Kolumne Der Rote Faden: Deine Mutter ist Elite
Über die Schuld des Systems, vererbte Krampfadern, Nazis und das Frauenbild von (muslimischen) Männern. Ein Wochenrückblick.
I ch bin das System. Sie sind es auch. Wie – Sie fühlen sich nicht wie das System? Das macht nichts, wie Sie sich fühlen, tut nichts zur Sache. Wir können auch „Elite“ sagen, wenn Sie linksbedingt ein Problem mit „System“ haben. Ich bin ja jetzt beides – das hat zumindest die FPÖ vor ein paar Tagen so erklärt, weil ich in Österreich für den linken Bundespräsidentschaftskandidaten Van der Bellen gestimmt habe.
Nach dem ewig und drei Tage herbeigesehnten Ergebnis, sagten FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Wahlkampfleiter Herbert Kickl sinngemäß jeweils die gleichen drei Dinge: 1. Das ist Demokratie, das muss man akzeptieren. (Besser spät als gar nicht.) 2. Danke an die Unterstützer und den Kandidaten Norbert Hofer, der – Zitat Kickl – „im Wahlkampf Unmenschliches geleistet hat“.
Und dann kommen die beiden rasch zu dem, was ihnen unter den Nägeln brennt: 3. Das System habe gewonnen, diese sich gegen die FPÖ verschwörenden Parteien. Es sei eine Mobilisierung der Eliten gewesen. So trumpelten die beiden herum. Da wird kurzerhand 53,8 Prozent der wählenden Österreicher eine Identität übergestreift, um den eigenen Wahlverlust zu erklären. Wäre das Ergebnis anders rum gewesen, hätte also die FPÖ gewonnen, hätten „die Bürger“ gewählt. Oder „die Abgehängten“.
Führen? Maximal den Hund zum Gassi
Ich bin also vergangene Woche mal in mich gegangen und habe diese Elite gesucht. Um es kurz zu machen: Ich habe sie nicht gefunden. Im Duden ist „Elite“ beschrieben als: „Eine Auslese darstellende Gruppe von Menschen mit besonderer Befähigung, besonderen Qualitäten; die Besten, Führenden; Führungsschicht“. Das einzige, das ich führe, ist meinen Hund zum Gassi gehen. Ich hab es gerade mal zu einem Bachelorabschluss gebracht, da ist nichts auf dem Bankkonto und erben werde ich hauptsächlich Krampfadern. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin zufrieden. Aber Elite?
Und selbst wenn man sich als Teil dieser Elite erkennt – was tut man dagegen? Rechts wählen? Selbstgeißelung? Sorgen verstehen? Dinge sagen, die zwar angeblich überhaupt nicht ausländerfeindlich gemeint sind, aber Menschen dennoch nach äußerlichen Merkmalen eine kollektive Identität überstülpen?
Apropos: Identität überstülpen. Die „Tagesschau“ stand vergangene Woche in der Kritik, weil sie nach der Vergewaltigung und dem Mord an einer jungen Frau in Freiburg nicht darüber berichtet hatte. Um die Tat selbst ging es dabei weniger, sondern eher darum, dass sie nicht über den vermeintlichen Täter berichtet hatten, der ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling ist.
Was im Prinzip dem Pressekodex entspricht, doch der Vorwurf ist, vereinfacht gesagt: Da hat einer was getan, ihr (Elite) verschweigt das, um uns (Bürgern) zu verheimlichen, was wir eh schon wissen, nämlich, dass die (Flüchtlinge / alle, die arabisch aussehen / alle, die nicht weiß sind) so sind.
Nazis fragen nicht, die hauen hin
Kollektive Identität. Die gilt dann aber nicht nur für Vergewaltiger, sondern auch für schutzsuchende Flüchtlinge, Deutsche mit Migrationshintergrund, Ausländer, die schon lange hier leben, viele Familien. Weil sie nach optischen Merkmalen übergestülpt wird. Die Sache ist ja, dass Nazis einen selten vorher fragen, ob man denn nun wirklich ein vergewaltigender Mörder ist, oder ein friedliebender, Steuern zahlender Deutscher in der dritten Generation. Sondern einem lieber mal gleich in die Fresse hauen. Sicher ist sicher.
Dass das Frauenbild konservativer Muslime diskutiert werden muss, ist richtig, man könnte das Ganze aber gut und gerne um ein paar Nuancen Hass und Vorurteile reduzieren, bei Flüchtlingen einen Anspruch auf psychische Betreuung und Integrationsmaßnahmen hinzufügen – und dann könnte man die ganze Diskussion noch ausweiten und generell über das Frauenbild von Männern in Deutschland sprechen und sexuelle Gewalt an sich. Da rennt man wohl bei jeder Frau offene Türen ein, denn Angst haben wir nicht erst seit letztem Jahr.
Wohin aber Hetze führen kann, wohin es führen kann, wenn Medien ohne Pressekodex arbeiten und was es bringt, wenn man die Political Correctness (das ist dieser neumodische Ausdruck für Anstand) über Bord wirft, das sieht man derzeit in den USA, wie Inforadio vergangene Woche aus New York berichtete.
Seit Trump die Wahl gewonnen hat, sind rassistisch motivierte Übergriffe in New York City um 115 Prozent gestiegen, berichtet der Reporter. Da wurde ein Kampfhund auf eine Polizistin mit Hidschab und ihren Sohn gehetzt, Hakenkreuzschmierereien nehmen zu, der Ku-Klux-Klan verteilte Flugblätter in U-Bahn-Stationen. Wenn das die Bürger sind – dann bin ich meinetwegen Elite.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr