Klassismus in Sprache und Auftreten: Die piekfeine Tanzschule
Mit fünfzehn wollte ich dazugehören, also buchte ich einen Tanzkurs. Aber noch heute sind mir die Codes der bürgerlichen Schicht fremd.
I ch bin in einem noblen Vorort von Wien zur Schule gegangen. Der Großteil meiner Schulkolleg*innen hatte im Gegensatz zu mir Akademikerbackground. Mit fünfzehn sind meine Freundinnen in den Tanzkurs der renommierten Wiener Tanzschule Elmayer gegangen, also habe ich mein Erspartes genommen und bin mit. Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Elmayer sein sollte, ich verstand auch nicht ganz, wieso sein Tanzkurs im kleinen stickigen Saal mehr kostete als andernorts, aber ich wollte dazugehören.
Der erste Schock: Die anderen trugen schicke Kleider und Blazer, die ich nicht besaß. Außerdem waren wir hier, um Standardtänze zu lernen, aber irgendwie konnten alle außer mir schon Walzer tanzen. Diese und viele andere Anekdoten fallen mir ein, als die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl auf Twitter ihre Erfahrungen mit bürgerliches Codes teilt.
Als wir mit dem Tanzkurs in ein schickes Restaurant gingen, um zu lernen, wie man sich dort verhält, erhoffte ich mir, diese Codes nachzuholen. Ich wusste danach zwar, welche Gabel man für welchen Gang verwendet, aber als Thomas Schäfer-Elmayer höchstpersönlich vorschlug, Small Talk über eines der Gemälde im Restaurant zu führen, bekam ich Panik. Ich hatte keine Ahnung von Kunst, hatte mit meinen Eltern nie ein Museum oder Theater besucht.
Auch wenn ich das mittlerweile fast alles in der Theorie nachgeholt habe, gehe ich heute noch ungern in edle Restaurants oder Bars, ich fühle mich fehl am Platz, ich weiß noch immer nicht so recht, welchen Wein man zu welchem Gericht trinkt und wie man bestimmte Speisen ausspricht. Als mich vor ein paar Jahren jemand, der mich wohl nicht sehr gut kannte, in ein solches Restaurant ausführte, bestellte ich Beef Tartare im Glauben, es würde sich um ein Fleischgericht mit Tartarensauce handeln.
Die Pflege der Sprache ist nicht unsere Aufgabe
Auch die bürgerliche Sprache ist mir bis heute fremd, trotz abgeschlossenem Germanistikstudium. Gewisse Redewendungen, Floskeln, lateinische Sprüche prägen sich schwerer ein, wenn sie nicht schon in der Kindheit oder Jugend gehört wurden. Das ist auch der Grund, weshalb ich erst mit Mitte zwanzig zur Feministin wurde, als leichter verständliche feministische Literatur populär wurde. Die Sprache von Judith Butler und den Professor*innen, die Gendervorlesungen hielten, war so fern meines Verständnisses, dass ich mir damals stattdessen lieber „Minnesang im Mittelalter“ als Gendervorlesung anrechnen ließ.
Dass auch der Journalismus eine durch und durch bürgerliche Branche ist, merkte ich, als ich bei Beiträgen von Kolleg*innen nachfragen musste, was einige der Fremdwörter, die sie verwendeten, bedeuten sollten. Als ich vorschlug, einfachere Sprache zu verwenden, entgegnete man mir, dass man bei der Verrohung des Deutschen nicht mitmachen wolle.
Journalist*innen sollten doch informieren und alle erreichen, die Pflege der deutschen Sprache ist nicht unsere Aufgabe. Oder ist das auch so ein Code, den ich nicht verstehe?
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