender wird es, wenn von jemand, den nur wenige kennen und kaum einer erinnert, eine Biografie angekündigt wird, die da heißt: „Wer bin ich?“
Was auch insofern lustig ist, als dass jemand, der relativ irrelevant ist, durch den Titel zu verstehen gibt, die Antwort auf die Frage könne für irgendjemanden außer ihm interessant sein. Was wiederum wahnsinnig arrogant ist.
Zumal klar ist, der Mann, Roger Schawinski, hat nicht sein Gedächtnis verloren und hofft auf eine Antwort, sondern er weiß sehr gut, wer er ist. Roger Schawinski nämlich. Der war mal Chef von Sat.1 und hat in der Schweiz das Privatradio aufgebaut, wodurch ihn dort zugegebenermaßen fast jeder kennt. Was ja aber nicht schwierig ist in so einem winzigen Land, in dem man nicht möchte, das Leute kommen, die man nicht kennt.
Das ist aber alles völlig egal, ich wollte nur mal darauf hinweisen, wie dämlich es ist, wenn einer seine Autobiografie „Wer bin ich?“ nennt und nicht Robert Lemke heißt. Oder die Frage anschließt, wie viele er sei.
Das verfolgte Opfer
Damit wir in Deutschland nicht vergessen, wer Thilo Sarrazin ist – auch so eine Art Schweizer nämlich, wenn man an stinkenden Käse denkt –, hat er ein neues Buch geschrieben. Und damit die potenziellen Käufer das nicht vergessen, haben die Bild-Zeitung und Bild.de dieses Werk in den vergangenen Tagen mit täglicher Berichterstattung begleitet.
Sie haben keine Gelegenheit ausgelassen, durch Headlines wie „Wie die SPD mich loswerden wollte …“ – „Das falsche Spiel der ARD …“ und „Attacken auf meine Frau“ den Greyerzer der SPD als verfolgtes Opfer darzustellen. Das sei für euch erwähnt, ihr Arschgeigen, liebe Kollegen, die ihr nie verstehen wollt, warum die Bild-Zeitung auch heute noch ein reaktionäres Scheißblatt ist.
Mehr Klarheit würde ich mir auch von der ARD erhoffen. Dieser Tage läuft auf vielen ihrer Kanäle Karneval. Also, ich schalt so rum und da: Leute, die reden oder lustig sein wollen und sich dafür verkleidet haben. Und immer denke ich: Das muss aus den 60er Jahren sein. Oder den 70ern. Und dann sagen die ein Wort, das es damals gar nicht gab, „Merkel“ oder „geil“, und dann bin ich unsicher.
Jedes Jahr derselbe Stuss
Denn zunächst sieht das Dargebotene aus wie aus der Zeitmaschine gefallen und liegen geblieben. Ich komme mir vor meinem Fernseher vor wie bei Helmut Kohls Neujahrsansprachen, bei denen man auch nie wusste, ob die frisch sind oder aus einem der Vorjahre.
Liebe ARD, könntest du das nicht vielleicht kenntlich machen? Nicht, dass ich mir das in dem ein oder anderen Fall anschauen würde, aber das Gefühl, nicht zu wissen, ob du für mein vieles Geld was Neues machst oder meinst, das merkt eh keiner, weil es jedes Jahr derselbe Stuss ist, verunsichert mich. Ich hätte das gern klarer, bitte. Sonst trete ich einem dieser Zuschauervereine bei, die sich jetzt gerade gründen und den öffentlich-rechtlichen Sendern auf die Nerven gehen wollen.
Durch die Forderung nach Mitsprache und Transparenz. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige in euren Gremien schon erste hektische Flecken bekommen in Anbetracht von Bürgern, die meinen, wer Gebühren zahlt, hat auch ein Recht auf Mitsprache. Nein, als dicker Rundfunkfisch können einem solche Ideen nicht recht sein! Was, wenn da jeder käme? Am Ende gibt es keine Adelsporträts mehr im Dritten? Oder Thomas Roth wird als Eintänzer auf die „MS Deutschland“ verkauft? Voll der Vorahnung zurück nach Berlin!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken