Kolumne Der rote Faden: Ukrainische Samurai
Es war ein Angriff auf Terroristen. Nein, es war eine Razzia gegen Schmuggler. Ein Ringen zwischen Polizei und Faschisten? Ein Wochenrückblick.
D as sind gar keine Angeln. Das sind Gewehre. Eigentlich logisch, schließlich trinken wir hier mit Soldaten knapp hundert Kilometer hinter der Front. Aber diese langen Futterale in Tarnfarben, die habe ich zuletzt als 18jähriger gesehen, da stopften wir unsere Stippen und Wurfruten hinein, wenn wir wenigstens einen Belegbarsch im Käscher hatten. Schau mal, wir haben etwas gefangen.
Sekunden nur dauert die Illusion, dann drückt mir ein Soldat eines dieser Teile in die Hand, ich soll das mal in die Ecke stellen, bei weitem zu schwer für eine Angel, die Form stimmt auch nicht. Die hellen Holzmöbel des Zimmers sind real, seine ikeaene Nüchternheit, das angeschrammelte Raufasergelb der Wände. Die beiden Männer des Rechten Sektors, hier in der Ostukraine sind real, wir wohnen im selben Hotel. Ein deutscher Journalist, der angeblich über ein Theaterprojekt schreibt, eine Gruppe, die im Westen mit dem Hilflosattribut „ultranationalistisch“ beschrieben wird, weil man sich bei „rechtsextrem“ nicht sicher ist. Es gibt ein gegenseitiges Interesse.
Sie spielen Gitarre, Lieder vom Kampf und trauriger Liebe, eine Regisseurin, eine Kamerafrau, eine Dramaturgin kommen dazu. Es gibt Wodka und Wurst, die Milizionäre erzählen von der Angst vor Kämpfern aus Tschetschenien, von der beschissenen Stimmung an der Front. Gedämpftes Lachen, hier und da ein paar Tränen. Es ist wie am Lagerfeuer, nur sind die Angeln eben Gewehre.
Am vergangenen Sonnabend hat es in der Ukraine wieder drei Tote gegeben. Nicht im Osten, im Westen, in der Kleinstadt Mukatschewe, ein paar Kilometer von den Grenzen zu Ungarn, der Slowakei und Rumänien entfernt.
Vor 70 Jahren berieten sich auf der Potsdamer Konferenz Sowjets, Amerikaner und Briten über die Zukunft Deutschlands. Heute leben viele ihrer Enkel in Berlin. Drei von ihnen haben wir getroffen. Das Gespräch lesen Sie in der taz.am wochenende vom 17./18. Juli 2015. Außerdem: Lange Beine, pralles Dekolleté? Alles von gestern. Die neuen weiblichen Schönheitsideale sind die Oberschenkellücke und die Bikini-Bridge. Über den Wahn von Selfie-Wettbewerben im Internet. Und: In Kabul haben sich Witwen einen eigenen Stadtteil gebaut. In der Gemeinschaft gewinnen sie Respekt zurück. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Es schossen Mitglieder des Rechten Sektors auf ukrainische Polizisten und umgekehrt, mit Granatwerfern, Maschinengewehren. Einer der Männer, die damals im April im Hotel Gitarre spielten, ist ein Sprecher des Rechten Sektors. Er sagt auf einer Pressekonferenz, seine Organisation habe in Mukatschewe eine Basis der separatistischen Donezker Voksrepublik angegriffen.
So weit im Westen?
Politikanalysten aus der Ukraine sagen, es gehe um einen Konflikt zwischen dem Staat und dem Rechten Sektor, der das Gewaltmonopol dieses Staates nicht anerkennt.
Journalisten aus der Ukraine sagen, es gehe um den seit Jahrzehnten lukrativen Schmuggel in der Region. Unter anderem mit Zigaretten. Abgeordnete des Parlaments in Kiew gelten als die Paten dieses Geschäfts und der Rechte Sektor habe einen Teil davon übernehmen wollen.
Andere Sprecher des Rechten Sektors behaupten, man habe die Korruption und den Schmuggel stoppen wollen. Präsident Petro Poroschenko führe ein korrumpiertes Regime an. Der Innenminister solle seinen Posten räumen.
Wir müssen an irgendetwas glauben. Das haben die drei Künstlerinnen gesagt, die dem Rechten Sektor beim Gitarre spielen zuhörten. Eine davon Jüdin, alle drei mit politisch eher linken Ansichten. Es sei Krieg, im Osten Putins Truppen, im eigenen Land mächtige Wirtschaftsbosse, deren Ziele nicht durchschaubar seien. Irgendwem müsse man doch vertrauen. Wem also glauben, dieses Mal?
Ja, eigentlich kann der Staat keine bewaffneten Gruppen neben Armee, Polizei und Nationalgarde dulden. Aber dieser Staat ist korrupt und brutal. Seine Polizisten sind beides und zwar in einem solchen Ausmaß, dass die Ukraine gerade versucht, eine neue Polizei aufzubauen. Wenn die steht, will man die alte abschaffen. Noch aber gibt es diese Polizei und die verdient am Schmuggel in und um Mukatschewe mit. Soll man diesem Staat jetzt wieder vertrauen? Einfach so?
Die Kämpfer des Rechten Sektors haben während des Aufstandes auf dem Maidan Menschen vor den Regierungstruppen beschützt. Sie haben mit ihnen im Winter gesungen, Gitarre gespielt und Wodka getrunken. Sie haben im Osten gekämpft und ohne sie, das sagen auch Vertreter der Regierung, sei die ukrainische Armee längst besiegt worden.
Manche vergleichen die Mitglieder des Rechten Sektors mit japanischen Samurai, ehrenhaft und nicht korrumpierbar, um gleich danach die niedrigen Wahlergebnisse und den geringen Einfluss der Gruppe zu betonen, denn so ganz geheuer sind einem diese Samurai auch wieder nicht. Irgendwie muss sich die Miliz finanzieren, der Krieg im Osten des Landes dauert schon lange, die Währung verliert immer weiter an Wert. Was ist wenn die Spenden aus der Bevölkerung dem Rechten Sektor nicht reichen? Was wenn es stimmt, was seine Anführer behaupten und kein Oligarch hinter ihnen steht? Woher kommt dann das Geld?
Irgendwann greifen solche Gruppen auf kriminelle Methoden zurück. Die linke FARC in Kolumbien ebenso wie die Nationalkatholiken von der IRA in Irland.
Die meisten Journalisten arbeiten für Medien, die Oligarchen gehören. Wenn sie etwas publizieren, liest oder hört man das, was ihre Geldgeber sagen.
Wem also soll man glauben?
Präsident Petro Poroschenko hat in dieser Woche einen Vertrauten in die Gegend gesandt, in der Mukachetschewe liegt. Er soll dort Ordnung schaffen.
So versucht es Poroschenko schon in der Hafenstadt Odessa, mit dem umstrittenen georgischen Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili, den Poroschenko aus Studienzeiten kennt. Das ist Vetternwirtschaft.
Wenn ihre Entsendung aber ernst gemeint ist, dann müssen es diese Männer mit Staatsapparaten und Netzwerken aufnehmen, in denen das illegale Geschäft Standard ist. Da ist es doch gut, wenn wenigstens persönliche Loyalität zum Präsidenten sie an ihre Aufgabe bindet. Wenn sich wenigstens Petro Poroschenko und seine Kumpels vertrauen, sich glauben können.
Oder?
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