Kolumne Blind mit Kind: Sie nennen es „Kreativ-Chaos“

Wenn es eines gibt, das alle Kinderzimmer gemeinsam haben, ist es Unordnung. Will man die als blinde Mutter beseitigen, braucht es eine gute Strategie.

Zwei Kinder spielen in einem unordentlichen Kinderzimmer

Standard in so ziemlich jedem Kinderzimmer: Alles durcheinander Foto: Jens Kalaene/dpa

Wer Kinder hat(te), kennt das Problem: Aufräumen ist eine Standardbeschäftigung, die niemals von anhaltendem Erfolg gekrönt wird. Um genau zu sein, braucht man nur ein einziges Kind, das fünf Minuten spielt – und die ganze Wohnung versinkt in kreativem Chaos! Puzzleteile in Mini-Maus-Rucksäcken, Knete in Puppenfläschchen und halbe Holzeier im Einhornstall. Alles muss auseinandersortiert und an seinen ursprünglichen Ort zurückgebracht werden. Sonst – muss man sich irgendwann die panische Frage nach dem Verbleib der Lieblingspuppe gefallen lassen oder traut sich womöglich nie wieder Besuch einzuladen.

Als blinde Eltern hat man immerhin den Vorteil, sich bei all dem Chaos nicht in seiner eigenen ästhetischen Welt beziehungsweise Wohnungswahrnehmung gestört fühlen zu müssen, aber auch den gravierenden Nachteil, ständig völlig unvorbereitet auf Malbüchern auszurutschen, sich Puppenspangen in den Fuß zu rammen oder Spielzeugpferden ein Ohr abzutreten. Daueraufräumen steht also schon aus Selbstschutzgründen immer auf der Tagesordnung – und erregt leicht das Mitleid der Mitmenschen: „Ihr Armen, ihr findet ja gar nichts mehr wieder! Wäre es nicht so viel einfacher, wenn ihr sehen könntet?“

Zweifelsohne! Jeder Blinde, der in Eile seinen Stock in der Wohnung verlegt hat, hat unter Umständen auch schon mal den Tatbestand verflucht, ihm nicht einfach einen Blick hinterherwerfen zu können. Alles abtasten kostet Zeit, die man gerade im Alltagsstress nicht hat.

Meine Strategie für das Kinderzimmer: Alles auf einen Haufen kehren und dann planvoll nach Bestimmungsort abtragen (erst die Kaufladensachen, dann die Puppenkleidung, dann das Playmobil.). Wie beim Putzen lohnt sich auch beim Aufräumen ein systematisches Vorgehen: Ebenso wie ich die gerade aus dem Topf gespritzte Tomatensoße beim nächsten flächendeckenden Wischen der Wand automatisch entdecken werde, wird mir auch der dringlich vermisste Glitzerring irgendwann sprichwörtlich in die Hände fallen, wenn ich mich strategisch vorarbeite und genug Geduld aufbringe. Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn – die Frage ist nur, wann: Täglich werde ich die Wand auf Verdacht jedenfalls nicht wischen und auch der Ring wird vielleicht eine Weile verschollen bleiben.

Wenn meine Tochter ihn dringlich sucht? Dann muss sie unter Umständen selbst gucken – und das ist vielleicht die beste Aufräum-Erziehungsmethode! „Mama, wo ist mein Rucksack?“ Ich zucke die Achseln: „Nicht an der Garderobe, wo er hingehört? Schade! Ich habe ihn leider auch nicht gesehen!“ Wir lachen beide.

Fazit: Wer sucht, der wird finden, wer das Kinderzimmer aufräumt, wird fünf Sekunden seine Freude daran haben. Und nur, weil ich etwas nicht so gut, schnell oder gezielt tun kann wie Sehende, werde ich es nicht komplett sein lassen, obwohl ich auf das ständige Aufräumen gut und gerne verzichten könnte.

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