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Kolumne Aufm PlatzZu berechenbar

System hatte im Spiel des deutschen Nationalteams nur eins: Einfallslosigkeit.

M an kann es banalisieren. So wie Bundestrainerin Silvia Neid nach der Niederlage gegen Japan: „Wenn man keine Tore erzielt und einmal unaufmerksam ist, verliert man so ein Spiel.“ So einfach ist also der Fußball. Oder doch nicht?

Neid wollte verständlicherweise weder ihr Team in der Öffentlichkeit zerpflücken noch sich selbst belasten. Das Turnier indes bietet reichlich Gelegenheiten für eine kritische Analyse des deutschen Spiels. Auf dem Weg nach vorn war die Einfallslosigkeit das Einzige, was bei den Deutschen System hatte. Selbst im hochgelobten Spiel gegen Frankreich waren die Tore weniger das Ergebnis ausgeklügelter Kombinationen als dem unbedingten Siegeswillen geschuldet.

Für den Gewinn des WM-Titels hatte Neid scheinbar nur ein einziges Offensivrezept: zwei, drei Kurzpässe im Mittelfeld, dann der öffnende Pass auf die Außenpositionen, Flanke, Tor. Und fertig ist die Titelverteidigung. Zur Not würden die tollen Einzelspielerinnen wie Grings, Prinz oder Bajramaj für die nötige Verfeinerung sorgen. Variationen zu dem tausendfach Eingeübten waren nicht vorgesehen.

privat

JOHANNES KOPP ist Reporter im WM-Team der taz.

Zum Kombinieren hatten die Nationalspielerinnen gegen die unerwartet hoch verteidigenden Gegnerinnen kaum Raum. Das führte oft zu kopflosen und überhasteten Aktionen Die Außenspielerinnen waren oft zugestellt. Nie konnten die Angriffe nach vorn Fahrt aufnehmen. Das fehlende Tempo bei Ballbesitz bemängelte Neid, schwieg jedoch zum Offensichtlichen: Die Deutschen sind zu berechenbar geworden.

Samstagabend machte die Bundestrainerin auf einen anderen Punkt aufmerksam: Das ballsichere Spiel der Japanerinnen habe ihr imponiert. Wie gut sich diese aus engstem Raum befreit und stets den Blick für die freie Mitspielerin hatten. Genau diese Fähigkeiten werden die Deutschen künftig entwickeln müssen, um mit der Weltspitze Schritt halten zu können.

Die Einschätzung der Assistenztrainerin Ulrike Ballweg, das Kurzpassspiel sei im Frauenfußball keine erfolgversprechende Strategie, mag für die Deutschen zutreffen. Diese Behauptung wurde allerdings von den Japanerinnen ad absurdum geführt. Einen Tag nach der Partie gestand Neid: „Unsere Spielerinnen sind technisch nicht so versiert wie die Japanerinnen.“

Das ist vielleicht die bitterste Erkenntnis dieser WM: Es war nicht nur Pech und Unvermögen, unerwartet wurde deutlich, dass das deutsche Nationalteam im taktisch-technischen Bereich überholt worden ist.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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2 Kommentare

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  • GE
    Gernot Elfenhain

    Was ich nicht verstanden habe, war, wieso auf den

    Einsatz von Lira Bajramaj, trotz deren guter Leistung

    im FrankreichSpiel, verzichtet wurde. Dieses Spiel

    war das einzige des Turniers, in welchem mich die deutschen Frauen überzeugt haben. Ich fand, das Bajramaj durch Flügelwechsel, Tempomachen im offensiven Mittelfeld, Einleitung überraschender Spielzüge und hervorragend variables und genaues, auch angeschnittenes Passspiel in die Füße der anderen Mädchen, all das ins deutsche Fussballspielen eingebracht hat, was der Kommentar, der nach meinem Ermessen sehr genau die Probleme aufzeigt, als fehlend im Vergleich zu anderen Nationen darstellt.

     

    Für mich hat Bajramaj, Aussehen und mediale Aufmerksamkeit hin oder her, Qualitäten für die Mannschaft (sagt man beim Frauenfussball auch Mannschaft?!), die in Analogie zu den Männern einem

    Mesut Özil entsprechen. Der ist auch nicht älter als

    sie, aber bereits der mitentscheidende Faktor, eben

    weil Löw das Spiel auf ihn bezogen und um ihn herum

    entwickelt hat.

    Der Verdacht liegt jetzt natürlich nahe, das da noch

    war anderes war. Vielleicht war der Neid die Bajramaj

    zu auffällig, und sie wollte, das die Mannschaft der

    Star bleibt, so wie Weiland bei den Männern, als es

    noch Vogts und Völler machten, und kreative, aber oft

    halt schwierige Ballkünstler im Nationalteam so gut

    wie abgemeldet waren.

    Solche kreativen Instinktkicker muss man natürlich

    aufbauen, sie müssen viel spielen und benötigen

    mentalen Support, und die anderen müssen ihr Spiel

    auf sie einstellen, nicht umgekehrt.

    Unprofessionell auf jeden Fall die Reaktion Neids nach

    dem Ausscheiden. Wenn man Frauenfussball ernst nehmen

    können soll, müssen nach solchen Niederlagen auch

    kritische Fragen sein, und es müssen auch ernsthafte

    Antworten erwartet werden können. Das sie sich beim

    Fernsehen erst einmal in Solidarität übten, mag so

    dahingehen, aber auch hier muß ein weiterführender

    Anspruch auch darin bestehen, das ernst gemeinter

    Sport auch ernst gemeinten Journalismus produziert,

    also echte Aufarbeitung statt freundlich mitleidiger

    Belanglosigkeiten.

    Wie gesagt, vieles erinnert an die Ära Vogts und an

    die unglücklich WM in den USA damals. Der Berti hat

    ja danach dann gemerkt, was die Stunde geschlagen

    hatte, aber leider hat es doch noch lange gedauert,

    bis dem Verband dann auch was eingefallen ist. Ich

    glaube, beim Frauenfußball mit seinen doch geringen

    Verankerungen wäre eine Nationalmannschaft in der

    zweiten oder dritten Reihe (olympiaquali ist ja auch

    futsch)schnell das Aus für alles, was sich soweit

    öffentlich abspielt, das es Sendezeit generiert. Da

    muß man jetzt aufpassen.

    Wär schade drum. Ich habe Frauenfußball durch das

    Turnier kennen gelernt und schätzen gelernt, und

    wer USA/Brasilien gesehen hat, weiss bestimmt, warum!

  • F
    Fußballfan

    Ein nicht geringer Anteil am Ausscheiden des deutschen Teams hat sicherlich die Trainerin Silvia Neid. Nicht nur das Spiel am Samstag hat einige taktische Mängel aufgedeckt, die Fehler erstreckten sich über die gesamte WM. Die erste Frage, die meines Erachtens viel zu selten diskutiert wurde, ist die der Formation. Deutschland spielte im modernen 4-2-3-1, welches im Männerfußball in den letzten Jahren von zahlreichen Mannschaften vom Spielystem des FC Barcelona kopiert wurde (zuletzt vom BVB im aktuellen Meisterjahr). Dieses System ermöglicht es durch die drei hängenden Spitzen Druck auf die Abwehreihe des gegenerischen Teams auszuüben. Dies erfolgt über schnelles und kurzes Passpiel im Mittelfeld und ist auch nur dann erfolgreich. Entscheidet man sich aber dafür mit langen Bällen aus dem Halbfeld zum Torerfolg zu kommen, nimmt man so drei Spielerinnen aus dem Spiel. Die Bälle fliegen einfach über diese Hinweg. Behauptet nun die Assistenztrainerin Ballweg, dass für Kurzpassspiel im Frauenfußball kein Platz ist, ist es mehr als unverständlich warum diese Formation gewählt wurde. Zwei Stürmerinnen in einem 4-4-2 mit Raute (Kulig wäre mit ihrem herausragender Schusskraft und Übersicht eine perfekte 10) können lange Bälle viel besser verarbeiten. Ich persönlich würde mich langristig gesehen für das Kurzpassspiel und die aktuelle Formation (4-2-3-1) entscheiden, da lange hohe Bälle in den Strafraum nur deswegen so erfolgreich sind, weil noch einige Torhüterinnen und Abwehrspielerinnen bei hohen Bällen unsicher sind. Das sollte bei dem Fortschritt, der im Frauenfußball zu beobachten ist, aber bald der Vergangenheit angehören (oder tut es schon fast).

     

    Die zweite Frage, über die öfters in den Medien berichtet wurde, ist die der Personalien. Die großartige Stürmerin Birgit Prinz (schnell, mit Zug zum Tor, kopfballstark, etc.) wird während der WM abgesägt (schlimmer noch als bei den Männern Michael Ballack)! Ein Unding! Gut, die oben besprochene Formation sieht nur eine Stürmerin vor und Grings hat eine gute Leistung abgegeben. Aber so muss doch in einem Spiel wie gegen Japan, in dem Deutschland gefühlte 0 Torschüsse hatte, viel mehr Druck in der Offensive ausgeübt werden. Und in einer solchen Situation die unerfahrene Popp zu bringen, eine an diesem Tag schlecht aufspielende Mbabi auf dem Platz und Prinz auf der Bank sitzen zu lassen... Eine solche Entscheidung der Trainerin kann nicht mit einer einfachen Begründung wie "Prinz ist keine Einwechselspielerin" abgetan werden. Teilweise Verständnis hatte ich für die Entscheidung, Bajramaj nicht in die Startelf aufzunehmen. Ihre oft eigensinnigen Dribblings passten nicht wirklich ins Team. Aber an Samstag hätte Neid sie definitiv bringen müssen. Ihre Sololäufe wären eine Bereicherung für das Spiel gewesen und hätten sicher zu mehr Torgefahr geführt.

     

    Nun ist zu hoffen, dass die Medien weiterhin diese Sachen ansprechen. Im Männerfußball fallen die Trainer auch auf Grund des Drucks in den Medien. Wenn der Frauenfußball langfristig professionell werden soll, muss deutlich mehr kritisiert werden.