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Knorr benennt „Zigeunersauce“ umKulturkampf aus der Flasche

Deutschland liebt den Kampf um Deutungshoheit, wie die Auseinandersetzung über den Namen einer Knorr-Sauce erneut zeigt. Das hat historische Gründe.

Das Kulinarische ist politisch: Speise in einem Biergarten Foto: Plainpicture

Kein Kulturkampf ohne Deutschland. Logisch. Denn Deutschland ist ein Land, dessen Blick in die eigene Vergangenheit vor allem von zwei eigens verschuldeten, zerstörerischen Weltkriegen, der Schoah, der Tötung von Roma, Sinti und anderen geprägt ist. Woraus kann ein solches Land schon Kultur schöpfen?

In einer Zeit, in der die Globalisierung nicht nur, aber auch Deutsche verunsichert, in der diese Globalisierung Menschen auch vor tatsächliche soziale Herausforderungen stellt, sehnen sich die Betroffenen aber gerade nach Kultur, einer Geschichte, einer Erzählung des Eigenen. Auch der Nachkriegsdeutsche, der sich nach den beiden barbarischen Kriegen den universellen Werten der Aufklärung verpflichten musste, sich teils auch aus Überzeugung verpflichtete, sehnt sich danach.

Weil er aber, wie schon gesagt, kaum Menschliches findet, wenn er in seiner Geschichte herumkramt, um eine eigene Erzählung zu basteln, kämpft er aktuell um die Kultur aus der Flasche. Der Heilbronner Lebensmittelhersteller Knorr hat am Sonntag bekanntgegeben, dass er die bisher als „Zigeunersauce“ bekannte Sauce mit Tomaten-, Paprika- und Zwiebelstücken in „Paprikasauce Ungarische Art“ umbenennen werde. Weil der ursprüngliche Name „negativ interpretiert“ werden könne. Natürlich war es die Bild am Sonntag, die darüber als eine der ersten ausführlich berichtete.

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma, äußerte sich gegenüber dem Blatt der Gegenaufklärung zustimmend, weil hier offenbar auf Beschwerden vieler Menschen reagiert worden sei. Er verwies zugleich auf den wachsenden Antiziganismus in Deutschland und Europa.

Die Berichterstattung erreichte ihr mutmaßliches Ziel: Der Kampf um die Saucenkultur trendete noch am Montagnachmittag auf Twitter. Auf den Inhalt der dort geäußerten Tweets soll an dieser Stelle aus Verbundenheit mit den Werten der Aufklärung verzichtet werden. Ein Umstand stimmt aber zutiefst nachdenklich: wie sich ein verängstigter Teil Nachkriegsdeutschlands obsessiv an den Namen einer Sauce klammert, deren Bedeutung er in der Auseinandersetzung selbst relativiert, um dann erbost und errötet sprachverteidigungspolitisch aufzubegehren.

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5 Kommentare

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  • Erbärmliches Virtue-Signalling der Firma Knorr. Es geht um potentiell sinkende Umsätze und Vermeidung schlechter Presse. Und nur darum. Ist in allen Konzernen so, D&I ist Bestandteil der "Management by Objectives"-Zielvereinbarung ab mittlerem Management und somit bonusrelevant. Mehr ist nicht dahinter, am verlogendsten in der Finanzindustrie, in der ich seit Jahrzehnten arbeite.

  • "Kulturkampf aus der Flasche. Deutschland liebt den Kampf um Deutungshoheit"

    Ach Herr Agar, wer mit dem Finger auf jemanden zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst, heißt eine alte Weisheit.

    Oder : Wenn Kulturkämpfer Kulturkämpfer als Kulturkämpfer beschimpfen.

  • Romani Rose hat es genau auf den Punkt gebracht.

    "Rose bereitet der wachsende Antiziganismus in Deutschland und Europa Sorgen. "Für den Zentralrat sind vor diesem Hintergrund Zigeunerschnitzel und Zigeunersauce nicht von oberster Dringlichkeit." Viel wichtiger sei es, Begriffe wie "Zigeuner" kontextabhängig zu bewerten, "wenn etwa in Fußballstadien 'Zigeuner' oder 'Jude' mit offen beleidigender Absicht skandiert wird"."

    www.zeit.de/gesell...rsauce-produktname

    Die Umbenennung ist zwar ein Punkt, aber mehr auch nicht und sollte nicht von den wirklich wichtigen Dingen ablenken.

    "Die Hemmschwelle Sinti und Roma in Deutschland anzugreifen, zu verletzen oder gar zu töten ist weiterhin sehr niedrig, wie die aktuellen Zahlen der Bundesregierung zu antiziganistischer Straftaten 2019 belegen. Seit 3 Jahren wird Antiziganismus als eigenständige Kategorie in der Statistik politisch motivierte Kriminalität (PMK) erfasst (Fallzahlen: 2017: 41; 2018: 63; 2019: 78) und die Fallzahlen zeigen eine stete Zunahme. Im letzten Jahr wurden auch zahlreiche Fälle von Köperverletzungen und zwei versuchte Tötungen dokumentiert.

    Angesichts der geringen Anzahl dokumentierter Fälle antiziganistisch motivierter Kriminalität ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen."

    Darüber muss man sich aufregen!

    zentralrat.sintiun...d-verfolgt-werden/

    • @Sven Günther:

      Ich stimme zu. Es ist gut die Betroffenen selbst zu hören und für sie gibt es wichtigere Dinge und der Begriff Zigeuner ist für sie kontextabhängig.

      Leider werden meinem Empfinden nach immer öfter bestimmte Begriffe gleich negativ gesehen ohne danach zu fragen in welchem Zusammenhang und mit welcher Absicht sie gebraucht wurden. Hier wünsche ich mir differenziertere Urteile.

      Wenn wir alle nicht versuchen im Alltag Benachteiligungen anderer anzusprechen und Betroffenen wirklich zuzuhören bleiben solche Maßnahmen außerdem reine Symbolpolitik.

  • "er aber, wie schon gesagt, kaum Menschliches findet, wenn er in seiner Geschichte herumkramt, "

    Das ist witzig.

    Don`t mention the war.

    Die Nation werfe den ersten Stein, auf deren Grund oder von deren Angehörigen noch nie Gewalt ausging.