Kneipenkollektiv droht Rauswurf: Bald vorbei mit Meuterei
2019 ist das Jahr der bedrohten linken Räume in Berlin. Nach dem Syndikat und der Potse droht nun dem Kneipenkollektiv Meuterei der Rauswurf.
Das Kreuzberger Kneipenkollektiv ist in bester Gesellschaft: 2019 ist in Berlin bislang das Jahr der bedrohten linken Räume. Die Neuköllner Szenekneipe Syndikat hat keinen Mietvertrag mehr und verweigerte zu Jahresbeginn eine Schlüsselrückgabe, ähnlich ist es beim autonomen Jugendzentrum Potse in Schöneberg. Gegen das Syndikat ist bereits eine Räumungsklage eingereicht, der Schöneberger Jugendstadtrat wollte die Potse zunächst nicht räumen lassen, jüngsten Berichten zufolge will er das jetzt wohl doch – und nun also auch noch die Meuterei?
Die Kneipe sei mehr als nur ein Ort für günstige Getränke, sagt Gohlke. Sie hat die Meuterei als Stadtteilarbeiterin kennengelernt: „Die Meuterei übernimmt viele Aufgaben in diesem Kiez“. Zweimal im Monat findet dort eine Sozial- und Mietrechtsberatung statt. Die Kneipe ist zudem ein wichtiger Nachbarschaftstreffpunkt, an dem sich Initiativen organisieren.
Auch für Kim Archipova, Kunstlehrerin, ist die Meuterei ein Ort des politischen Handelns. Sie engagiert sich ebenso für den Erhalt und hat die Kollektivkneipe als politische Aktivistin kennengelernt: Als sie mit der Nachbarschaftshilfe Ohlauer Straße die Flüchtlinge in der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule unterstützte, waren die Räume ein Ort, an dem man sich zurückziehen, organisieren und besprechen konnte.
Wohnungsbesitzer wollen keine Kneipe unter sich
Archipova wohnt seit den Achtzigern im Kiez. Früher habe es hier auch andere Orte gegeben, wo Menschen einfach zusammenkamen, egal wie viel Geld sie hatten. Viele Räume seien leise verschwunden. Was stattdessen kam? „Coworking Spaces“. Archipova sagt: „Orte, die Teilhabe und gemeinschaftliches Arbeiten auf ihre Fahnen schreiben, aber das passiert dort auf kommerzialisierter Basis.“
2011 kaufte die Firma Zelos Properties GmbH mit Sitz im brandenburgischen Zossen die Reichenberger Straße 58. Das Haus wurde aufgeteilt, die Wohnungen wurden saniert und weiterverkauft. Auch die Meuterei sollte weg. Das Kollektiv schreibt auf seiner Website, dass es nach einer Kündigung zum Rechtsstreit kam, den die Meuterei gewann. Die Kneipe konnte erst mal bleiben mit einem Vertrag, der Ende Mai 2019 ausläuft.
Der taz gegenüber gibt sich der Geschäftsführer Goran Nenadic höflich und auskunftsfreudig. Er sei mit den Meuterei-Betreibern in freundlichem Kontakt, habe ihnen angeboten, das Gewerbe selbst zu kaufen, und bereits per Mail einen Preis mitgeteilt, sagt er. Die Auskunftsfreudigkeit endet bei der Frage nach dem konkreten Preis. Ist es ein Preis, den das Kneipenkollektiv entbehren kann? „Ich bestimme nicht den Markt. Ich bin nur eine kleine Schraube im Marktgeschehen“, sagt Nenadic.
Goran Nenadic, Zelos Properties
Ein Kollektivmitglied der Meuterei, das seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, erzählt von einem Treffen mit Nenadic im September: „Ein junger, adretter Typ, der freundlich und nett war.“ Nenadic sei für das Gespräch in die Meuterei gekommen und habe sogar darauf bestanden, seinen Tee zu bezahlen. Er habe vor allem mit den Wohnungseigentümern argumentiert, die keine Kneipe unter sich haben wollten. Sie bestätigen, dass Nenadic dem Kollektiv angeboten hat, den Laden selbst zu kaufen – allerdings zu einem für das Kollektiv unbezahlbaren Preis.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Zelos Properties GmbH eine linke Kneipe verdrängt: Im Herbst 2012 kaufte die Firma die Torstraße 69, in dem das Baiz einst sein Zuhause hatte. Im Februar 2014 musste es raus. Die Kneipe fand neue Räume.
Einen Umzug könnte auch die Meuterei sich vorstellen, wie ein Kollektivmitglied sagt. Weit weg gehe aber nicht, man habe schließlich eine Kiezbindung: „Wir können nicht einfach nach Lichtenberg-Süd.“ Aber ein Umzug im Kiez erscheint den Kollektivmitgliedern als unwahrscheinlich. Die Kommerzialisierung des Kiezes, schon zu weit vorangeschritten. Die LED-Anzeige zeigt mittlerweile nur noch 100 verbleibende Tage an.
„Mit wehenden Fahnen untergehen“
Auf Wunder hofft hier niemand mehr, auch nicht auf politische Hilfe – selbst in einem Bezirk, in dem der grüne Baustadtrat Florian Schmidt Investoren ärgert. Der Kollektivsprecher sagt dazu: „Politiker wollen Wahlen gewinnen.“ Er fügt zumindest hinzu: „Wenn der gute Baustadtrat was tun will, dann soll er das. Wir werden ihn nicht darum bitten.“
Den Glauben hat die Meuterei trotz allem noch nicht verloren. Ganz in ihrer Nähe musste kürzlich mit Google ein Riese seine Investitionspläne aufgeben – nicht wegen der Politiker, sondern wegen der vielen Menschen, die vor dem geplanten Campus protestiert haben.
Unterstützer werden weiter mit dem mobilen Infowagen durch den Kiez fahren, das Kollektiv wird weitere Gespräche führen. Und wenn alle Stricke reißen, heißt es in einem Flyer der Meuterei, will man „mit wehenden Fahnen untergehen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“