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Klausurtagung der Berliner SPD-FraktionPräsent auch an der Frauenkirche

Traditionell tagt die SPD-Fraktion zu Jahresbeginn außerhalb von Berlin. Dieses Mal in Dresden wirkt ihr Chef Raed Saleh einflussreicher denn je.

Zwischen Frauenkirchen-Idylle und Carolabrücke-Trümmern: Die Berliner SPD-Fraktion fuhr zur Klausurtagung nach Dresden Foto: Robert Michael/dpa

Dresden/Berlin taz | Von „Wir“ spricht der trotz seiner 41 Jahre noch jugendlich aussehende Mann, der unerwartet oft am Mikro des Hotelsaals steht. Draußen geht der Blick auf die Frauenkirche, drinnen tagt dort die Berliner SPD-Fraktion. „Wir“, das war für Sebastian Schlüsselburg bis zu seinem Wechsel vor eineinhalb Wochen noch die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Dass ihm dieses Wort nun mit anderer Bedeutung so locker über die Lippen kommt, lässt manchen im Saal leicht grinsen.

Die Prägung der Klausurtagung macht es Schlüsselburg allerdings auch leicht, sich sofort in Diskussionen einzubringen. Die weiter höchst angespannte Finanzlage Berlins mit weiterem Spardruck war und ist sein Thema aus Haushaltspolitiker – nochmal zwei Milliarden Fehlbetrag stehen 2026 an.

Bei solchen Zahlen kann es im Tagungssaal weit weniger kuschelig werden als draußen vor dem Hotel. Der dortige Neumarkt ist Zuge des Wiederaufbaus der Frauenkirche in historischem Erscheinungsbild neu entstanden, was manche als „barockes Disneyland“ abtaten. Noch viel unkuscheliger aber ist, was am Samstagmittag kaum 200 Meter entfernt von einer nahen Straße aus Lautsprechern klingt: Rechtslastige Rockmusik ruft dort nach der Todesstrafe beim Umzug einer Gruppe ganz vom rechten Rand.

Petra Köpping, die sächsische Vize-Ministerpräsidentin, hatte ihre Parteifreunde aus Berlin schon zu Klausurbeginn am Freitag auf die politische Lage eingestimmt. CDU und SPD – die dort bei der Landtagswahl im September froh sein konnte, 7,7 Prozent zu bekommen, nachdem sie zwischenzeitlich in Umfragen noch schlechter lag – versuchen es in Sachsen mit einer Minderheitsregierung, nachdem Gespräche mit dem BSW scheiterten.

Verbindung zur Dresdner Carolabrücke

Anders als manche Linke in Berlin spricht Köpping von AfD-Wählern nicht als Nazis, sieht stattdessen viel Enttäuschung und Zurücksetzung. „Da hätten wir viel heilen können, wir haben es nicht geschafft“, sagte sie. Bundesweit bekannt geworden war Köpping, als sie 2019 mit dem heutigen Verteidigungsminister Boris Pistorius für den SPD-Bundesvorsitz kandidierte.

Auf ihren Klausurort eingestimmt wurden die Berliner schon tags vor ihrer Anreise von der Meldung, dass die Brücke am S-Bahnhof Landsberger Allee abgerissen werden müsse, weil dort der gleiche Stahl verbaut sei wie bei der eingestürzten Carolabrücke in der Dresdner Innenstadt. Dort, so lässt sich vor Ort lernen, soll ab Februar wieder Schifffahrt möglich sein.

Fraktionschef Raed Saleh, mit seinem Nachnamen sogar auf einem Wahlplakat nahe der Frauenkirche präsent, wenn auch auf einem der Grünen für die Bundestagswahl, wirkt sicherer im Sattel denn je. Als er im Frühjahr 2024 den SPD-Landesvorsitz abgeben musste, gab es manche Prognose, damit sei auch seine Zeit als Fraktionschef abgelaufen. Über 12 Jahre hatte er den Posten damals schon, länger als all seine SPD-Kollegen in anderen Bundesländern. Doch als sich in der Fraktion eine Saleh-kritische Gruppe formierte, kam die nicht über acht der damals 34 – mit Schlüsselburg jetzt 35 – SPD-Abgeordneten hinaus.

Für Kai Wegner, den Regierungschef und CDU-Vorsitzenden, ist Saleh der wichtigste Partner auf der SPD-Seite. Trotz vieler Forderungen bei der Klausur Richtung CDU: 160 Euro fürs Anwohnerparken, eine Privatisierungsbremse in der Landesverfassung, ein Paritätsgesetz, und eine Gehaltsobergrenze für die Chefs von landeseigenen Unternehmen fordern die Sozialdemokraten. (Mehr auf taz.de)

Keine Kritik an Beitragsfreiheit

In Dresden wird in einem Moment besonders klar, wer bei der SPD die zentrale Figur ist: Als es um die Finanzmisere geht, verteidigt Raed Saleh die von ihm seit Jahren ausgebauten beitragsfreien Angebote bei Kita, Hort, BVG-Ticket und Schulessen. „Es ist keine Gratis-Mentalität“, sagt er, und fährt erst nach einer klitzekleinen Pause fort, „liebe CDU“.

Dabei ist nicht die der eigentliche Adressat, sondern die eigene Parteispitze: Die im Mai gewählten Vorsitzenden Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini hatten die Beitragsfreiheit für alle kritisiert und damit eine Debatte angeschoben. Solche Kritik ist nun nicht mehr zu hören – auch wenn die beiden Vorsitzenden Gäste der Fraktionsklausur sind.

Einen anderen Gast, Finanzsenator Stefan Evers von der CDU, haben Saleh und sein parlamentarischer Geschäftsführer Torsten Schneider nicht zufällig wieder eingeladen – wie schon bei der Klausur vor einem Jahr in Leipzig. Evers nimmt es ihnen zumindest teilweise ab, all die unschönen Dingen zu sagen, die auf die Stimmung schlagen können: Haushaltsdisziplin anmahnen, Risiken aus Steuersenkungen oder Tariferhöhungen deutlich machen, hochrechnen, dass nicht nur rund zwei, sondern über vier Milliarden fehlen könnten. Kommen etwa die aktuellen Forderungen bei der landeseigenen BVG durch, koste das eine Viertelmilliarde. „Viel Glück!“, wünscht Evers bei dem Versuch, das im Haushalt auszugleichen.

SPD-Neuling Schlüsselburg hat beim fehlenden Geld einen Weg anzubieten: Man solle die Kreditmöglichkeiten ausschöpfen. Das er schon früher gefordert. Da stand sein „Wir“ allerdings noch für die Linksfraktion.

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