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Klimaforscherin über Zertifikatehandel„Der Emissionshandel ist erlahmt“

Emissionszertifikate seien zu billig, weil die EU zu viele ausgebe, sagt Antonella Battaglini. Ihr Verein Compensators kauft sie auf.

Das Kohlekraftwerk Jänschwalde zählt zu den fünf größten CO2-Sündern Europas Foto: reuters
Interview von Patrick Jütte

taz: Frau Battaglini, die EU-Minister verhandeln heute über die Emissionsvorgaben der Industrie. Es geht um Milliarden Tonnen CO2. Wieso sollte ich in diesen Handel einsteigen?

Antonella Battaglini: Es ist immer leicht, seine Verantwortung zu delegieren. Aber wenn ich ein Flugzeug nutze und mir der Klimawandel nicht egal ist, dann will ich diese CO2-Verschmutzung persönlich kompensieren. Der Emissionshandel ist dafür der wesentliche Mechanismus. Wir vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung wollten jedem Bürger ermöglichen, an diesem Mechanismus teilzuhaben. Privatpersonen sollten für ihre eigenen Emissionen Zertifikate, sogenannte Allowances, kaufen und der Industrie entziehen können.

Es gibt bereits viele Angebote, den eigenen Fußabdruck über Öko-Projekte in Entwicklungsländern zu kompensieren. Was macht „Compensators“ ­anders?

Compensators ist neben der britischen Partnerorganisation Sandbag der einzige Verein, der Emissionen über den Aufkauf und das Löschen von Allowances abbaut. Andere NGOs nutzen den Clean Development Mechanism (CDM). Sie gleichen das in Europa produzierte CO2 durch nachhaltige Projekte in Entwicklungsländern aus. Für unsere Industrie stellt das eine Hintertür dar, weitere Emissionsrechte einzuschleusen. Je mehr Zertifikate durch solche Projekte generiert werden, desto niedriger fällt ihr Preis aus – ein Fehler im EU-Emissionshandel.

Aber ist es nicht sinnvoll, kenianischen Bauern eine Minibiogasanlage bauen zu helfen?

Doch natürlich, aber das darf nicht negativ auf die europäische Emissionsbilanz zurückschlagen. Einige NGOs bieten den Goldstandard, sie verkaufen ihre erworbenen Zertifikate nicht weiter. Für andere ist das Kompensationsgeschäft allerdings ein big business. Ihre CDM-Projekte sind häufig fragwürdig und unterliegen keiner Kontrolle. Unter Kritikern kursiert der CDM als „China Development Mechanism“, weil viele Spendengelder in dem finanzstarken Land investiert werden.

Bild: Daniel Pasche
Im Interview: Antonella Battaglini

ist Forscherin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Programmdirektorin der Plattform Smart Energy for Europe. 2006 gründete sie mit zwei Kollegen den Verein Compensators.

Das Europäische Parlament sieht vor, 800 von 2.000 Millionen überschüssigen Zertifikaten aus dem Markt zu nehmen. Ein Quantensprung?

Der Preis pro Zertifikat, also pro Tonne CO2, ist seit Jahren deutlich zu niedrig. Um die Karbonisierung aufzuhalten, müsste er mindestens bei 30 Euro liegen, nicht wie heute bei 5. Der Vorschlag des Europäischen Parlaments verknappt gerade mal den Überschuss. Auch das Banking wird nicht abgeschafft. Es erlaubt Unternehmen, ihre überschüssigen Zertifikate in die nächste Handelsperiode zu übernehmen – sie sollten automatisch gelöscht werden, sonst gibt es eine CO2-Inflation aus der Vergangenheit. Außerdem gehören alle Hintertüren aus dem Emissionshandel geschlossen. Die deutsche Konsumgüterindustrie zum Beispiel ist sehr CO2-lastig und dürfte nicht von den Klimakosten ausgenommen werden.

Können wir Privatleute die Versäumnisse der Politik kompensieren, indem wir den Emissionsmarkt aufkaufen?

Unsere Spender sind meist junge Studenten, die 5 Euro im Monat aufbringen. Bald werden wir über 17.000 Tonnen CO2 aufgekauft haben. Das ist wenig, verglichen mit den Milliarden an Tonnen, die in der EU gehandelt werden. Wenn aber morgen eine Millionen Menschen jeweils ein Zertifikat kauften, wäre der Preisanstieg eine Botschaft an die Politiker, ihrerseits zu handeln, und an die Unternehmen, dass sie nicht ewig auf billige Verschmutzung setzen können. Momentan fehlt dem Emissionsmarkt dazu noch die Dynamik – er ist erlahmt!

Ist privater Emissionshandel nicht auch Ablasshandel? Statt aufs Fliegen zu verzichten, kaufe ich eine gute Öko-Bilanz.

Unsere Kunden wollen nicht wie im Mittelalter reisen, sind sich ihrer Verantwortung aber bewusst. Darum geht es beim Kompensieren: auch die private CO2-Bilanz mit einzurechnen und zugleich den öffentlichen Druck zu erhöhen, unsere Wirtschaft emissionsärmer zu gestalten.

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14 Kommentare

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  • Ich stimme meinem Vorredner zu: es ist und bleibt Ablasshandel: "Ich armer Student fliege mit einer Billig-Airline auf ein verlängertes Wochenende und spende 5(!) Euro, damit "die Politik" irgendetwas ändert. Jeder solle sich selbst hinterfragen, was er da tut. Und einmal Jänschwalde ist nicht schlimmer als 45 Mio PKW oder 10 Mio Flugreisen, sondern nur konzentrierter.

    • @Energiefuchs:

      Also wenn ich die Wahl hätte zwischen 45Mio. PKWs und Jänschwalde oder 10 Mio. Flugreisen würde ich Jänschwalde nehmen.

      Es ist kein Ablasshandel da die Kohle ja nicht in neue goldene Kerzenständer investiert wird sondern in C02 minderne Projekte. Mal davon ab wird das seit Ewigkeiten gemacht.

      Was ist daran nicht zu verstehen dass es Sinn macht als Konsument, wenn man nicht verzichten kann, einen Ausgleich zu schaffen? Nur eben mit den EU Zertifikaten welche für die Industrie gedacht sind und durch den Kauf von Privatleuten verteuert werden und damit einen Anreiz zum CO2 sparen hätten.

      • @FriedrichH:

        Es muss aber nach der Theorie zur 2-Grad-Grenze der gesamte CO2 Neueintrag gestoppt werden, nicht nur gemindert. Flugreisen dürfen daher nicht erlaubt sein. Alles was neu entwickelt und produziert wird, muss mit solarer Energie oder Muskelkraft auskommen. CO2 kann dann wieder aus der Athmosphere durch Humusaufbau und teilweise Aufforstung entnommen werden. Das sind schöne langfristige Ziele. Kurzfristig muss der Einzelne sein Konsumverhalten überprüfen.

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    "Unsere Kunden wollen nicht wie im Mittelalter reisen, sind sich ihrer Verantwortung aber bewusst"

     

    Ok. Nicht ich ändere mich - die Anderen (hier: die Wirtschaft) sollen ihr Verhalten ändern.

    Frau Battaglini weist einen pfiffigen Weg auf, wie wir via Einstieg in den Emissionshandel anonym andere manipulieren um uns selbst freizukaufen.

     

    Es ist zutiefst unethisch, Verantwortung auf diese Weise abzugeben.

    Ich wünschte, die Dame würde sich eine andere Beschäftigung suchen.

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Sie könnte ja stattdessen pampige und überzogene Onlinekommentare verfassen und Menschen kritisieren, die sich aktiv für die Verbesserung eines Misstandes einsetzen.

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Ich merke an: Battaglini hat sich dieses System nicht ausgedacht. Sondern sieht hier eine Möglichkeit wie ich Verantwortung für mein Handeln übernehmen kann. Natürlich ist nicht fliegen immer besser.

      Was soll diese Anfeindung?

      • 6G
        61321 (Profil gelöscht)
        @FriedrichH:

        .

        "...wie ich Verantwortung für mein Handeln übernehmen kann."

         

        Das ist der springende Punkt. Sie definieren "Verantwortung übernehmen" anders als ich.

        Nach Ihrer (und Battaglinis) Devise heißt es in aller Konsequenz: ich kann so ziemlich anstellen, was ich möchte, wenn ich nur einen opportunen Mechanismus der Kompensation finde, einen Trick also der mein Handeln ungeschehen machen soll.

        Gehen Sie mit den Ihnen verfügbaren Ressourcen um wie Sie denken es vertreten zu können. Aber lassen Sie den Selbstbetrug, auch wenn er heute sehr en Vogue ist.

        • @61321 (Profil gelöscht):

          Nein ich betrachte es als eine diskutable Variante Schaden welchen ich mich entscheide zu tun an anderer Stelle auszugleichen.

          An irgendeiner Stelle muss man doch ansetzen.

          Selbsbetrug kann man es von einem höheren moralischen Standpunkt gern nennen. Bringt aber die Diskussion kaum weiter. Natürlich sind die Zertifikate momantan Schwachsinn da sie nix wert sind und im Überfluss vorhanden. Aber ganau dass soll angegangen werden.

          • @FriedrichH:

            Nein, zu denken, Schaden, den man sich bewusst entscheidet zu tun, könnte kompensiert werden, ist unmoralisch.

            • @Energiefuchs:

              Das ist die praktische Verneinung des Lebens... das nenne ich Scheinheilig. Oder sagen Sie mir jetzt Sie leben ohne Einfluss auf die Umwelt? Ob Sie es Schaden, Einfluss oder Auswirkung nennen ändert nichts an der Tatsache.

              • @FriedrichH:

                Ich denke mal, Polarisierung hilft da nicht viel. Ebenso ist es kontraproduktiv als Flugreisender Nichtfliegenden vorzuwerfen, sie würden ja noch nicht zurückgezogen als Selbstversorger leben, oder sie wären antihedonistisch usw.. Wie wäre es denn, privat nicht nur auf Flugreisen und Autofahren zu verzichten und sondern für diesen Lebenswandel auch zu werben? Dann ersetzte z.B. Fahrradfahren "das Fitnessstudio", zu dem vorher mit dem Auto gefahren wurde. ;)

                Allerdings - so wichtig auch Einstellungs- und Handlungsänderungen sind, an Industrie und Kapitalismus ändern sie allein kaum etwas...

                • @Uranus:

                  Ich polarisiere nicht.

                  Ich stelle lediglich fest: Wir leben, wir treffen Entscheidungen. Machen wir uns bewusst welche Folgen unser Tun hat und versuchen zu kompensieren oder zu vermeiden. Um nichts anderes geht es bei der Idee des Emmisionshandels.

                  Wenn sich hier Leute hinstellen und sagen "alles Scheinheilig" ist das unangemessen.

                • 6G
                  61321 (Profil gelöscht)
                  @Uranus:

                  Danke für Ihren Einwurf Uranus.

                  Ich möchte Ihnen erne entgegen halten - der Kapitalismus, die Industrie, die mit den Ressourcen und Umwelt nicht zimperlich umgeht (und Sauereien an der Umwelt anrichtet) wenn man sie machen lässt, das ist kein abstrakter Apparat, der irgendwo, völlig entrückt von uns Einzelnen von bösen Mächten in Gang gehalten, vor sich hin brummt.

                  Dieser industrielle Komplex (mal abgesehen von der Waffenindustrie) ist von uns allen getragen, von uns Konsumenten (und den Konsumenten unserer Handelspartner). Wir in unserer Gesamtheit bestimmen, wohin die Entwicklung geht. Wir lassen uns gerne zum Konsum verführen und geben unsererseits aktiv durch unsere ständig neu fantasierenden Begehrlichkeiten Anreize für neue Angebotsversuche.

                  Im Südsudan sind gerade viele Menschen vom Hungertod bedroht. Nehmen Sie einen dieser Menschen, vergleichen Sie den Ressourcen-Verbrauch seines ganzen Lebens mit meinem beispielsweise, dem eines Mitteleuropäers, der zwar auch konsumiert, durch den aber, gäbe es von meiner Sorte zu viele, die heimische Wirtschaft in ihrer heutigen Form dennoch längst ruiniert wäre, eben mangels Konsum.

                  Den Menschen im Südsudan ist also unser Glück vorläufig vorenthalten - wir dagegen prassen weiter, in großer Selbstverständlichkeit. Emissionshandel und Enegiesparlampen sind nicht die Lösung solcher Schieflage.