Kolumne Besser: Krude, kruder, am krudesten

Wie schreibe ich einen Profimeinungskommentar, der sich nicht anhört wie jeder andere? Zwölf goldene Regeln.

So fachkundig, wie Spreu vom Weizen getrennt wird, ist auch jedes Thema auf die richtige Meinung abzuklopfen. Bild: dpa

Gazakrieg, Ukrainekrieg, Weltkrieg – ständig passiert etwas, bei dem Ihre Meinung gefragt ist. Aber wie kriegen Sie es hin, dass sich Ihr Kommentar nicht wie ein Dutzend andere im Internet anhört, sondern wie ein Profimeinungskommentar? So geht’s:

1. Einleitung: Beginnen Sie mit einer Einleitung, in der Sie den Sachverhalt (Nachricht) kurz wiedergeben (Profi-W-Fragen!). Oder Sie nehmen einen packenden Einstieg: „Jetzt also doch.“ – „Sowieso hat ein Problem.“ – „Es ist was faul im Staate Sowieso.“

2. Gegenargumente: Überlassen Sie die Gegenargumente nicht Ihrem Gegner. Billigen Sie ihnen eine gewisse Berechtigung zu: „Natürlich ist die Hamas… “

3. Überleitung: Ziehen Sie eine scharfe Linie zwischen den gegnerischen (falschen) und Ihren (richtigen) Argumenten. Nutzen Sie hierfür den Profi-Doppelpunkt: Dennoch Doppelpunkt. Trotzdem Doppelpunkt. Aber Doppelpunkt.

4. Sachkenntnisse: Lullen Sie Ihre Gegner mit Studien und Zahlen ein, unternehmen Sie Ausflüge in die Geschichte. Merke: Sie haben Ahnung, Ihr Gegner bloß eine Meinung. Aber: Fassen Sie sich kurz. Ein Kommentar ist keine Doktorarbeit.

5. Mäßigung: Meiden Sie extreme Meinungen und unsachliche Polemiken. Bleiben Sie kritisch, aber differenziert, seriös und gemäßigt.

6. Fragen: Formulieren Sie Fragen, bevor es ein anderer tut („rhetorische Fragen“). Liefern Sie die Antworten mit: „Darf man das? Man darf nicht nur, man muss sogar.“

7. Bilder: Benutzen Sie eine lebendige und anschauliche Sprache: „Das Tauziehen um alte Zöpfe ist eine Zitterpartie. Der Tanz ums Goldene Kalb wird erst beendet sein, wenn die heilige Kuh vom Eis ist. Der Poker um grünes Licht ist ein rotes Tuch.“

8. Vergleiche: Es muss nicht immer Hitler sein. Eine pfiffige Alternative ist der negierende Vergleich: „Frieden ist kein Wunschkonzert.“ – „Rentenpolitik ist kein Zuckerschlecken.“ Auch pfiffig: die überraschende Gleichsetzung: „Das ist so originell wie Pommes mit Ketchup“.

9. Stammtischparole: Werfen Sie Ihrem Gegner vor, dass er Stammtischparolen verbreitet. Oder populistisch argumentiert. Oder Klischees bedient. Oder eine Regel missachtet. Vergessen Sie nicht das passende Adjektiv: Stammtischparole (dumpfe), Populismus (reiner), Klischee (billiges), Regel (goldene).

10. Krudismus: Geben Sie Ihrem Gegner den Rest, bezeichnen Sie seine Ansichten als krude. Der Höchstbietende gewinnt: krude, kruder, am krudesten.

11 Ironie: Seien Sie ruhig ein bisschen ironisch. Aber: Machen Sie Ironie kenntlich.

12. Schluss: Vermeiden Sie ein Anfängerende ( „Bleibt zu hoffen, dass …“), setzen Sie ein Profiende – mit Knaller und einem Profi-Gedankenstrich: „Das ist ein strukturelles Problem – ohne einfache Lösungen.“ Höchste Kunst: Verbinden Sie Schluss und Einstieg miteinander: „Kriege kommen und gehen, Kommentare bleiben bestehen.“

Besser: Sie fangen sofort an. Noch ist kein Meister vom Himmel gefallen.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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