Klima-Urteil des OLG Hamm: Nur symbolisch wertvoll
Das Urteil im Fall eines peruanischen Bauers gegen RWE zeigt: Für individuelle Gerechtigkeit können solche Klagen nicht sorgen. Aufmerksamkeit aber schon.

D ie Kläger jubeln, obwohl sie verloren haben. Der peruanische Bergbauer Saúl Luciano Lliuya erhält vom deutschen Energiekonzern RWE keinen Cent. Doch das Oberlandesgericht Hamm hat solche globalen zivilrechtlichen Klimaklagen gegen deutsche Unternehmen grundsätzlich akzeptiert. Es müsse eben jemand klagen, dessen Eigentum wirklich vom Klimawandel bedroht ist.
Feiern die Klimaschützer:innen zu Recht? Werden nun viele ähnliche Klagen folgen? Daran besteht großer Zweifel. Wäre Lliuyas Klage erfolgreich gewesen, hätte RWE nur 0,38 Prozent der Kosten übernehmen müssen, die der Bauer für den Schutz seines Hauses vor einer möglichen Flutwelle aus einem Gletschersee veranschlagt hatte. Denn RWE ist für genau 0,38 Prozent der weltweit industriell verursachten CO2-Emissionen verantwortlich. Umgekehrt heißt das, 99,62 Prozent der Kosten hätte der Bauer nicht erstattet bekommen.
Um es noch deutlicher zu machen: Lliuya kalkulierte 6.000 Euro für Schutzmaßnahmen an seinem Haus. Davon hätte RWE gerade einmal 22,80 Euro zahlen müssen. Kosten für Maßnahmen an dem Gletschersee, etwa höhere Dämme, hätte er nur einklagen können, wenn der peruanische Staat ihn direkt damit belastet hätte.
Für diese 22,80 Euro zog sich der Rechtsstreit über acht Jahre hin. Es gab einen Ortstermin in Peru, zwei aufwendige Gutachten und Verfahrenskosten von über 800.000 Euro, vor allem um die Bedrohung des Hauses zu prüfen. Hinzu kamen die Anwaltskosten beider Seiten.
Bei einem Erfolg der Klage hätte RWE die Kosten tragen müssen, aber wie das Beispiel des Bergbauern zeigt, weiß man vorher nicht, was solche Gutachten ergeben. Das Risiko für Klagen ist also hoch. Die Kosten trägt die zur NGO Germanwatch gehörende Stiftung Zukunftsfähigkeit.

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Solche Klagen lohnen sich also nur als Mittel der Öffentlichkeitsarbeit. Sie können deutlich machen, dass der CO2-Ausstoß deutscher Kohle- und Gaskraftwerken weltweit Folgen hat – bis in die peruanischen Anden. Individuelle Gerechtigkeit schaffen sie nicht.
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