: Klima-Experten: Nein zum „Weiter so“
Deutschland erreicht ganz knapp sein Klimaziel für das aktuelle Jahrzehnt, verfehlt aber alle anderen. Der Koalitionsvertrag wird daran nichts ändern, kommentiert der Expertenrat Klima

Von Jonas Waack
Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, geht vom Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung „kein nennenswerter positiver Impuls“ aus. Das urteilt der Expertenrat Klima, der im Auftrag der Bundesregierung regelmäßig den Fortschritt im Klimaschutz untersucht. Zwar bestätigt der Expertenrat, dass Deutschland voraussichtlich sein Klimaziel für die Jahre 2021 bis 2030 einhalten wird. Das sei aber „keine Entwarnung“, sagte Expertenratsmitglied Brigitte Knopf, „weil alle anderen Ziele nicht eingehalten werden“.
Das Gremium prognostiziert in seinem am Donnerstag vorgestellten Bericht, dass Deutschland weder seine europäischen Verpflichtungen zum Klima erfüllen wird noch das Ziel, bis 2040 die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 88 Prozent zu reduzieren. Für das ganze Jahrzehnt 2031 bis 2040 geht der Expertenrat von einer Überschreitung des CO2-Budgets um 20 Prozent – 554 Millionen Tonnen CO2 – aus. Auch das Ziel, 2045 klimaneutral zu sein, ist dem Expertenrat zufolge mit einem „Weiter so“ in der Klimapolitik nicht zu erreichen. „Wenn wir heute nicht mehr tun und mehr investieren, werden wir 2045 nicht klimaneutral sein“, sagte Knopf.
Das Emissionsziel für das laufende Jahrzehnt hält Deutschland voraussichtlich ein, weil von 2021 bis 2024 ein Puffer von 113 Millionen Tonnen CO2 aufgebaut wurde. Dem Expertenrat zufolge liegt das unter anderem an der schwachen Wirtschaftsleistung, deretwegen die Industrie weniger CO2 ausgestoßen und der Lkw-Verkehr abgenommen hat. Einen wichtigen Beitrag leisteten auch der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien und der Kohleausstieg.
„Die gute Nachricht ist, dass dank des starken Erneuerbaren-Ausbaus das Klimaziel 2030 weiter in Reichweite ist“, sagt Julia Verlinden, stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag. „Es kommt jetzt auf die politischen Entscheidungen in diesem und den nächsten drei Jahren an: Um die Ziele für 2030, 2040 und 2045 zu erreichen, darf sich die neue Regierung nicht auf den grünen Lorbeeren ausruhen.“
Im Koalitionsvertrag, sagt Expertin Knopf, blieben viele Maßnahmen vage. Die angekündigten Kaufanreize für E-Auto-Förderung könnten zum Beispiel wenig zum Klimaschutz beitragen, wenn auch Plug-in-Hybride und nicht nur reine Batterie-Autos gefördert würden. Auch die Effekte der „Abschaffung des Heizungsgesetzes“, die im Koalitionsvertrag angekündigt wurde, seien unklar. In seiner derzeitigen Fassung führe es zu „merklichen Emissionsminderungen“, sagte der Expertenrat-Vorsitzende Hans-Martin Henning. Brigitte Knopf warnt davor, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen mit außereuropäischen Klimaschutzprojekten die deutsche CO2-Bilanz aufbessern zu wollen. „Oft fehlt die Qualität der CO2-Zertifikate und die Klimawirkung wird überschätzt.“
Wie sich die Investitionen aus dem Sondervermögen auf den Klimaschutz auswirken werden, konnte der Expertenrat ebenfalls noch nicht einschätzen. „Es kommt darauf an, in welchen Bereichen Wirtschaftswachstum entsteht“, sagt Ratsmitglied Barbara Schlomann. Die resultierenden Emissionen, so Brigitte Knopf, seien zum Beispiel höher oder niedriger, „je nachdem, ob vor allem in Straße oder Schiene investiert wird“. Der Verkehrssektor ist zusammen mit dem Gebäudesektor der Bremsklotz. Beide emittieren mehr CO2 als gesetzlich vorgesehen, rissen 2024 die Vorgaben sogar noch deutlicher als 2023. Hier erwartet der Expertenrat „besonders Aufmerksamkeit“ der neuen Bundesregierung.
Klimaschutzminister Carsten Schneider (SPD) kündigte in seiner Regierungserklärung am Donnerstag an, „das in Ordnung bringen“ zu wollen. Konzentrieren werde er sich darauf, Umwelt-, Klima- und Naturschutz „wieder ins Zentrum des gesellschaftlichen Interesses zu rücken“. Klima- und Umweltschutz müsse sozial gerecht organisiert werden. Darin ist er sich einig mit dem Expertenrat, der in seinem Bericht darauf hinweist, dass „nahezu alle klimaschutzpolitischen Maßnahmen Auswirkungen auf Verteilungsfragen haben“.
Julia Verlinden, Vize-Vorsitzende der Grünen im Bundestag
Schneider versprach außerdem, das von der Vorgängerregierung aufgelegte Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz fortzusetzen. Damit sollen Moore wiedervernässt, Städte begrünt und Wälder und Wiesen wieder in die Lage versetzt werden, CO2 aufzunehmen. Aktuell, warnt der Expertenrat Klima, sind Wälder, Moore, Wiesen und Co insgesamt eine CO2-Quelle und werden 2030 netto 63 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen, obwohl sie laut Klimaschutzgesetz 35 Millionen Tonnen CO2 binden sollen. „In den letzten Jahren kam es zu vielen Schadensereignissen im Wald wegen der Dürre und des Borkenkäfers“, erklärt Expertenratsmitglied Marc Oliver Bettzüge. Beim Vermodern toter Bäume entweicht wie bei der Trockenlegung von Mooren CO2. In Deutschland entweicht so derzeit mehr CO2 in die Atmosphäre als Pflanzen binden.
Wie jede neue Bundesregierung muss auch Schwarz-Rot laut Klimaschutzgesetz innerhalb des ersten Jahres der Legislatur ihr Klimaschutzprogramm vorstellen. Darin muss sie erklären, wie sie die Klimaziele für das kommende Jahrzehnt und für 2040 einhalten will und dabei auch auf die desaströse Klimabilanz von Wäldern, Mooren, Wiesen und Co eingehen.
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