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Koalitionsverhandlungen in ThüringenRot-Rot-Grün streitet über DDR-Erbe

Die Linke erklärt die DDR zum „Unrechtsstaat“, um den Weg für eine Koalition mit der SPD frei zu machen. Parteichef Gregor Gysi gefällt das nicht.

Gregor Gysi ist unzufrieden mit den Genossen aus Thüringen. Bild: dpa

DRESDEN taz | Die Sondierungsgespräche über eine Regierungsbildung in Thüringen sind in der Halbzeit angelangt. Die SPD will sich noch nicht festlegen, viele neigen aber mehr einem Bündnis mit Grünen und Linken als mit der Union zu. Obwohl sie ein Drittel der Wählerstimmen verlor, kommt Thüringens SPD eine entscheidende Rolle zu: Sowohl mit der CDU wie auch mit Linken und Grünen hätte sie in Erfurt jeweils eine Stimme Mehrheit.

In den Verhandlungen mit der Linkspartei war deren Haltung zur DDR-Vergangenheit von besonderer Bedeutung. Dabei ist die Linke nach Meinung von SPD-Landesgeschäftsführer René Lindenberg weit gegangen, als sie die Bezeichnung „Unrechtsstaat“ für die frühere DDR akzeptierte. Bei vergleichbaren Sondierungen vor fünf Jahren war diese Formulierung noch strittig geblieben. Von Parteichef Gregor Gysi kam denn auch prompt Widerspruch aus Berlin.

Auch auf einer Basiskonferenz der Linken in Sömmerda wurde heftig über dieses Zugeständnis debattiert, der designierte Ministerpräsident Bodo Ramelow stufte das entsprechende Kompromiss-Papier zur „Protokollnotiz“ herab. Das wiederum rief Kritiker wie die Grünen-Verhandlungsführerin Anja Siegesmund auf den Plan. Denn die Grünen wollen Passagen dieses Kompromiss-Papiers in die Präambel eines möglichen Koalitionsvertrags übernehmen.

Die Einstellung zum SED-Staat gehört für SPD und Grüne zu den wichtigsten Punkten, an denen sie die Linkspartei misst, zumal sie sich auch vor den eigenen Mitgliedern verantworten müssen. Unstrittig ist für sie auch, dass ehemalige Zuträger der Staatssicherheit keine Regierungsämter übernehmen sollen. Das betrifft etwa die Linken-Abgeordnete Ina Leukefeld, die trotz bekannter IM-Vorwürfe in Suhl ein Direktmandat gewonnen hatte.

Union wirbt um SPD

Leichter konnten sich SPD, Grüne und Linkspartei in ihren Dreierrunden über Fragen der Gebietsreform, der Flüchtlingspolitik, das kommunale Wahlrecht für Jugendliche oder bei der Kinderbetreuung verständigen. Demgegenüber muten die Gemeinsamkeiten in den SPD-Gesprächen mit der Union schmaler an. Die CDU machte Zugeständnisse bei sozialen Projekten und will den Rechtsextremismus stärker bekämpfen.

Auffällig ist, wie sehr die Union um die SPD wirbt. Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht entschuldigte sich öffentlich für Rempeleien und Verletzungen im Wahlkampf. Zugleich zeigt die CDU Geschlossenheit, um der SPD die Furcht vor der knappen Mehrheit zu nehmen. Für Mike Mohring als alten und neuen Fraktionschef votierten sämtliche 34 Landtagsabgeordneten. Den Lockrufen der Union, eine knappe schwarz-rote Mehrheit zu unterstützen, haben die Grünen bisher eine Absage erteilt. Man sähe sich dort nur am Katzentisch, sagte Grünen-Verhandlungsführerin Anja Siegesmund dem Tagesspiegel.

Bis zum 15. Oktober wird sich die SPD noch mal mit beiden Seiten zu Gesprächen treffen, am 20. Oktober will sich ihr Landesvorstand für eine Koalition entscheiden. Darüber sollen dann die etwa 4.600 Mitglieder der SPD abstimmen.

Dieser Artikel wurde um 10.22 korrigiert. Versehentlich war im zweiten Absatz davon die Rede, dass die Linke nach Meinung von René Lindenberg „zu weit“ gegangen ist, als sie die Bezeichnung „Unrechtsstaat“ für die frühere DDR akzeptierte. Wir entschuldigen uns für den Fehler.

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29 Kommentare

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  • Immer wieder erstaunlich, dass die legitime Nachfolgepartei der SED überhaupt noch Stimmen bekommt. Und das die DDR kein Unrechtstaat war, können wohl auch nur Menschen behaupten, die davon profitiert haben, also ehemalige privilegierte Parteikader und IMs.

  • es ist unglaublich-heute 3OKT Tag der deutschen Einheit und keiner geht hin ( oder schreibt darüber) wir sind ein tolles Volk!

    • @Georg Schmidt:

      Wir sind ein Sprachraum, richtig, aber Volk?

  • Unrechtsstaat? Schwachsinn hoch 3!

    Die DDR war mindestens so ungerecht wie die BRD heute, nur die Gruppe derjenigen, denen unrecht geschieht, die variiert hier zugegebener Maßen! Macht also ma den Blick frei und das Brotloch zu! Ich bin für Aktenoffenlegung des BND (Organisation Gehlen) zu "Stay behind" (GLADIO)! Wäre ein Anfang und würde einen auch sehr schnell merken lassen, wie verlogen dieses Unrechtsstaatengefasel ist.

    • @DDHecht:

      Sag das mal den Toten an der Berliner Mauer, und sag das mal den gefolterten in den Stasi-Gefängnissen.

       

      Es ist gut das die DDR nicht mehr vorhanden ist. Nur die Aufarbeitung und Bestrafung der Täter von damals fehlt noch, aber die war ja 50er genauso Lückenhaft wie in den 90er.

    • D
      D.J.
      @DDHecht:

      Stimmt. Die BND-Gefängnisse waren ja berüchtigt. Wenn die DDR-Regierung da nicht Zehntausende freigekauft hätte...

      • @D.J.:

        Wie ich gesagt habe, die Opfer des BND sind an anderen Orten zu suchen, doch sie sind trotzdem Opfer! Schau Dir nur allein die Zusammenarbeit bzw. Zuarbeit des BND in Südamerika bzw. Mittelamerika an! Selbst altgedienten BND-Mitarbeitern war es bisweilen zu wieder, mit wem sie so zusammenarbeiten mussten. Gibt auch ein Buch eines ehem. BND-Mitarbeiter, dessen Name mir gerade entfallen ist! Des Weiteren haben die auch Terroristen unterstützt, die sie eigentlich fangen sollten, siehe RAF, und die Flucht einiger Mitglieder in die DDR, mit wissen der Dienste bzw. billigender Duldung. Wie viele Tote es bei deren Aktionen gab, wer weiß, ohne Aktenfreigabe!?! Selbst Psychoterror Berufsverbote öffentliche Stigmatisierung unbequemer Leute mittels Presse usw.! Für die BRD gab es einfach andere Notwendigkeiten, die aber in ihrer Erbärmlichkeit denen der Stasi oft gleichkommen. Im sogenannten West wurde der Pöpel fettgefüttert bis hin zur Dekadenz und sie verwechselten vollgestopfte Supermärkte mit Freiheit! Wer dagegen aufbegehrte, wurde ruhiggestellt, eben im Rahmen der Möglichkeiten und die waren eben unterschiedlich. Wer weiß denn schon, ob es nicht schon damals auch in der BRD Geheimgefängnisse der CIA gab???

        • @DDHecht:

          In der DDR bzw. dem Staat der SED / Linke etc. gab es keine alt Nazis in führendenPositionen ?, Keie Zusammenarbeit von Terroristen ?, Verstecken von Mördern aus der Baader Meinhof Mördertruppe ?.

          Die zusammenarbeit mit Repressionsregimen in Asien oder Afrika ? ? Die Unterdrückung des eigene Teil-Volkes ?

           

           

          Da stimmt es wohl schon das durch die 25 Jahre die nun unsere Vereinigung zurückliegt die Sichtweise bei einigen ziemlich verquert wird.

          • @Urbaner:

            Und nebenbei, ich sehe auch die Haltung der DDR gegenüber Israel als erbärmlich an!

            Zu den Konflikten bzw. den sogenannten geheimen Kriegen der CIA in Afrika/Südamerika möchte ich folgende Sicht von Insidern beisteuern, kritischen Amerikanern, die gemeinhin als "Whistleblower" bezeichnet werden:

            "Verdeckte Operationen der CIA"

            https://www.youtube.com/watch?v=ZRPbSZSQpNg

             

            und zum "Mythos Postgeheimnis":

            "Land unter Kontrolle - Die Geschichte der Überwachung der BRD"

            https://www.youtube.com/watch?v=OU_Ef3HG1s0

          • @Urbaner:

            Lies meinen Text noch einmal, und dann überlege, wo in deinem Text der Fehler liegt! Kleiner Tipp, ich bin sicher kein Freund der STASI, aber gegen pauschalisierte Einseitigkeit, in der Betrachtung der Dinge!

  • D
    D.J.

    P.S.: Es sagt übrigens schon viel über die unfassbaren Verdrängungsmechanismen aus, zu denen Menschen fähig sind, dass nicht einmal ein Staat , der sich selbst als Diktatur ("des Proletariats") bezeichnete, von manchen als so bezeichnungswürdig wahrgenommen wird. Eigentlich völliger Wahnsinn.

    • @D.J.:

      Diktatur ("des Proletariats") = Maßregelung des Raubtierkapitalismus zugunsten der Arbeiter! Was ist an dem Gedanken schlecht? Was bitte anderes ist den ein Streik? Wie wäre es denn einmal mit dem Versuch, eingeimpfte Vorurteile abzulegen und selbst zu denken?!

  • D
    D.J.

    Wenn auf dem Linken Parteitag von einer einzelnen so etwas abgesondert wird:

    "In der DDR gab es kein gesetzliches Unrecht",

    ist das so bescheuert, dass es sich nicht lohnt daruf einzugehen.

    Wenn aber dort die Rede ist von der "Delegitimierung einer ganzen Gesellschaft", ist das viel bedenklicher. Das zeigt, dass Teile der Linkspartei immer noch in unfassbarer Dummheit und Arroganz ihre Diktatur mit der Gesellschaft verwechseln.

    Übrigens hätte ich mir vor 25 Jahren kaum ausdenken können, dass nachgewiesene Spitzel in Wahlen solche Erfolge haben können. Bringt aber nichts, darüber wütend zu sein. Aufklären ist besser.

    • @D.J.:

      "Dummheit und Arroganz", tropfen bei diesem Text aus allen Poren!

    • @D.J.:

      Einer der Gründe warum die Linke nicht wählbar ist.

  • Das Problem ist nicht politisch rechts oder links, sondern es waren und sind die obrigkeitsstaatlichen Strukturen.

     

    Ein experimenteller Nachweis dazu unter http://www.odenwald-geschichten.de/?p=682. Es geht dort zwar um die Justiz bis zum Justizministerium, aber, da dort kein anderer Menschentyp ist, gilt das auch für andere Amtsträger.

    Schon in deutschen Schulen und Universitäten wird von einer Forderung des Grundgesetzes schon auf deren Realisierung geschlossen.... Wer in Deutschland nach der Verfassungswirklichkeit gefragt wird, pflegt oftmals nur das Grundgesetz aufzuschlagen, um dann zu behaupten, dass das Wirklichkeit ist, was nach der Zielvorstellung des Grundgesetzes Wirklichkeit sein soll, allein weil es dort so geschrieben steht. Das ist irreführend.... Die Organisationsstrukturen des kaiserlichen Obrigkeitsstaates blieben bis heute erhalten (vgl. http://www.gewaltenteilung.de/idee). Welcher Menschentyp soll sich entwickeln, wenn Kinder schon zu Heuchlern erzogen werden und von ihren Eltern aufgeklärt werden, dass Lug und Trug auch beim Staatsapparat die Norm sind?

    Ex-Richter Frank Fahsel bestätigt auch, dass Rechtsbrüche und Rechtsbeugungen systemkonform sind (vgl. z.B. http://www.justice.getweb4all.com/leserbrief.php).

    Gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen (nebst Justizministerien, Petitionsausschüssen etc.) fehlt wegen Verdrehungsabsicht zumeist eine plausible Begründung, oft sogar die Sachbezogenheit. Hauptverantwortlich für das perfide Rechtschaos mit Methode sind die Parlamentsabgeordneten, das Bundesverfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (von http://unschuldige.homepage.t-online.de/default.html).

  • Leute

    hört auf mit diesem Gestrigen!

    Schafft den VS Thüringen ab

    schafft Arbeitsplätze und Wohnungen und entwickelt vor allem mal kulturelle Erneuerung!

    Obrigkeitsstaat war und ist ekelhaft.

    #

    Hubertus Knabe und die Gesine Lötsch - beides von gestern.

    • @nzuli sana:

      Nö! Nzuli Sana.

       

      Kulturelle Erneuerung? Welche denn und wohin und für Wieviele?

       

      Ohne Vergangenheitsaufarbeitung, kein Verständnis für die Gegenwart gesellschaftlicher Verhältnisse und Strömungen und damit auch kein Weg in die Zukunft, in eine freiheitliche, demokratiebejahende und vor allem keine s o z i a l e Sicherung für die Menschen h e u t e und für die nachfolgenden Generationen in der Zukunft.

       

      Die typisch deutsche Schlußstrich-Mentalität löst keine Probleme!

  • TAZ:"Von Parteichef Gregor Gysi kam denn auch prompt Widerspruch aus Berlin."

     

    Herr Michael Bartsch, wie hat sich der "Widerspruch" Gysis denn geäußert? Was genau im Kontext hat Gysi den gesagt? Bitte mit Quellenangabe. Danke.

  • Ich bin dafür, dass wir die SPD-Vergangenheit seit mindestens 1998 aufarbeiten und 2017 bei den Bundestagswahlen das Ergebnis dieser Aufarbeitung: Die Zerstörung der freien Marktwirtschaft und der Sozialsysteme durch SPD-GRÜNE-CDU-CSU-FDP durch die NICHTWAHL diese Parteien zeigen.

    • @Willi:

      Ich bin dafür, daß die CDU- und FDP-Vergangenheit unter der 16jährigen Regentschaft Helmut Kohl seit 1982 bis Januar 1998 aufgearbeitet und diskutiert wird!

       

      Die Rolle des Papiers des CDU-Wirtschaftsrats von 1978 und des Lambsdorff-Papiers von 1982.

       

      Die Rolle der Treuhandgesellschaft unter Leitung von Birgit Breuel!

      • @Gerda Fürch :

        Sie sollten meinen Beitrag schon vollständig lesen.

    • @Willi:

      Ich ergänze:"Soziale Marktwirtschaft"

    • @Willi:

      Sollen jetzt wirklich alle die LINKE wählen, um die freie Marktwirtschaft zu retten?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Die Partei DIE LINKE ist die einzige Partei, die die Zerstörung der Sozialsysteme durch CDU-CSU-FDP-SPD-GRÜNE anprangert, rückgängig machen und zurück zur sozialen Marktwirtschaft will. Die Wahlstimmen lohnen sich wahrhaftig.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        [...] Die Moderation: Kommentar gekürzt. Bitte unterlassen Sie Unterstellungen.

         

        AfD = Nein, danke!

        • @Gerda Fürch :

          Offensichtlich können Sie nicht lesen oder Sie verstehen meine Beiträge nicht. Deshalb für Sie noch einmal: Ich wähle weder CDU-CSU-FDP-SPD-GRÜNE noch AFD. Jetzt Verstanden? Und... lassen Sie diese dummen Unterstellungen.

  • Gut dass man sich über Begriffe im Bezug auf die Vergangenheit streitet, für die es keine genaue Definition gibt. Da muss man sich nicht mit den Problemen der Zukunft beschäftigen.