Klimapolitik der Bundesregierung: Unbemerkt das Ziel erreicht
Deutschlands Emissionen stiegen 2021, blieben aber unter dem gesetzlichen Limit. Ein neues Sofortprogramm soll helfen. Aber was heißt „sofort“?
Die Politik übte sich in Selbstkritik. „Nach einem deutlichen Rückgang im Vorjahr steigen die Treibhausgasemissionen in Deutschland wieder an“, erklärten Wirtschaftsministerium und Behörde. Um 33 Millionen Tonnen oder 4,5 Prozent nahmen die Emissionen 2021 gegenüber dem coronabedingten Einbruch von 2020 zu – auf jetzt 762 Millionen Tonnen. „Die Reduzierung von 2020 ist fast zur Häfte wieder verloren“, warnte UBA-Präsident Dirk Messner. Und Klima-Staatsekretär Patrick Graichen kündigte an, die Regierung „wird dem jetzt mit einem Klima-Sofortprogramm zügig entgegenwirken. A und O ist ein wesentlich höheres Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien.“
Nach 100 Tagen der „letzten Regierung, die noch aktiv Einfluss auf die Klimakrise nehmen kann“ (so die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock im Wahlkampf) steckt die deutsche Klimapolitik in einer absurden Situation: Einerseits Rückschritte, doch das gesetzliche Klimaziel wurde auch 2021 locker erreicht. Andererseits verstößt die Emissionsentwicklung der einzelnen Sektoren im zweiten Jahr hintereinander gegen das Klimaschutzgesetz (KSG). Diese zentrale Norm wiederum zeigt Schwächen und soll deshalb beim umstrittenen Punkt der „Sofortprogramme“ geändert werden. Und gleichzeitig wird deutlich: Mit ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Ampel den beim Verkehr einfachsten Weg verboten, das Gesetz zu erfüllen – ein Tempolimit.
Das politische Klimaziel jedenfalls wird zwar verfehlt, die juristisch entscheidende Marke aber erreicht. Denn die gesetzliche Marke für Deutschland beträgt keineswegs minus 40 Prozent – das ist nur das politische Versprechen. Im Gesetz steht etwas anderes: Rechnet man die Sektorziele für Energie (für 2021 ohne Zahl, aber im Mittel zwischen 2020 und 2022), Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfall im KSG für 2021 zusammen, ergibt sich eine Obergrenze von 786 Millionen Tonnen – 24 Millionen Tonnen höher als die 762 Millionen Tonnen, die 2021 ausgestoßen wurden. Das Klimaziel im Gesetz steht damit für 2021 nur bei minus 37,1 Prozent – minus 38,7 wurden aber erreicht.
Emissionen nehmen zu
Obwohl der Bundestag hier das Klimaschutzgesetz so großzügig geschneidert hat, reißen trotzdem viele Sektoren ihre Ziele: In praktisch allen Bereichen legten die Emissionen gegenüber dem Coronajahr 2020 zu, besonders in der Stromwirtschaft, weil teures Gas durch dreckige Kohle verdrängt wurde und wenig Wind wehte. Der gesetzliche Emissionsdeckel wird allerdings beim Verkehr und bereits zum zweiten Mal nach 2020 bei den Gebäuden gerissen. Die Landwirtschaft wiederum hält ihren Rahmen ein, allerdings ist das „vor allem durch methodische Verbesserungen in der Berechnung“ begründet, erklärt das UBA – und die geringere Zahl von Rindern und Schweinen resultiere nicht aus kluger Klimapolitik, sondern aus dem Höfesterben, kritisiert die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.“
Laut Gesetz ist für Verkehr und Gebäude nun ein Sofortprogramm nötig, wenn der „Expertenrat für Klimafragen“ in einem Monat die Daten geprüft hat. Ein solches Notprogramm zur Einhaltung des Gesetzes hat die Regierung ja auch schon angekündigt. Die Ministerien haben dafür ihre Vorschläge bereits ans Wirtschafts- und Klimaministerium übermittelt, intern werde jetzt gesichtet und geprüft, heißt es. Problemfälle sind vor allem die Bereiche Gebäude und Verkehr. Hier wirken Maßnahmen nur langsam und in den vergangenen Jahren ist wenig passiert – auch wenn im letzten Jahr zusätzliche Milliarden dafür freigegeben wurden.
Konkrete Maßnahmen wollen die Ministerien noch nicht nennen, aber eine Änderung zum Gesetz ist schon klar: Statt einzelner Ad-hoc-Pläne der Ressorts will das Wirtschaftsministerium aus den Vorschlägen ein einziges Sofortprogramm schneidern. Das kann die Regierung verordnen. Für einen anderen Schritt plant sie eine Gesetzesänderung: die jahresscharfen Klimaziele zu kassieren und die Obergrenzen der Sektoren auf mehrere Jahre zu verteilen. „Wir sollten aus der Planwirtschaft der Jahresziele aussteigen und uns im Einklang mit den EU-Zielen aus dem Pariser Abkommen in Richtung mehrjährige Ziele bewegen“, fordert der FDP-Klimaexperte Lukas Köhler. Auch im Koalitionsvertrag ist schließlich von einer „sektorübergreifenden mehrjährigen Gesamtrechnung“ die Rede.
Viele Stellschrauben
Was jetzt „sofort“ zu tun ist, ist relativ klar. In der Energiewirtschaft muss sich das Tempo beim Bau von Wind- und PV-Anlagen verdreifachen. Vereinfachte Regeln für den Windausbau an Land sollen schon im „Osterpaket“ der Regierung beschlossen werden. Für den Gebäudebereich fordern ExpertInnen eine große Informations- und Werbekampagne zum Energiesparen. Das Wirtschaftsministerium hat bereits im Januar angekündigt, mehr Geld für effizientes Bauen zur Verfügung zu stellen und das „Gebäudeenergiegesetz“ auf Klimaneutralität 2045 auszurichten. Dann kann das faktische Verbot von Gas- oder Ölheizungen ab 2025 vorgezogen werden – das wäre dringend nötig, denn 2020 wurden nach Daten des UBA von 929.000 neuen Heizungen immer noch 700.000 Gasanlagen eingebaut und nur 154.000 elektrische Wärmepumpen, die Emissionen deutlich senken. Für schnelle Einsparungen braucht es Verhaltensänderungen, die man nicht per Gesetz erlassen kann: die Heizung runterdrehen oder die Einstellung der Heizanlage optimieren.
Auch beim Verkehr gibt es viele Stellschrauben. Das UBA hat kalkuliert, was sie im Jahr 2030 an CO2-Minderungen bringen könnten: etwa mehr Elektro-Pkws (13 bis 15 Millionen Tonnen), Förderung von Elektro-Lkws (7 bis 10 Mio. Tonnen), weniger ökofeindliche Subventionen (5 bis 6 Millionen Tonnen) oder Stärkung von Bussen und Bahnen (jeweils 3 bis 5 Millionen). Das Problem dabei: Die Maßnahmen wirken erst 2030, für ein Sofortprogramm kommen alle diese Schritte zu spät. „Die einzige wirklich schnelle und effektive Maßnahme wäre ein Tempolimit“, sagt Martin Schmied, Fachbereichsleiter Umweltplanung und Nachhaltigkeitsstrategien beim UBA. „Das brächte bei 120 km/h auf der Autobahn und 80 km/h auf Landstraßen etwa 3,5 Millionen Tonnen jährlich.“
Das ist ziemlich genau die Menge, um die der Verkehr derzeit seine gesetzliche Obergrenze überschreitet. Genau dieses Instrument aber hat sich die Ampel auf Druck der FDP im Koalitionsvertrag selbst verboten.
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