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Kolumne Bestellen und VersendenSexgedöns welcome

Aram Lintzel
Kolumne
von Aram Lintzel

Sind Kämpfer gegen Diskriminierung liberale Spießer? Wer sagt, jetzt sei auch mal gut mit Minderheitenpolitik, gibt gegenüber rechten Kräften nach.

Am Rande einer LGBTI-Demo in Asuncion, Paraguay Foto: ap

I m Zuge der begeisterten Rezension von Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ wird der deutschen Linken empfohlen, sich stärker um die „Abgehängten“ zu kümmern, anstatt sich auf die Emanzipation von Minderheiten zu kaprizieren. Die kleinen Leute könnten mit den „kleinen Kämpfen“ nichts anfangen, sie erwarten Antworten auf die große soziale Frage, so die Annahme.

Zwar geht es ja beispielsweise bei feministischer Politik immer auch um materielle Ressourcenverteilung – dennoch spricht einiges für diese Diagnose. Denn obwohl vielerorts dynastische und neofeudalistische Verhältnisse über Lebenswege und Karrieren entscheiden und die soziale Selektion im Bildungswesen genauso wenig verschwunden ist wie globale Ausbeutung, hat die Kategorie Klasse außerhalb marxistischer Kreise in den letzten Jahren eine eher randständige Rolle gespielt.

Identitäts- und Mikropolitiken verstellten oft den Blick auf ökonomische Zusammenhänge. Problematisch wird es allerdings, wenn in einer autoritären Übersprunghandlung die Unterdrückungsformen „Rasse“, Klasse, Geschlecht wieder hierarchisiert werden und der Klassengegensatz als Hauptwiderspruch in Szene gesetzt wird. Die Forderungen der kulturell und sexuell Marginalisierten werden damit abermals marginalisiert. So hat es Didier Eribon jedenfalls nicht gemeint.

Warum trifft das Ressentiment gegen Mikro- und Identitätspolitik aber in linken Zusammenhängen auf Resonanz? Es könnte daran liegen, dass Politik für Minderheiten nicht mehr als genuin links gilt, sondern als Projekt der saturierten Mittelschicht.

Identitätspolitik für Privilegierte

So heißt es in der Einleitung zu dem gerade erschienenen Merve-Band „Absolute Gegenwart“: „Die Energie wird verausgabt in der immer diffizileren Ausarbeitung von Sozialtechniken, die sich zumeist auf das eigene Umfeld erstrecken und an die Stelle eines auf Allgemeinheit zielenden politischen Handelns gesetzt haben.“

Die implizite Behauptung lautet hier: Identitäts- und Minderheitenpolitiken sind etwas geworden, das sich nur noch Privilegierte leisten können. Der Kämpfer gegen kulturelle und sexuelle Diskriminierung erscheint als liberaler Spießer, der vor dem wahren Problem (dem ökonomischen Hauptwiderspruch) in beschauliche Nahverhältnisse flüchtet, um dort sein wohlfeiles Engagement zu genießen.

Das sogenannte bürgerschaftliche Engagement an Schulen, Kitas, Sportvereinen etc,. wo es im besten Fall ja immer auch darum geht, die Partizipation von Minderheiten im „eigenen Umfeld“ zu ermöglichen, wird als bürgerliche Distinktionsmaßnahme denunziert.

Wenn also an einer Kita, ohne dass sich irgendwelche heteronormativen Eltern daran stören würden, eine Transgender-Erzieher*in eingestellt wird, ist dies kein Liberalisierungserfolg, den man feiern sollte, sondern ein blendender Pseudosieg, der vom „großen Ganzen“ ablenkt.

Die Zumutungen der modernen Gesellschaft

Für Slavoj Žižek, den prominentesten Klassenkämpfer, gehört die Ridikülisierung von Identitätspolitik denn auch seit Jahrzehnten zum guten (leninistischen) Ton.

Die Abkehr von den Forderungen der Minorities gilt vielen als Rezept zur AfD-Bekämpfung. Diese Strategie ist letztlich paternalistisch, wenn es darum gehen soll, „die einfachen Leute“ nicht länger mit den Zumutungen der modernen Gesellschaft zu überfordern und sie vor dem ganzen Kultur- und Sexgedöns zu behüten.

Die Klassenfrage wird so zum Einfallstor für eine antimoderne Politik. Unerfreulich daran ist aber vor allem, dass sie dem rechten Lamento, es gebe zu viel politische Korrektheit in diesem Land, nachgibt.

Der materialistisch verkürzte Kampf gegen die AfD arbeitet nur deren Erfolg zu, das Ende von politischer Korrektheit und „Genderwahn“ gehört schließlich zum erklärten Ziel der Partei. Zudem hat eine politische Analyse, die Wahlmotive vor allem in der sozialen Lage ausmacht, einen exkulpierenden Effekt.

Soziale Benachteiligung kann die Entscheidung für eine antiemanzipatorische und antimoderne Politik nicht entschuldigen. Sooft auch behauptet wird, dem typischen AfD-Wähler sei das Programm der Partei egal, ihm gehe es doch nur um Protest: Seine Wahl ist ideologisch fundiert.

