Koalitionsverhandlungen und Völkerrecht: Zwischenergebnis „dürftig“ und „erschreckend“
Menschenrechtler fordern die neue Koalition auf, das Völkerrecht zu stärken. In einem Brief kritisieren sie unter anderem die Nachsicht mit Israel.

Die bisher vorliegenden Vereinbarungen seien „in ihrer inhaltlichen Dürftigkeit erschreckend“, heißt es in dem Schreiben der Menschenrechtsorganisation. Die kommende Regierung aus Union und SPD wolle „offenbar möglichst freie Hand in Fragen menschenrechtlicher Kriterien“.
Das Ergebnispapier der Arbeitsgruppe 12, in den Koalitionsverhandlungen verantwortlich unter anderem für Außenpolitik und Menschenrechte, enthält zwar ein Bekenntnis zur „Bewahrung und Weiterentwicklung der regelbasierten internationalen Ordnung“. Das ECCHR bemängelt allerdings, dass dieser Vorsatz kaum mit konkreten Maßnahmen untermauert sei.
Aus Sicht der NGO wären unter anderem Gegenmaßnahmen zu den US-Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof nötig. Im Februar hatte US-Präsident Donald Trump Einreisesperren gegen Mitarbeiter*innen des Gerichts und deren Angehörige verhängt.
Außerdem vermisst das ECCHR im Koalitionspapier Aussagen zur finanziellen Unterstützung völkerrechtlicher Institutionen oder zur juristischen Aufarbeitung in Syrien nach dem Sturz der Assad-Diktatur. Es sei „fahrlässig“, dass die Notwendigkeit und Unterstützung eines Übergangsprozesses nicht einmal erwähnt würden. Weiter schreiben die Jurist*innen: „Insbesondere bei schweren Menschenrechtsverletzungen und schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht muss der Kampf gegen die Straflosigkeit fortgesetzt werden.“
Waffen für Israel – ein Doppelstandard?
Zudem solle die künftige Bundesregierung „jegliche Doppelstandards im Bereich der Menschenrechte vermeiden“, insbesondere bei Rüstungsexporten. „Dies betrifft auch Waffenlieferungen an befreundete Staaten wie Israel, wenn ein völkerrechtswidriger Einsatz virulent ist.“ Union und SPD hatten in ihrem Zwischenergebnis festgeschrieben, Israels Sicherheit „auch durch Rüstungsexporte“ zu unterstützen. Die Union möchte dazu festlegen, dass Israel bei Rüstungsgütern, die es „für seine eigene Sicherheit braucht“, keiner Exportbeschränkung unterliege.
Nicht erwähnt wird im Ergebnispapier der Koalitions-AG der Umgang mit dem Haftbefehl gegen der israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den der Internationale Strafgerichtshof erlassen hatte. CDU-Chef Friedrich Merz hat mehrfach angekündigt, diesen Haftbefehl ignorieren zu wollen. „Eine Einladung Netanjahus nach Deutschland unter Zusicherung von Immunität wäre ein Verstoß gegen das Völkerrecht und deutsches Recht“, schreibt das ECCHR dazu.
Anerkennung äußert die Organisation immerhin für die schwarz-rote Absicht, die „bestehende Zuständigkeitslücke zum Verbrechen der Aggression im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs“ zu schließen. Bei Angriffskriegen und ähnlichen Taten kann das Gericht bislang nur eingeschränkt tätig werden. Diesen Vorsatz formulierten allerdings nicht die Außenpolitiker*innen der Koalition in spe, sondern die Innen- und Rechtspolitiker*innen im Abschlusspapier ihrer eigenen Arbeitsgruppe.
Mehr Militär, weniger Entwicklung
Außen- und sicherheitspolitisch dominiert in den Zwischenergebnissen der Koalitionsverhandlungen ansonsten der Vorsatz militärischer Stärke. Union und SPD wollen die Verteidigungsausgaben „deutlich und stringent“ steigern. Strittig ist nur, ob sich CDU und CSU noch mit ihrer Formulierung durchsetzen, dass die Ausgaben „in Richtung 3,5 Prozent des BIP“ gehen sollen.
Trotz Trump bleiben die Beziehungen zu den USA für Schwarz-Rot „von überragender Bedeutung“. Gleichzeitig will man die Unterstützung für die Ukraine „substanziell stärken und zuverlässig fortsetzen“. Strittig ist die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit: Die Union will das Entwicklungsministerium streichen und Ausgaben senken, die SPD nicht.
Umgekehrt sträuben sich die Konservativen gegen neue Verstöße zu Rüstungskontrollvereinbarungen, die die Sozialdemokrat*innen gerne im Koalitionsvertrag verankern würden.
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