Kolumne Blind mit Kind: Ich mach das! Weil ihr blind seid

Die Tochter unserer Autorin ist sich mittlerweile der „Problematik“ Blindheit bewusst. Sie findet dafür ihre ganz eigenen Lösungen.

Ein Kind wird von seiner Mutter mit dem Auto zur Schule gebracht

Mütter bringen ihre Kinder zur Schule – der Klassiker. Aber es geht auch anders Foto: dpa

„Wenn ich groß bin, kauf ich ein Auto und fahr Mama und Papa überall hin!“, verkündet meine Tochter in die Pizza essende Runde. Alle finden das süß. Ich auch, aber ich weiß auch, was das bedeutet: Sie ist sich der Problematik „Blindheit“ jetzt bewusst. Hat sie nur den schlauen Schluss gezogen, dass es für die Umwelt sicherer wäre, wenn sie an unserer Stelle das Auto steuern würde? Oder hat der gesellschaftliche Diskurs über hilfsbedürftige Blinde Wirkung gezeigt?

Ich erinnere mich, dass sie verwirrt war, als ihr älterer Kitafreund ihr mitteilte, sie müsse ihre Mama führen, weil die sonst gegen Bäume laufen würde. Sie musste lange darüber nachdenken, ob das stimmen konnte. Wohl nicht, aber im Supermarkt musste sie schnell die Erfahrung machen, dass sie etwas besser konnte als wir: Auf der Dose erkennen, ob ein Haufen Bohnen oder Mais darin sein würde.

Sie freut sich natürlich, manchmal mehr zu können, bei der Ortssuche dem wegweisenden Finger von Passanten zu folgen oder uns über die Farbe der Socken zu informieren. „Ich mache das, weil ihr das ja nicht sehen könnt!“, ist ein Satz, den wir jetzt manchmal hören. Weil sie ihn von anderen hört? Manchmal erklärt sie selbst wildfremden Leuten auf der Straße, dass ihre Eltern blind sind.

Ja, sie muss das, was jahrelang völlig selbstverständlich im Umgang war, erst einmal kognitiv verarbeiten. Aber was, wenn sie dabei genau das Bild von den armen Blinden übernimmt? Fühlt sie sich dann verpflichtet, uns zu helfen? Sind wir dann noch vollwertige Eltern in ihren Augen?

Ohne gängige Klischees

„Ich muss mal“, sagt meine Tochter in der Pizzeria. „Mama, schnell!“ Der Vater ihrer besten Freundin fragt mich, ob er mir das WC zeigen solle. Warum nicht? Ich war immerhin noch nie in diesem Restaurant. Ob er vor der Tür warten solle? Nein, der Weg war nicht so kompliziert – raus kommt man besser als rein!

So dringlich die Geschäfte waren, so schwer wiegt die Angst, zu verpassen, was die Freundin draußen gerade treibt. „Darf ich vorrennen?“, fragt sie hastig. Warum nicht! Ich schlage mich mit dem Stock durch die Pizzeria auf die Terrasse. Die Mädels sind gut hörbar damit beschäftigt, den Gehweg mit Wasser aus der alten Straßenpumpe zu fluten.

„Ich dachte, sie hilft dir raus!“, sagt der Vater der Kitafreundin und es klingt, als wäre er ein bisschen verärgert über so wenig Bewusstheit. Das wäre vielleicht hilfreich gewesen, aber für mich langfristig hilfreicher ist, dass sie davon ausgeht, dass Mama schon allein klarkommt. Wenn ich großes Glück habe, wird meine Tochter mit dem Thema Behinderung wirklich ganz bewusst umgehen, ohne den gängigen Klischees anheimzufallen.

Dann werde ich bei ihr im Auto mitfahren können, wenn es sich gerade anbietet – ohne mich blind fühlen zu müssen. Und sie wird wissen, dass sie ihre Mutter an die U-Bahn verweisen kann, wenn es ihr gerade nicht passt.

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