Kolumne Die Kriegsreporterin: Altersarmut olé
Was tun Journalisten, die in Anbetracht lustiger Honorare nichts fürs Alter zurücklegen können? Dämm-Uli Wickert macht's vor.
H allo taz-Medienredaktion!
OH! MEIN! GOTT! Journalismus. Altersarmut. Erniedrigende Tätigkeiten. Ich kann es nicht leugnen, ich beginne mir Sorgen zu machen.
Zwar hatte ich gedacht, das Thema würde erst in ein paar Jahren relevant, dann aber das: Ulrich Wickert, der Ehemann von Gruner + Jahrs Vorstandsfrau Julia Jäkel, wackelt im ARD-Werbeblock durch Wald und Wiese und will was. Zunächst dachte ich, er hat wieder Kinder abzugeben, Ebola-Waisen, für die er Paten sucht, denn er spricht von „Kindern“ und „Zukunft“, aber dann fällt auch das Wort „Umwelt“. Und während sein Blick auf eine wahrscheinlich sehr, sehr glückliche Kleinfamilie in einem bescheidenen Einfamilienhaus fällt, geht es sehr viel um Verantwortung. Im Sinne von Erhalt und Natur. Denn Ulrich Wickert wirbt für daemmen-lohnt-sich.de Er möchte, dass wir Häuser dämmen.
Auf der Webseite – wohinter die Interessenvertreter von „Qualitätsgedämmt e. V.“ stehen – strahlt einem der Uli entgegen, und „bringt die nötige Sachlichkeit in die Diskussion um Wärmedämmung“. Sein Engagement liest sich so: „Herr Wickert, man kennt Sie als reflektierten Journalisten – welche Themen halten Sie aktuell für wichtig?“ Dämm-Uli nennt die Krise der Finanzmärkte und soziale Ungerechtigkeit, kommt dann aber zügig auf Erderwärmung und „verantwortungsvollen Umgang mit Energie“. In einem kleinen Film spricht der als „Journalist und Autor“ ausgewiesene Mann wunderbar natürlich über Kinder, Kindeskinder und das Dämmen.
Und da denke ich schon: Ist das nicht furchtbar? Jahrzehntelang im Dienst der ARD, Korrespondent, Moderator, Bestsellerautor und Ehemann der Margaret Thatcher des Verlagswesens und dann im Alter von 72 noch die Seele verkaufen? Seine Glaubwürdigkeit für ein paar Euro zum Teufel jagen? Hat denn die ARD keinen Härtefonds? Kann ihm denn die Julia nicht unter die Arme greifen? Haben die etwa Gütertrennung? Und überhaupt: Wer kümmert sich um die Kinder?!?
Kopf hoch, Corny kauen
Mich macht das alles sehr, sehr traurig. Zumal ja die Frage ist: „Was ist mit uns?“, wenn sich die, die viel verdienen, aber ihr Geld wohl durchgebracht haben, trotz lukrativer Eheschließung im Rentenalter im Seniorenjobsegment breitmachen? Was bleibt da für die, die Arbeit nach der Arbeit dringend brauchen werden? Wobei ich nicht diejenigen meine, die aktuell bei Thatcher & Jahr entlassen werden und sicherlich noch irgendwelche halbwegs okayen Abfindungen bekommen. Sondern die, die arbeiten und arbeiten und in Anbetracht der lustigen Honorare nichts zurücklegen können?
Wie man nicht nur Personal „in größerem Umfang“ abbaut, sondern auch den lästigen Betriebsrat schwächt, zeigt der Verlag M. DuMont Schauberg mit seiner Hamburger Morgenpost. Er plant, ganze Abteilungen in Hamburg zu schließen bzw. in den Billig-Osten zu verlagern. Schließt man eine gesamte Abteilung, kann man auch den ansonsten quasi unkündbaren Betriebsräten die Entlassungspapiere übergeben.
Das muss aber keinen Leser stören. Die bekommen nämlich heute von der Mopo einen Müsliriegel. 10 000 Corny-Riegel liegen bereit. Die sehen zwar aus, als wäre bei Familie Feuerstein die Dinkelpizza verkohlt, aber na gut. Das ist toller, als als Mitarbeiter nicht dabei sein zu dürfen, wenn im Grand Elysee-Hotel die 65-Jahr-Feier des Blattes begangen wird. Vielleicht hätte man die Riegel lieber den Angestellten geben sollen, damit die auch feiern können. Und ihren Biss trainieren. Und damit zurück nach Berlin!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen