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Klimastreik in HamburgWestliche Privilegien im Fokus

Rund 12.000 Menschen gingen beim Klimastreik in Hamburg auf die Straße. Fridays for Future benennt gesellschaftliche Probleme deutlicher als früher.

Die Themen mischen sich: Klimastreik und Anti-Kriegsdemo Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | Dass sich bei diesem zehnten Klimastreik die Themen mischen, ist gut an den Plakaten zu erkennen: Darauf steht „Klimagerechtigkeit jetzt“ oder „Make peace not war“ auf blau-gelbem Grund. Die von Fridays for Future (FFF) organisierte Demonstration kann und will dieses Mal nicht allein für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels stehen, es ist eine Demonstration gegen ein krisenanfälliges System. Dafür kamen laut Ver­an­stal­te­r:in­nen etwa 12.000 Menschen am Freitagmittag in die Hamburger Innenstadt.

Die Stimmung ist friedlich, fast alle tragen Masken und halten Abstand, soweit das möglich ist. In den Reden ist Erschütterung spürbar: „Was zur Hölle geht ab mit dieser Welt?“, fragt FFF-Aktivistin Annika Rittmann die Menge: „Was zur Hölle tun wir hier eigentlich?“ Spontaner Applaus brandet auf, als Rittmann resümiert: „Wir können uns das Wegsehen nicht mehr leisten.“

Der Klimaforscher Mojib Latif hält eine kurze Rede, es gibt Musik von Alli Neumann. Und auch in den weiteren Redebeiträgen wird klar, dass Fridays for Future inklusiver werden will. Nicht nur werden weiße, westliche Privilegien benannt, auch Rassismus, Sexismus und kapitalistische Diskriminierung sind Thema.

Fridays for Future benennt die gesellschaftlichen Problemstellen deutlicher als früher, weiß die Zusammenhänge zwischen dem Krieg in der Ukraine, deutscher Abhängigkeit von fossilen Autokratien und der drohenden Klimakatastrophe klarer zu definieren. Im hinteren Teil der Demonstration hält eine Teilnehmerin ein kleines Plakat hoch. Darauf ist zu lesen „Dreadlocks für alle“.

Der Schritt nach vorne, den die Bewegung gemacht hat, hat eventuell die letzten Reihen noch nicht gänzlich erreicht. Die Richtung, in die sich FFF bewegt, steht jedoch fest. Hin zu einer Organisation, die den Klimawandel als globales Problem sieht, mit all seinen Verstrickungen in bestehende Diskriminierungs- und Unterdrückungssysteme.

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5 Kommentare

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  • Die Bewegung schiesst sich damit einfach nur (weiter) ins Aus.

    Die Stärke liegt bzw. lag ja eigentlich daran, auch Menschen (vornehmlich Jugendliche bzw. junge Erwachsene) anzusprechen, die allenfalls ein "bisschen links" sind.

    Durch bzw. mit dieser Erweiterung der thematischen Ausrichtung bzw. einer gewissen "Radikalisierung" wird genau das passieren, was in solchen Fällen im Grunde immer passiert (ist) - es wird weniger Menschen ansprechen und dadurch politisch (noch) wirkungsloser.

    Deshalb: Danke für nichts! An diejenigen, die diese Entwicklung befeuert haben. Dem ursprünglichen "Kernthema" wird damit nämlich ein Bärendienst erwiesen.

  • Ich frage mich ob man den niedrigeren Teilnehmerzahlen in diesem Jahr mit einer Erweiterung der Agenda entgegnen kann.

    Einer Agenda, die hauptursächlich im Kulturkampf des US-amerikanischen Umgangs mit der immer noch schwelenden Wunde der Sklaverei verhaftet ist.

    Nicht nur angesichts der Posse um die Ausladung von Fr. Maltzahn tauchen da doch Fragen bezüglich der Kontextualisierung und intelektuellen Durchdringung auf. Was genau bezweckt denn eine überwiegend weiße und priviligierte Jugend mit der Benennung weißer Privilgegien ?

    Wenn Frau Neubauer sich mokiert über "ein paar Stimmen, die sich gekränkt fühlen, wenn sie keine alleinige Diskurshoheit mehr haben" wundere ich mich über die Selbstgewissheit des eigenen Platzes in der Aufmerksamkeitsökonomie. Auch der - nicht allein durch Deutschland aufzuhaltende - Klimawandel wird sich global primär durch massive Intensivierung von Verteilungskämpfen und Migrationsbewegungen niederschlagen.

    Wenn der Autor diese Entwicklung von "FFF" als einen "Schritt nach vorne" bezeichnet, frage ich in Relation zu was ? Ist dabei erheblich, in welche Richtung sich - und damit uns - Ereignisse und Ansichten bewegen ?

    Ich fürchte, diese Generation wird bitterste Lektionen lernen müßen, von denen ich mir wünschte sie wären ihnen erspart geblieben. Dabei kann ich nur hoffen, dass sich ein Teil ihres Idealismus bewahren läßt und tatsächlich noch Einzug in die gelebte Realität erhält.

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    "weiß die Zusammenhänge zwischen dem Krieg in der Ukraine, deutscher Abhängigkeit von fossilen Autokratien und der drohenden Klimakatastrophe klarer zu definieren"

    Zusammenhänge vermischend derart darzustellen, dass



    1.) ein ohnehin historisch schuldbehaftetes Deutschland nun in der Verantwortung für Putins Krieg stehe,



    2.) daraus noch ein doppelter Zopf für Deutschlands hehres Ziel der grünen Energien geflochten und



    3.) heutiger Klimawandel anscheinend hier als "nur vom Menschen verursacht"



    definiert wird, ist schon schräg.

    Im Gegenzug wäre bitteschön zu eruieren:



    1.) Wieviel Prozent der Demonstranten fahren selbst Auto, Motorrad...?



    2.) Warum wird seit vielen Jahren in Deutschland einem Tempolimit ganz klar entgegengewirkt?



    3.) welchen weltweit prozentualen Anteil hätte ein Deutschland, frei von fossilen Energien, frei von Kohle ...?

    Wenn globaler Handel mit kapitalistischem Wirtschaftslobbyismus und noch dazu abgeschöpften Subventionen in einen Topf geschmissen würde, müssten viele "Flaggen und Wimpel" wehen, und zwar schon lange!

    In der Golfregion lagert das größte Erdölvorkommen der Welt. Wer glaubt, dass jene Geschäftemacher freiwillig "ihre Läden dicht machen werden", glaubt auch noch an den Weihnachtsmann ....

  • was geht schon ab ... ?

    für wohlbehütet aufgewachsene, junge erwachsene echt 'ne herausforderung, die welt von ihrer häßlichen seite kennenzulernen.

    dabei ist das der normalfall !



    von dem die westliche welt in ihrem eigenen hausflur und vor der tür lange verschont blieb.

    jugoslawien ... ?



    dafür war fff damals noch zu jung und spielte noch ungetrübt im sand oder auf dem ponyhof.

    • @adagiobarber:

      Falls Sie den Bosnienkrieg meinen - der wurde 1992 bis 1995 geführt. Nicht einmal Luisa Neubauer ist so alt (Jahrgang 1996). ;-)