Kohleausstieg auf Berliner Art: Jubel über ungenügendes Ziel
Berlin feiert sich dafür, als erstes Bundesland den Kohleausstieg ins Gesetz geschrieben zu haben. Nun zeigt sich, wie schwer der Umstieg ist.
Doch diesmal wurde nicht protestiert, sondern gefeiert: Klingenberg ist an diesem Mittwoch für immer vom Netz gegangen, in Berlin wird damit keine Braunkohle mehr verfeuert. Und noch etwas ist anders: Georg Kössler ist nicht mehr als Aktivist unterwegs, sondern als Politiker. Seit September sitzt er für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und ist dort für Klimapolitik zuständig.
Neben dem Aus für Klingenberg, das Betreiber Vattenfall schon unmittelbar nach der Wahl angekündigt hatte, hat Kössler derzeit noch mehr gute Nachrichten zu verkünden: Ab dem Jahr 2030 soll in Berlins Kraftwerken auch keine Steinkohle mehr verbrannt werden. So steht es im überarbeiteten „Energiewendegesetz“, das vergangene Woche ins Landesparlament eingebracht wurde. „Berlin ist damit das erste Bundesland, das den Kohleausstieg per Gesetz regelt“, sagt Kössler. „Das ist ein Signal an die ganze Republik.“
Jubel über einen Kohleausstieg bis zum Jahr 2030? Das erscheint für einen ehemaligen Klimaaktivisten überraschend – nicht nur im Vergleich zu den Forderungen der Tagebaubesetzer von „Ende Gelände“, die verlangen, dass Deutschland „sofort“ aus der Kohlenutzung aussteigt.
Auch das renommierte Öko-Institut hält in Berlin einen weitaus schnelleren Ausstieg für notwendig. Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, müssten die verbliebenen Berliner Steinkohlekraftwerke schon 2019 vom Netz gehen, schrieben die Wissenschaftler des Instituts im Januar in einer Studie für den Umweltverband WWF. Der Thinktank Climate Analytics, der einen EU-weiten Kohleausstiegsplan zur Umsetzung der Paris-Ziele erarbeitet hat, nennt 2025 als spätestes Abschaltdatum für die letzten Berliner Kohlekraftwerke.
Klimareferentin Viviane Raddatz
Viel Kritik gibt es an den Plänen der Landesregierung trotzdem nicht. Der WWF etwa – immerhin Auftraggeber der Studie mit dem Enddatum 2019 – lobt das Gesetz ausdrücklich: „Berlin kann damit eine Vorreiterrolle für Gesamtdeutschland einnehmen und beweisen: Die schnelle Abkehr von der Kohle ist möglich und nötig“, erklärte Klimareferentin Viviane Raddatz. Auf Nachfrage erklärt sie zwar: „Das konkrete Datum ist uns natürlich zu spät“ – aber in die Pressemitteilung hat es dieser Satz nicht geschafft.
Das Bündnis „Kohleausstieg Berlin“, zu dem sich VertreterInnen mehrerer Umweltgruppen zusammengeschlossen haben, fordert in seiner Stellungnahme zum Berliner Gesetz zwar einen Kohleausstieg „deutlich vor 2030“ – doch auch hier klingt die Kritik erstaunlich zurückhaltend.
Eng verwobene Akteure
Mit etwas bösem Willen ließe sich eine einfache Erklärung für die freundliche Rezeption der neuen Berliner Klimapolitik finden: Nicht nur Georg Kössler ist eng mit der Klima-Szene verwoben. Die von den Grünen nominierte parteilose Umweltsenatorin Regine Günther war zuvor Klima-Chefin beim WWF. Und der langjährige hauptamtliche Campaigner vom „Kohleausstieg Berlin“, Stefan Taschner, sitzt seit September ebenfalls für die Grünen im Abgeordnetenhaus – und hält einen Ausstieg bis 2020 für „überambitioniert“. Kritik träfe also quasi die eigenen Leute.
Doch tatsächlich ist die Sache wohl etwas komplizierter. Die Grünen erleben in Berlin gerade, dass es sehr viel schwieriger ist, Veränderungen wirklich umzusetzen, als sie nur zu fordern. Einfach abschalten lassen sich die Berliner Kohlekraftwerke allein deswegen nicht, weil sie nicht nur Strom produzieren, sondern auch Wärme. Jede dritte Wohnung in der Hauptstadt hängt am Fernwärmenetz. Das ist effizient, schafft aber ein Problem: Wenn nicht viele davon künftig kalt bleiben sollen, muss Ersatz für die Kohlekraftwerke her, bevor sie abgeschaltet werden.
Biomasse, auf die Berlin lange als Alternative zur Kohle gehofft hat, steht nur in sehr begrenztem Umfang zur Verfügung und scheidet darum als Lösung im großen Stil aus. Als schnellen Ersatz bieten sich darum vor allem Gaskraftwerke an. Die produzieren bei gleicher Leistung nur etwa halb so viel klimaschädliches CO2 wie ein Steinkohlekraftwerk. Das hilft der Klimabilanz kurzfristig, ist für die langfristigen Ziele aber ebenfalls zu viel. „Ein neues Gaskraftwerk läuft mindestens 20 Jahre“, warnt der neue Grünen-Energieexperte Taschner. „Das muss man sich gut überlegen.“
Eine Alternative könnte es sein, das Wasser für die Fernwärme mit überschüssigem Wind- und Sonnenstrom zu erhitzen und in großen Speichern aufzubewahren, bis die Wärme gebraucht wird. Eine erste entsprechende Anlage plant Vattenfall für das Jahr 2020. Ein Gesamtumstieg würde jedoch dauern.
Und nicht zuletzt ist die Jahreszahl 2030 auch das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen – mit einem Partner, der noch immer eng mit der Kohlebranche verbunden ist. Die Grünen verteidigen darum zwar einerseits das beschlossene Enddatum, erklären aber zugleich einen früheren Ausstieg zum Ziel.
Auch Umweltsenatorin Regine Günther räumt gegenüber der taz eine „Herausforderung für den Berliner Senat“ ein: die Lücke zwischen dem politisch Beschlossenen und dem wissenschaftlich Notwendigen „soweit wie möglich zu schließen“.
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