Kolumne Die Couchreporter: Der dunkle Spiegel unserer Realität
Die App bestimmt das Leben. In der ersten Folge der neuen Staffel von „Black Mirror“ bewertet Lacie Pound Interaktionen mit Mitmenschen.
![Eine Frau in Bademantel und mit Handtuch auf dem Kopf schaut in den Spiegel und freut sich über ihre 4,2-Bewertung Eine Frau in Bademantel und mit Handtuch auf dem Kopf schaut in den Spiegel und freut sich über ihre 4,2-Bewertung](https://taz.de/picture/1615669/14/64b3b6981ac4e6cf1d5621deea99499a_edited_55489579_a2d4cdebbc.png)
W as, wenn wir uns alle nach jeder Begegnung per App bewerten würden und unsere Miete davon abhinge? Was, wenn Menschen, die in sozialen Medien Morddrohungen bekommen, dann wirklich auf brutale Art ermordet würden? Was, wenn Menschen von Hackern mit gestohlenen Sexfotos zum Morden gezwungen würden? Ist das schon Sciencefiction oder ist das einfach nur die Zeit, in der wir leben? Die dritte Staffel der Serie „Black Mirror“ entwirft eine Reihe von Dystopien, die manchmal von unserer Gegenwart kaum zu unterscheiden sind.
Der Titel „Black Mirror“ meint die zahlreichen spiegelnden Flächen, die uns im Alltag umgeben, die Bildschirme von Smartphone, Computer und Fernseher. In der Serie, die nun nicht mehr beim britischen Sender Channel 4, sondern auf Netflix läuft, haben diese dunklen Spiegel etwas Bedrohliches.
Jede Folge erzählt eine für sich stehende Geschichte in einer für sich stehenden Welt, aber in jeder Folge unterwerfen die „Mirrors“ die Menschen auf eine eigene Art. Oder besser: Die Menschen unterwerfen sich (mit) ihnen selbst und gegenseitig.
In der ersten Folge der dritten Staffel lebt Lacie Pound in einer Welt, in der alle Menschen sich gegenseitig ständig per App mit bis zu fünf Punkten bewerten. Die ersten Szenen, in denen Menschen mit ihren Handys herumstehen, in denen Pound ihren Kaffee abfotografiert und postet, obwohl er ihr nicht schmeckt, sind dem Zuschauer gar nicht so fremd.
Doch die Bewertungen sind Facebook, Linkedin und Schufa in einem. Sie bestimmen, welche Jobs und Wohnungen man bekommt und wo man erwünscht ist. Wer ein Rating von weniger als 2 hat, wird verachtet. Pound, mit einem respektablen Rating von 4,2, will gerne aufsteigen. Aber um einen Rabatt auf ihr Traumapartment zu bekommen, bräuchte sie ein Rating von 4,5. Und dafür geht sie viele fragwürdige Kompromisse ein.
Die Serie eignet sich nicht zum Binge Watching
„Black Mirror“ meint aber auch die dunkle Spiegelung unserer Realität. Das ist der Markenkern der Serie. Konsequent denkt sie die düsteren Seiten unserer technologischen Realität zu Ende. Die Folgen steigen meist unscheinbar ein und steigern sich.
Ein Weltenbummler muss schnell Geld verdienen und testet ein neues Horror-Computerspiel, das die eigenen Ängste virtuell wahr werden lässt. Ein Mädchen lädt ihrem Bruder aus Versehen einen Virus auf den Rechner. Wenig später filmen ihn Hacker beim Masturbieren und erpressen ihn mit dem Video.
Eine Journalistin wird auf Twitter bedroht, nachdem sie sich abfällig über Behinderte geäußert hat, und wird kurz darauf ermordet. Man ahnt immer schon früh: Die Geschichten enden nicht gut.
Deshalb ist es schwer, „Black Mirror“ internetgerecht in einem Rutsch anzuschauen. Die Folgen sind, in ihrer Spannung zwischen „das ist zu düster, um je wahr zu werden“ und „genau so ist doch die Welt“, extrem verunsichernd.
Zugleich sind die Drehbücher von Charlie Brooker nach den zwei ersten Staffeln vorhersehbar geworden: Die Fixierung auf Pädophilie und sinnlose Machtspiele, die düsteren Wendungen kurz vor Schluss und die ProtagonistInnen, die die bunte Matrix der farblosen echten Welt vorziehen. Umso überraschender sind dafür die wenigen Folgen, die ein befreiendes Ende haben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet