Klimaaktivist*innen in Berlin: Hoppla, noch eine Partei
Bei einem Stadtspaziergang werben Klimaaktivist*innen für Ihre Anliegen. Sie wollen eine Partei gründen und besser als die Grünen werden.
Als Auftaktveranstaltung sollten beim „radikalen Stadtspaziergang“ vergangene Woche durch Neukölln Beispiele für Interessierte gezeigt werden: „Lasst uns gemeinsam entdecken, wie Neukölln bis 2030 klimapositiv werden könnte“, sagt Jeanette Krüger von Radikal Klima, bevor sie die Gruppe in Richtung des Böhmischen Platzes, anschließend vorbei an einer Ladestation für E-Autos zum neuen Ort der Prinzessinnengärten an der Hermannstraße führt. Stadtspaziergänge in anderen Kiezen Berlins sollen folgen.
Bis spätestens 2030 klimapositiv zu werden ist das Kernziel von Radikal Klima. Die Betonung liegt auf „spätestens“, denn es komme auf die zugrunde liegende Budgetrechnung der Emissionen an, sagt Rohrßen. Je länger nichts getan werde, desto weniger Zeit bleibe, um das 1,5-Grad-Ziel des internationalen Pariser Klimaabkommens einzuhalten.
Keine Kompromisse bei 1,5-Grad
Klimapositiv bedeute, dass am Ende „alle Emissionen, die hier vor Ort entstehen, auch hier wieder eingefangen werden müssen – beispielsweise durch Senken, wie Wälder oder Gärten“. Ablasshandel wie etwas CO2-Ausgleichs-Käufe für Flugreisen sei nicht okay. Wie genau das am Ende umgesetzt und was das für Im- und Export bedeuten kann, werde gerade, so wie vieles andere, heiß diskutiert.
Als die Gruppe während des Stadtspaziergangs auf dem belebten Böhmischen Platz zum Stehen kommt, fragt eine Teilnehmerin: „Was unterscheidet euch denn von den Grünen?“ Denn auch die seien ja für partizipative Nachbarschaftsprojekte, die wie hier auf dem „Böhmi“ verkehrsberuhigte Zonen erwirkt hätten. „Uns unterscheidet, dass wir keine Kompromisse machen, wenn es um das 1,5-Grad-Limit geht“, sagt Rohrßen.
Es war ein weltweiter Weckruf, als vergangenen September rund um den Globus Millionen Menschen für einen kompromisslosen Klimaschutz demonstrierten. „Die Klimabewegung hat sich stark positiv für die Grünen ausgewirkt“, sagt Swen Hutter, Stellvertretender Direktor des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung. Wichtig sei dabei, dass das Klimathema „ganz klar schon lange von einer Partei besetzt wird“ und dieser in der Bevölkerung auch eine starke Kompetenz zugesprochen werde.
Für Radikal Klima sei es einfach, sich von den Grünen abzugrenzen, sagt Rohrßen, solange diese keine wissenschaftliche Budgetrechnung als Grundlage ihrer Politik nutzen und transparent machen würden. „Keine Partei schafft es, den radikalen Schritt zu gehen, das Notwendige zu tun.“ Dazu gehöre auch, Interessen der eigenen Wählerschaft zurückzuschrauben, um Ergebnisse der Naturwissenschaften anzuerkennen.
Könnte das etwa überspitzt bedeuten, dass Radikal Klima die erste Partei wird, die ihrer Wählerschaft tatsächlich persönlichen Verzicht abverlangt? Werden Autos abgeschafft, und wird das Heizen teurer? Momentan arbeitet die werdende Partei jedenfalls an einem „Klimaplan“, der aufzeigen soll, wie das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden kann. Ein Entwurf soll schon bald veröffentlicht werden. Anschließend seien alle Berliner*innen eingeladen, an dem Klimaplan mitzuwirken.
Die Welt als Donut
Transparenz sei hierbei oberstes Gebot. Je nachdem, wie sich die Emissionen entwickeln, soll auch der Klimaplan stetig verändert werden. „Als Grundlage für unsere Politik benutzen wir dabei das Donut-Modell von Raworth“, sagt Rohrßen, damit planetare Grenzen und soziale Mindeststandards eingehalten werden.
Gemeint ist die Wirtschaftswissenschaftlerin und Kritikerin neoklassischer Gleichgewichtsmodelle, Kate Raworth, die die Welt als Donut darstellt. In der Mitte das gesellschaftliche Fundament, drum herum ein Kreis von Ökologie, Politik und Wirtschaft. Ein Aspekt des Donuts ist, dass gesellschaftlicher Nutzen nicht an der Wirtschaftsleistung allein gemessen werden kann. Die Vision: eine neue Ökonomie.
Wie aus wissenschaftlicher Perspektive die Erfolgschance für Parteigründungen aus der Klimabewegung eingeschätzt werden kann, erklärt Hutte: Mit neuen Themen seien Parteigründungen meistens erfolgreicher – zudem sei ausschlaggebend, ob sie „synchron zur Bewegung wachsen, wie bei der AfD“, sagt Hutter „daher schätze ich Parteigründungen aus der Klimabewegung allgemein als wenig erfolgversprechend ein“. Sie könnten aber auch dazu führen, dass die Debatte über Parteinähe erstarkt und von der Klimabewegung unterstützt wird. Bislang hätte sich die Bewegung von den Grünen distanziert und alle Parteien angesprochen, die ihre Ziele unterstützten.
Für Jeanette Krüger von Radikal Klima ist die Parteigründung „der nächste logische Schritt“. Zuvor wirkte die 31-Jährige bei der Initiative Klimaneustart und der Volksinitiative „Klimanotstand Berlin“ mit, die darin mündete, dass der Senat im vergangenen Dezember die „Klimanotlage“ für Berlin ausrief. „Danach folgten jedoch keine wirklichen Maßnahmen, deshalb geht es jetzt darum, dem Ganzen noch mehr Inhalt zu geben“, sagt Krüger – und es gehe darum, Druck auszuüben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!