Wenn man sich mit dem Erfolg der Rechten auseinandersetzen will, muss man deshalb die AfD-Wähler zuallererst ernst nehmen als das, was sie sind: Leute, die ein Problem mit der modernen, offenen Gesellschaft haben – unabhängig von Geldbeutel und Klassenlage. Der Kampf gegen die AfD ist allein als sozialer (Umverteilungs-)Kampf nicht zu gewinnen.

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Aram Lintzel
Politikwissenschaftler, arbeitet seit 2022 im Leitungsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vorher Referent für Kulturpolitik in der grünen Bundestagsfraktion. Autor und Redakteur für verschiedene Publikationen (Spex, de:bug, Texte zur Kunst, Polar, Travel Almanac ...). Schrieb von 2009 bis 2016 die monatliche taz-Kolumne "Bestellen und Versenden", seither gelegentlich noch taz-Autor. Themen: Popmusik, Theorie, Ideologiekritik. Bilanz mit der Grünen Tulpe gegen taz Panter FC: 2 Siege, 0 Unentschieden, 0 Niederlagen.
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4 Kommentare

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  • Sexgedöns welcome? Ist es denn noch nicht laut genug in unseren großen Städten?

     

    Ich hab nichts gegen Sex. Ich habe was gegen Leute, die um alles ein "Gedöns machen" müssen. Weil: "Die kleinen Leute", die angeblich "mit den 'kleinen Kämpfen' nichts anfangen [können]" und "Antworten auf die große soziale Frage [erwarten]", orientieren sich grundsätzlich sehr viel mehr an der äußeren Form als am (mitunter etwas schwer verdaulichen) Inhalt einer Ware. Ich meine: Wer weiß schon, wie sein Smartphone funktioniert?

     

    Als Kunden-Azubis haben die "kleinen Leute" beigebracht bekommen, dass es die Liebe-auf-den-ersten-Blick gibt - und diese Liebe niemals trügt. Die Industrie schweißt ihren Kram ja nicht umsonst dreifach in bunte Plaste ein, die nachher unsre Meere ruiniert. Verpackung kostet. Sie ist nur unverzichtbar, wo jede Krämerseele in den (angeblich abgeschafften) Himmel springt, sobald das Geld im aufgestellten Kasten kling[el]t.

     

    Wer die Wundertüte öffnet, erlebt leider mitunter eine böse Überraschung. Das geile Smartphone fackelt dann zum Beispiel über Nacht die gute Stube ab. So ähnlich ist das leider auch mit dem Gedöns. Dass einer ganz laut schreien kann, heiß ja noch lange nicht, dass er auch was vernünftiges zu sagen hat.

     

    Der konsumgestählte Neuzeit-Trottel ist nun entweder schon öfter mal herein gefallen auf ein Gedöns und kann es also nicht mehr leiden, oder er tönt inzwischen selber wie ein hohles Fass. Vom Sieger siegen lernen, ist schließlich ein ziemlich beliebter Sport, auch und gerade unter AfD-Gesinnten.

     

    Nein, der "Kampf gegen die AfD ist allein als sozialer (Umverteilungs-)Kampf nicht zu gewinnen". Es braucht schon auch ein wenig Mühe mit dem Überbau. Nur sollten wir nicht hoffen, dass sich ausgerechnet solche Leuten, die gerne blenden oder überwältigen, die Mühe mit dem Überbau tatsächlich machen. Für mich ist das "Gedöns" etwas für Schröder-Machos, nicht für mich.

  • Offenbar hat "modern" für den Autor eine ausschließlich positive Konnotation. Ich kann mittlerweile mit dem Gendergedöns nichts mehr anfangen. Die Sexualität eines Menschen ist seine Privatsache, ob jemand sich als Mann, Frau oder Transgender definiert ist mir herzlich egal. Genau so wenig finde ich die Wahl der Sexpartner relevant. Wenn mir aber ständig in oberlehrerhafter Diktion vorgehalten wird, wie liberal ich mich zu verhalten habe, stört mich das. Ich verstehe auch, dass Menschen mit einem "konservativen" (per Definition bösen) Weltbild mit der Genderdebatte nicht viel anfangen können. Hier den gesellschaftlichen Diskurs zur Bürgerpflicht zu machen, halte ich für verfehlt.

    • @FraMa:

      Stimmt, geht sie nix an.Genau deswegen steht es ihnen ja auch nicht zu, jemanden aufgrund seiner Sexualität zu verurteilen.

      Konservative haben scheinbar nur diffuse Ängste vor Privilegienverlust,denn was genau wird Ihnen genommen, sollten Homosexuelle heiraten können?

      und Wo genau wird ihnen in "oberlehrerhafter Diktion vorgehalten", wie liberal sie zu sein haben?

      Wir reden hier über die Menschenrechte anderer, die werden sie wohl kaum ihren persönlichen Befindlichkeiten unterwerfen wollen?

      • @pippilotta_viktualia:

        Wenn Sie oberlehrerhafte Diktion suchen, lesen Sie doch mal nach was Sie eben geschrieben haben. (geht nix an, steht nicht zu, persönliche Befindlichkeiten etc.) Genau das meinte ich.