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Klimawandel und Extremwetter„Jeder Mensch muss was von Hydrologie verstehen“

Hochwasser, Starkregen und Dürre treten häufiger und extremer auf. Wir brauchen neue Begriffe, um darüber zu sprechen, sagt Forscher Thorsten Wagener.

Die Flut im Ahrtal 2021 hat auch große Teile der Infrastruktur vor Ort beschädigt Foto: Christoph Hardt/imago
Yannik Achternbosch
Interview von Yannik Achternbosch

taz: Herr Wagener, es fühlt sich an, als käme es ständig zu Jahrhunderthochwassern. Was ist das überhaupt?

Thorsten Wagener: Das ist erst mal eine rein statistische Betrachtung. Aus Zeitreihen, die oft keine hundert Jahre lang sind, versucht man dabei abzuleiten, welcher Wasser­pegel in einem Zeitraum von hundert Jahren zu erwarten ist. Dies dient oft als Grundlage für Überschwemmungskarten oder als Designvariable für Deiche und andere Maßnahmen zum Hochwasserschutz. Gerade in den vergangenen Jahren traten starke Hochwasser aber immer häufiger auf, deswegen stellt sich die Frage, ob das so ein glücklicher Begriff ist.

taz: Warum treten starke Hochwasser häufiger auf?

Wagener: Unser Klimasystem ändert sich. Die statistischen Annahmen, mit denen wir etwa das Jahrhunderthochwasser berechnen, gehen aber von einem sta­tio­nären System aus. Es gab auch in der Vergangenheit Perioden mit häufigeren Ereignissen, die die Statistik durcheinandergewirbelt haben, etwa als es in den 1990ern mehrere Jahre hintereinander in den Niederlanden starke Hochwasser gab. Mittlerweile sind die Auswirkungen des Klimawandels aber immer stärker sichtbar, und das wirkt sich merklich auf den Wasserkreislauf aus. Deswegen sehen wir immer mehr Extreme und können gleichzeitig mit Begriffen wie „Jahrhunderthochwasser“ immer weniger anfangen.

taz: Also verwenden wir die falschen Begriffe?

Wagener: Gerade in den Medien werden oft Begriffe verwendet, die nicht mehr angebracht sind. Es ist zum Beispiel oft nicht hilfreich, über Naturkatastrophen zu reden. Das deutet an, dass die Natur irgendwas macht und wir dem ausgeliefert sind oder nichts damit zu tun haben. Die Auswirkungen von Naturkatastrophen sind aber davon abhängig, was wir machen, zum Beispiel wie und wo wir bauen. Auch der Begriff des Jahrhunderthochwassers suggeriert erst mal, dass wir nach einem dieser Ereignisse ein paar Jahrzehnte sicher sind, obwohl sich der gesamte Wasserkreislauf so stark ändert, dass es immer öfter auftreten kann. Wir brauchen eine neue Idee von Risiko und Risikokommunikation. Wir können unsere Einschätzung nicht mehr nur von historischen Daten ableiten. Wenn Sie sich etwa im Ahrtal die Karten mit den Überschwemmungen und den vorher ausgewiesenen Hochwasserzonen anschauen, liegen diese weit auseinander.

Im Interview: Thorsten Wagener

leitet an der Uni Potsdam die Arbeitsgruppe zur Analyse hydrologischer Systeme.

taz: Was kann dann die Grundlage für Risikoanalysen sein?

Wagener: Wir sollten nicht nur fragen, was wahrscheinlich passiert, sondern was überhaupt möglich ist. Eine Möglichkeit ist, dass wir einen Computer viele verschiedene Niederschlagsszenarien berechnen lassen und dann modellieren, welchen Einfluss diese hätten. Man kann natürlich nicht an jedem kleinen Fluss einen Damm bauen, aber so kann man sich zumindest des Risikos etwas bewusster werden und die Menschen entsprechend sensibilisieren. Es ist schwierig, sich immer richtig zu verhalten, wenn wir solche Extreme noch nie selbst erlebt haben oder wenn die Hochwasserzonen zu klein geschätzt sind. Bei der Flut im Ahrtal etwa starben viele der Opfer in Bereichen, wo sie sich sicher glaubten. Auch entwickelt sich das Risiko an unterschiedlichen Orten sehr verschieden. In einigen Regionen steigt die Gefahr, während sie andernorts sinkt.

taz: In Zentralafrika kam es zuletzt zu verheerenden Überschwemmungen, wie ist das zu erklären?

Wagener: Durch die Erwärmung der Atmosphäre steigt die Niederschlagsintensität, weil wärmere Luft mehr Feuchtigkeit speichern kann. Zudem sind die extremen Niederschläge jetzt in dafür ungewöhnlichen Regionen gefallen. Das hängt mit großräumigen Verschiebungen zusammen, die durch den Klimawandel zumindest beeinflusst werden. Die Böden dort sind oft sehr trocken und von Dürren betroffen, weshalb sie Wasser schlecht aufnehmen. Aus dem abfließenden Wasser bilden sich reißende Bäche und Flüsse. Das kann die Infrastruktur wie Staudämme zusätzlich belasten und überfordern.

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taz: Wie können die neuen Risiken verständlich kommuniziert werden?

Wagener: Das muss immer mehr Teil der Allgemeinbildung werden. Jeder Mensch muss ein bisschen was von Hydrologie und vor allem hydrologischen Extremen verstehen. Wichtig ist dabei, dass alle Menschen dieses Wissen für ihre Region begreifen. Wir können nicht allgemein sagen, dass 200 Liter Regen in einer Stunde überall zu einem Riesenunglück führen. Wenige Wochen nach der Flut im Ahrtal gab es beispielsweise in Potsdam ein ähnliches Niederschlagsereignis, aber unter komplett anderen Grundbedingungen. Der Regen hat nicht zu einer Flut geführt, sondern nur lokal die Straßen blockiert, denen man auf dem Fahrrad ausweichen musste. Deswegen müssen die Menschen die Besonderheiten ihrer Region kennen. Gibt es gefährliche Täler? Welcher Fluss hat die größte Hochwassergefahr? Wohin fließt Niederschlag hier ab?

taz: Gibt es Länder oder Orte, die da Vorbild sein können?

Wagener: Ich war vor Kurzem zu einer Forschungsreise in China. Da habe ich ein System gesehen, wo die Gullys auf Straßen mit einem Netz unter dem Deckel versehen werden. Bei starkem Niederschlag kann es vorkommen, dass der Deckel weggeschwemmt wird, dann entwickelt sich so ein Gully zu einer kaum sichtbaren Falle. Durch die Netze können Menschen trotzdem nicht hineinfallen. Solche kleinen Anpassungen können einen wichtigen Beitrag zum besseren Umgang mit Extremwetter leisten.

taz: Wie gut ist die Infrastruktur hierzulande auf das, was der Klimawandel in den nächsten Jahren mitbringt, vorbereitet?

Wagener: In den vergangenen Jahren ist mehr investiert und verbessert worden. Das große Problem ist allerdings, dass unser politisches System oft nicht vorsieht, dass wir Geld investieren, ohne dass vorher etwas passiert ist. Immerhin nimmt das Problembewusstsein zu. Ich hoffe sehr, dass wir bald ganzheitlicher über den Wandel des Wasserkreislaufs nachdenken. Maßnahmen zur Hochwasserprävention haben auch einen Einfluss auf Dürren. Das müssen wir alles zusammen neu denken.

taz: In den USA sind durch Hurrikane zuletzt mehr als 200 Menschen gestorben. Liegt das daran, dass die Menschen es nicht ernst nehmen, wenn sie aufgefordert werden, ihre Häuser zu verlassen?

Wagener: Jede Person kann mit ihrem Verhalten einen Beitrag zur eigenen Sicherheit leisten. Die Vorhersage von großen Systemen wie einem Hurrikan ist inzwischen relativ präzise möglich. Da sind riesige Regio­nen betroffen, extremer Niederschlag tritt hingegen oft nur sehr lokal auf. Den genauen Ort vorherzusagen ist schwierig. Natürlich müssen sich die Menschen in den Hurrikan-Gebieten dann aber dazu entscheiden, den Empfehlungen der Behörden zu folgen. Der Sheriff des Taylor County in Florida hat die Menschen, die trotz aller Warnungen in ihren Häusern bleiben wollten, gebeten, ihr Geburtsdatum und ihren Namen auf den Unterarm zu schreiben, damit sie im Todesfall einfacher identifiziert werden können. Ich denke, das war ein Versuch der Polizei, den Menschen die Gefahr sehr deutlich zu machen.

taz: Wie verhalte ich mich, wenn es bei mir zu Hause zu Hochwasser kommt?

Wagener: Eine wichtige Regel ist, niemals in den Keller zu gehen­. Selbst wenn das Wasser in einem Kellerraum weniger als einen halben Meter hoch steht, bekommt man die Tür schnell nicht mehr auf. Dann wird der Keller zum tödlichen Gefängnis. Dies kam auch im Ahrtal vor. Wichtige Dokumente sollten daher nicht im Keller aufbewahrt werden.

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