Klimawandel bedroht Nord- und Südpol: So wenig Eis wie nie zuvor

Bislang galt das Meereis der Arktis als besonders bedroht. Doch jetzt schlagen Klimaforscher auch für den Südpol Alarm.

Eisdickemessapparat wird von Helikopter herabgelassen

Es wird immer dünner: Der Eisdickemessapparat wird von Helikopter auf das AWI-Schiff herabgelassen Foto: Esther Horwarth

BERLIN taz | Nach gut 4.400 Kilometern erreichte das Forschungsschiff „Polarstern“ in der vergangenen Woche den Nordpol: Minus 0,3 Grad Celsius zeigte das Thermometer hier, wo es im Durchschnitt derzeit zwischen minus 15 bis minus 20 Grad kalt sein sollte. Aber vielleicht kommt die hohe Temperatur den etwa 50 Forschenden an Deck ja gelegen: Zwei Monate lang werden sie den Klimawandel am Nordpol erforschen, genau dann, wenn die Meereisausdehnung in der Arktis ihr jährliches Minimum erreicht.

Es ist seit vielen tausend Jahren der sich immer wiederholende Kreislauf: Am Nordpol scheint im Sommer 24 Stunden lang die Sonne, viel Energie trifft auf den Arktischen Ozean – das Meereis, das hier schwimmt, taut langsam ab. Am Südpol dagegen geht die Sonne dann gar nicht auf, es ist 24 Stunden dunkel und bitterkalt, der Ozean friert dort wieder zu. Im September ändert sich das, der Zug der Sonne sorgt dafür, dass es im Winter am Nordpol 24 Stunden dunkel ist und das Eis am Südpol wieder schmilzt.

Allerdings ist dieses jahrtausendealte Wechselspiel zwischen Tauen und Schmelzen durch den Klimawandel gehörig durcheinandergeraten: Neuen Untersuchungen zufolge hat der menschengemachte Treibhauseffekt die Arktis in den vergangenen 50 Jahren fast viermal so stark erwärmt wie die Welt im globalen Durchschnitt, wie For­sche­r:in­nen aus Norwegen und Finnland belegen. Sie werteten Temperaturdatensätze aus, nach denen sich die Arktis in den vergangenen vier Jahrzehnten durchschnittlich um 0,75 Grad erwärmte, seit 1980 also insgesamt ein Plus von 3 Grad.

Ein Grund für die überdurchschnittliche Erhitzung ist der sogenannte Albedo-Effekt: Wie ein Spiegel reflektiert die helle Eisoberfläche das Sonnenlicht – und damit auch die Strahlungsenergie. Dort aber, wo das Eis wegtaut, kommt die dunklere Wasseroberfläche zum Vorschein. Diese absorbiert die Strahlungsenergie stärker.

Teufelskreis zu warmes Wasser und tauendes Eis

Sehr helles Eis weist einen Albedo-Wert von 0,8 auf; es werden also 80 Prozent Strahlungsenergie ins Weltall zurückgestrahlt. Wasser besitzt dagegen nur den Albedo-Wert von 0,1. Bedeutet: 90 Prozent der Energie gehen in den Ozean. Je wärmer das Wasser wird, umso mehr Eis taut, was wiederum den Ozean anheizt. Ein Teufelskreis. Waren Anfang der 90er Jahre Ende September noch mehr als 7,5 Millionen Quadratkilometer mit Eis bedeckt, so sank die Fläche 2012 auf gerade noch 3,4 Millionen, der bisherige Negativrekord.

Allerdings ist die Messkurve in diesem Jahr rekordverdächtig: Ende vergangener Woche waren noch gut 4,4 Millionen Quadratkilometer Meereis übrig. Damit sind die Werte von 2021 und 2022 bereits unterschritten. „Noch wissen wir nicht, ob ein neues Minimum erreicht wird“, urteilt „Polarstern“-Expeditionsleiterin Antje Boetius, was aber nicht verwundern würde – „angesichts des global heißen Jahres 2023“.

Eine Studie der Universität Cambridge kam zu dem Ergebnis, dass der Nordpol bereits Mitte der 2030er Jahre im Sommer eisfrei sein könnte. Andere Arbeiten hatten dies erst für die 2050er Jahre prognostiziert. Unstrittig ist: Wird die Erderhitzung auf global durchschnittlich 1,5 Grad begrenzt, ist ein zeitweise eisfreier Nordpol rund alle 40 Jahre zu erwarten. Bei 2 Grad mehr wird das jedoch schon alle drei bis fünf Jahre der Fall sein.

Während die Forscher am Nordpol schon lange Alarm schlagen, galt der Eisbildungsprozess in der Antarktis lange Zeit als stabil. Doch in diesem Jahr scheint alles anders. Das ging schon mit dem Ende des antarktischen Sommers 2023 los: Nie war mehr Eis geschmolzen, im Februar waren nur noch 1,8 Millionen Quadratkilometer Meereis übrig, ein Zehntel der normalen Winterausdehnung.

Am Südpol fehlen eine Million Quadratkilometer Eis

Und während die Messdaten jetzt eigentlich einen kräftigen Anstieg belegen müssten, fehlen im Vergleich zu normalen Jahren eine Million Quadratkilometer schwimmendes Eis. „Das, was wir derzeit in der Antarktis sehen, wäre ohne den Klimawandel nur einmal in fünf Millionen Jahren denkbar“, sagt Olaf Eisen, Professor für Glaziologie am Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI): „Aber er wirkt nun einmal bereits jetzt.“

Noch sei nicht genau verstanden, warum das Meereis Mühe habe, auf den gleichen Stand wie in den früheren Jahren zu kommen. „Sicherlich spielt der wärmere Ozean eine Rolle“, so der Glaziologe. Tatsächlich erreichten die Ozeane derzeit mit durchschnittlich 21,1 Grad einen neuen Rekord, wie Messdaten der Universität Maine zeigen.

Warum uns die Eismassen an Nord- und Südpol interessieren sollten? Weil sie unser Wetter bestimmen – über den Jetstream, einen Höhenwind, der Hoch- und Tiefdruckgebiete von West nach Ost über die Nord- beziehungsweise ein anderer über die Südhalbkugel bläst.

Angetrieben wird dieser Wind von der Temperaturdifferenz der Pole zu den Tropen. Weil es am Nordpol aber immer wärmer wird, verliert der Jetstream seine Kraft und bewegt sich nicht mehr in den gewohnten Wellenbewegungen über die Nordhalbkugel. Meteorologen schreiben die Trockenheit im Frühjahr 2018, die Hitze im Sommer 2019 und das Hochwasser an Ahr und Erft 2021 dem lahmenden Jetstream zu.

Zum anderen leben unter dem Meereis zahlreiche Arten, die direkt vom Eis abhängen, verschiedene Einzeller, Schnecken, kleine Krebse oder die Larven des Krills: Diese garnelenförmigen Krebstierchen sind unerlässlich für das Nahrungsnetz der Ozeane. Weniger Eis bedeutet weniger Krill, bedeutet weniger Nahrung für andere Organismen.

Und zum Dritten treibt der jährliche Zyklus von Schmelzen und Gefrieren wichtige Meeresströmungen an und versorgt so die Ökosysteme der Ozeane auf der ganzen Welt mit Nährstoffen und Energie – im Norden ist es etwa der Golfstrom, im Süden die Antarktische Umwälzzirkulation. Eine Studie der University of Southampton legt nahe, dass die Antarktische Umwälzzirkulation bereits jetzt schwächelt, bis Mitte des Jahrhunderts könnte sie sogar 40 Prozent ihrer Kraft einbüßen. Solche Warnungen gibt es auch für den Golfstrom, der wie ein Wärmeband Europa mit Energie versorgt.

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