Klimastreik an Universitäten: Profs for Future
An vielen Hochschulen finden in der kommenden Woche Vorlesungen zum Klima statt – auch in den Studiengängen Jura, Sport und Informatik. Fünf Dozierende erzählen.
Im November 2019 riefen „Students for Future“-Gruppen kurz vor der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Madrid zum bundesweiten Klimastreik an Hochschulen auf. Statt Uni nach Kursplan sollte es über eine Woche hinweg Veranstaltungen rund um das Thema Klimakrise geben – für alle Bürger:innen öffentlich zugänglich. Die Public Climate School war geboren. Rund 80 Hochschulen beteiligten sich damals daran.
Die Welt steuert durch ihre fossile Wirtschaft auf 2,5 Grad Erderhitzung zu, wie ein UN-Bericht gerade gezeigt hat. Das hätte katastrophale Folgen für Lebensraum und Ernährung vieler Menschen. Mit dem Paris-Abkommen haben alle Regierungen versprochen, die Erderhitzung bei „deutlich unter 2 Grad“ zu halten, möglichst sogar bei 1,5 Grad. Nächste Woche treffen sie sich in Ägypten zur 27. Weltklimakonferenz.
Vom 7. bis zum 11. November findet die mittlerweile 7. Public Climate School statt. Ab Montag halten wieder zahlreiche Dozierende aus den verschiedensten Fachbereichen Vorlesungen rund um die Themen Nachhaltigkeit und Klimakrise – und zwar nicht nur in den Naturwissenschaften. Ein Teil der Veranstaltungen wird live gestreamt oder als Video aufgezeichnet. Bislang haben mehr als 30 Hochschulen ihre Teilnahme zugesagt. Alle Infos unter publicclimateschool.de.
Was kann man aus Informatik, Linguistik, Sport, Politikwissenschaften oder Jura über die Klimakrise lernen? Wir haben nachgefragt: Fünf Dozierende haben der taz erzählt, warum sie dem Aufruf von Studierenden dazu gefolgt sind, was die Erderhitzung mit ihren Fachbereichen zu tun hat und weshalb sie deswegen gern vom regulären Kursplan abweichen.
„Der Mensch tritt in der Opferrolle auf“
Der Klimawandel bleibt ein globales gesellschaftliches Problem, für das bislang keine adäquaten Lösungen gefunden wurden. Meine Kollegin Patricia de Crignis und ich haben deshalb begonnen, das Sprechen über den Klimawandel zu untersuchen. Unser Ziel war es, über die Sprache Denkmuster identifizieren zu können – und so eventuell zu erkennen, was fehlt, um handlungsfähig zu werden.
Als Linguist:in befasst man sich zunächst mit sprachlichen Strukturen, also mit Grammatik und Wortschatz. Andere Bereiche wie die Diskurslinguistik beschäftigt sich unter anderem mit sogenannten Frames, die innerhalb eines Diskurses aktiviert werden. Damit ist gemeint, dass durch unterschiedliche Formulierungen ganz unterschiedliche Deutungsrahmen in unseren Gehirnen ausgelöst werden, auch wenn es um ein und denselben Sachverhalt geht.
In der Studie, die wir in Kassel im Rahmen der Public Climate School thematisieren, haben wir Medienberichte zur Weltklimakonferenz 2021 und zu den Waldbränden 2021 in Spanien und Frankreich analysiert. So konnten wir vier Frames identifizieren, die in der Klimawandeldebatte häufig vertreten sind. Erstens wäre da die feindliche Begegnung. Der Mensch kämpft gegen den Klimawandel. Dann zweitens die Katastrophe, was in diesem Zusammenhang vielleicht nicht so überraschend ist. Weiter konnten wir Krankheit identifizieren. Da steht die Natur oder die Umwelt im Fokus, die unter dem Klimawandel leidet oder kollabiert. Und dann noch der religiöse Glaube, zum Beispiel wenn von Apokalypse, Schuld und Sünde die Rede ist.
Der Mensch tritt überwiegend in der Opferrolle auf. Und wenn es um ein eher abstraktes Thema wie die Klimakonferenz geht, dann ist der Mensch gar nicht so sehr im Vordergrund. Da wird als Aggressor der Klimawandel selbst genannt. Diese Denkmuster zu erforschen ist der erste Schritt in die richtige Richtung.
Teresa Gruber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanische Philologie der Universität München.
„Klima wirkt sich auch auf Sport aus“
Schon seit dem Sommersemester versuche ich, das Thema nachhaltige Entwicklung in die Lehre zu integrieren. Meine Veranstaltung für die Public Climate School ist Teil einer Vorlesung zur Didaktik im Sportunterricht, die ich auch so gehalten hätte. Aber ich konzipiere den Termin ganz neu, ich kann da nichts einfach aus der Schublade ziehen.
Generell versuche ich bereits, das Thema weiter zu fassen: Was passiert eigentlich mit Sport, wenn er zum Unterricht wird? Da geht es mir um viele Aspekte nachhaltiger Entwicklung, auch um Inklusion und um den Umgang mit Heterogenität.
Für die Public Climate School will ich mich aber auf ökologische Aspekte fokussieren. Sportflächen, Sportkleidung, Sporternährung – das hat ja alles auch Auswirkungen auf das Klima. Und der Klimawandel wirkt sich ja auch auf den Sport aus. Unsere Studierenden kriegen das direkt mit. Sie müssen Wintersport machen, Ski oder Eislauf. Das wird ja immer schwieriger, nur mit den natürlichen Ressourcen. Und unsere Außensportanlagen sind unglaublich exponiert. Wenn es da heiß wird, was ja immer häufiger der Fall ist, sollte man dort eigentlich keinen Sport machen.
Gerade in unserem Fach zieht man sich oft sehr auf den besonderen Status zurück: Wir sind der Sport, wir sorgen für Bewegung – mit gesellschaftlichen Fragen müssen wir uns gar nicht befassen. Das sehe ich anders. Ich persönlich denke, dass es allen Fachdidaktiken guttut, auch mal über den Tellerrand zu gucken.
Matthias Zimlich ist promovierter Sportwissenschaftler. Er forscht und lehrt an der Uni Würzburg.
„Die Klimawoche ist ein guter Anlass“
Bei der Public Climate School mache ich zum ersten Mal mit – und ich freue mich schon sehr darauf. In den Rechtswissenschaften sind nämlich nicht alle euphorisch, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Das aber muss sich dringend ändern. Denn warum sollten Unternehmen nicht stärker dafür haftbar gemacht werden können, ob sie umweltverträglich wirtschaften?
Die Gesetze in Deutschland jedenfalls sind offen für solche Fragestellungen. Jetzt müssen wir Jurist:innen sie auch stärker an den Hochschulen diskutieren. Auch, weil Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Juristischen Staatsexamen bisher nicht geprüft werden – und entsprechende Vorlesungen von vielen Studierenden deshalb auch nicht belegt werden.
Ich erlebe das jede Woche. In meine Vorlesung „Gesellschaftsrecht“ kommen aktuell 200 bis 300 Studierende, weil das prüfungsrelevanter Stoff ist. In meiner Vorlesung „Recht der Nachhaltigen Wirtschaft“ sind wir nur zu acht. Es muss sich unter Studierenden noch besser herumsprechen, dass wir als einer von wenigen Lehrstühlen bundesweit Wirtschaftsrecht auch mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit anbieten. Die Klimawoche ist dafür ein guter Anlass.
Meine Studierenden im Gesellschaftsrecht bekommen deshalb zu hören, was Unternehmen für eine nachhaltige Transformation tun können. In meiner dritten Vorlesung geht es um den Vergleich von Rechtsordnungen verschiedener Staaten. Für die Klimawoche vergleichen wir hier die verschiedenen Lieferkettengesetze in der EU.
Diese Themen stoßen an meiner Fakultät auf viel Offenheit. Rund 20 Veranstaltungen kommen allein von uns. Ich hoffe, an anderen Unis ist das Engagement genauso hoch.
Anne-Christin Mittwoch ist Professorin für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Uni Halle-Wittenberg.
„Ich werde das jetzt öfter machen“
Für die Klimawoche spreche ich über den Energieverbrauch von Software. Warum es relevant ist, sich gute Programmierkenntnisse anzueignen. Was es bedeutet, einen schlechten Algorithmus zu programmieren, und was das für den Energieverbrauch heißt.
Ein Laptop hat vielleicht 30 Watt Maximalleistung, ein Desktop PC bis zu 600 Watt. Wenn man den mit einem Programm voll ausnutzt, dann ruft er auch permanent diese Leistung ab.
Da muss man als Informatiker gucken, was für Algorithmen es für die Problemstellung gibt, und einen möglichst effizienten wählen. Das lernen die Studierenden zwar, aber wir stellen dabei eher die Laufzeit des Algorithmus in den Vordergrund, nicht die Vorteile für den Energieverbrauch.
Und es gibt auch noch weitere Wege, wie Programmierer Energie sparen können. Man kann zum Beispiel versuchen, die unterschiedlichen Hardware-Einheiten gut auszunutzen. Der Energieverbrauch hat aber auch damit zu tun, welche Programmiersprachen man einsetzt. Moderne Programmiersprachen haben häufig einen recht großen Energie-Overhead. Die bieten den Leuten, die programmieren, eine gewisse Einfachheit. Sie gewinnen also Produktivität, aber bezahlen das auch mit einer schlechteren Energiebilanz.
Ich finde, die Public Climate School ist eine total gute Aktion. Bevor ich dafür angefragt wurde, hatte ich überhaupt noch nicht drüber nachgedacht, das Thema Energieverbrauch in meine Veranstaltungen einzubringen. Ich werde das jetzt öfter machen. Gute Programmierung ist ein schweres und manchmal trockenes Thema. Aber es ist wichtig: Es macht später im Berufsleben den Unterschied hinsichtlich vieler Kriterien aus, darunter der Energieverbrauch.
Sven Karol ist Professor für Informatik/Programmierung an der Hochschule Merseburg.
„Klimaschutz ist oft gender-blind“
Frauen sind international überrepräsentiert in ärmeren Schichten, sie sind durch ihre sozialen Rollen oft abhängiger von natürlichen Ressourcen – und gehören so zu den verletzlichen Gruppen, die am meisten unter dem Klimawandel leiden. Trotzdem ist Klimaschutz oft „gender-blind“, wie wir es im Titel zu unserer Veranstaltung für die Public Climate School nennen.
An der Oberfläche sieht es teilweise schon so aus, als hätte die Politik den Zusammenhang auf dem Schirm. Eines der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen ist zum Beispiel die Gleichstellung der Geschlechter. Wir möchten kritisch hinterfragen, ob das nur Wording ist oder ob wirklich eine Strategie dahintersteht. Meine Kollegin Alba María Kugelmeier López, mit der ich die Vorlesung gemeinsam halte, und ich werden diskutieren, inwiefern die Europäische Union ihren Green Deal und ihre Strategie für Geschlechtergerechtigkeit miteinander verbindet. Schon mal ein bisschen vorweggenommen: Es gibt da noch große Baustellen, beides wird noch nicht genügend zusammengedacht.
Aber es gibt schon grundsätzlich Hoffnung, dass sich das verändert. Auch in der Wissenschaft ist das so. Ich spreche vielleicht so ein bisschen aus einer Blase heraus, denn unser Lehrstuhl heißt direkt Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Entwicklung.
Insgesamt habe ich aber auch den Eindruck, dass der Klimawandel als Thema in der Politikwissenschaft wichtiger geworden ist. Es setzt sich langsam das Verständnis durch, dass Nachhaltigkeit etwas Interdisziplinäres ist. Das kann man nicht nur geologisch oder physikalisch oder soziologisch oder politikwissenschaftlich betrachten. Wir brauchen interdisziplinäre Foren für die Klimaforschung.
Juliana Hilf ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Magdeburg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus