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Klasse und KulturbetriebZerrissen im Theater

Über proletarische Herkunft werden Romane geschrieben und Theaterstücke aufgeführt. Manche Kritik an dieser Entwicklung ist gemütlich einfältig.

Schauspielerin Çiğdem Teke in „Streulicht“ Foto: Ute Langkafel/MAIFOTO

T heater und Arbeiterklasse. Das passt für mich als theaterfernes Arbeiterkind erst mal nicht zusammen. Das erste Mal im Theater war ich irgendwann im Studium. Und auch heute finde ich Stadion besser als Theater. Aber Arbeiterklasse im Theater gibt es. Für mich hat es kürzlich bei der Premiere der Dramatisierung des Romans „Streulicht“ von Deniz Ohde im Berliner Gorki ganz gut funktioniert: Weil es mich zerrissen hat, weil es eine Spannung in mir angesprochen und diese verstärkt hat.

In Roman und Theaterstück geht es um eine Arbeitertochter und ihren beschwerlichen Weg zur Eigenständigkeit, um Demütigungen in der Schule, um Unterschätzung, um diffuse Wut auf Freundinnen, bei denen vieles leichter ist. Und um den starken, weil schwierigen Entschluss einer starken, aber traurigen Person, ihr eigenes Ding zu machen. Und deshalb um den bitteren Abschied von den Eltern.

Aber welche Spannung? Die Spannung, über die ich in meiner ersten Kolumne geschrieben habe. Sie entsteht aus den Zweifeln, ob eine solche Kolumne nicht dazu dient, dass sich die Glücklichen der Klassengesellschaft ihres Glücks und des Unglücks der anderen vergewissern; dass sie ihre sozialvoyeuristischen Gelüste befriedigen und dass sich damit die Verhältnisse, die ich kritisiere, nur weiter verfestigen. Diese Frage ist geblieben und wird mich wohl weiter begleiten.

Währenddessen hält der Trend der Arbeiterklassenliteratur an. Ein Theaterstück gibt es nicht nur von „Streulicht“, sondern auch von Christian Barons „Ein Mann seiner Klasse“ und bald auch von Cihan Acars „Hawaii“. Immer wieder gibt es kritische Beiträge zum Eingang der Klassenthematik in den bürgerlichen Salon. Diese Kritik streift manchmal die Spannung, die ich beschreibe: Es geht um die Gefahr, dass eine Erfahrung von jemandem genussvoll angeeignet, emotional und ökonomisch ausgebeutet wird, der diese Erfahrungen selbst nicht gemacht hat.

Möglichst radikale Pose

Solche Kritik bleibt aber oft einfältig. Oft scheint es nur um eine möglichst radikale Pose zu gehen, als wäre man in einem studentischen Plenum. Dabei gibt es nichts Gemütlicheres, als sich fernab jeglicher gelebter Realität auf reine Lehren zu beziehen, statt sich den eigenen Widersprüchen zu stellen, die aus dieser Klassengesellschaft resultieren, die auch ich abschaffen möchte. Und was ist überhaupt die Alternative zum Eintritt in den „herrschenden Kulturbetrieb“? Keine Bücher über Klasse schreiben?

Nein. Die Frage lautet eher: Wie schreibe ich darüber, ohne mich zu unterwerfen, ohne mit dieser Ordnung Frieden zu schließen? Ich freue mich deshalb über jeden Roman und jedes Thea­terstück, die diese Frage ernst nehmen und mit denen ihre Ur­he­be­r:in­nen Geld für ihre Kunst verdienen. Diejenigen, die es sich leisten können, können ja im alternativen Kulturbetrieb für lau schreiben.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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2 Kommentare

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  • Zitat: „Und was ist überhaupt die Alternative zum Eintritt in den ‚herrschenden Kulturbetrieb‘? Keine Bücher über Klasse schreiben? Nein.“

    Doch. Es kann durchaus eine Alternative sein, keine Bücher über Klasse zu schreiben. Mit Betonung auf dem Wort kann.

    Künstler sind keine Soldaten. Kunst, zumindest die, die eine eigene Dringlichkeit entwickelt, ist nichts, was uniformierte Befehlsempfänger schaffen. Kunst entsteht aus existenziellen Bedürfnissen Einzelner. Die, allerdings, sind so verschieden wie wir Menschen selbst.

    Wenn also jemand das Bedürfnis hat, sich am Kunstbetrieb abzuarbeiten und ihn damit zu verstetigen - fein. Wenn jemand aber das Bedürfnis hat, im „alternativen Kulturbetrieb für lau“ zu arbeiten - auch gut. Ich kann nicht sehen, dass es nicht ganz viele Wege raus aus dem Dilemma geben kann. Müssen ja nicht unbedingt meine sein. Hauptsache, sie werden alle begangen und wachsen nicht zu.

    Was Menschen anstellen mit ihren Kapazitäten, sollte nicht fremdbestimmt werden. Auch nicht von Leuten, die von sich behaupten, sie wüssten genau wo es lang geht. Sie wissen es nicht. Wir Menschen könnten aus ein und dem selben Stall kommen - unsere Bedürfnisse wären trotzdem völlig verschieden. Man nennt dieses Phänomen Individualität. Es ist die Basis der Identität. Und nein, Leute, Identität hat mit Gruppenmerkmalen gar nichts zu tun.

    Ich persönlich ziehe es vor, kein Geld anzunehmen für meine Gedanken. Ich kann es mir leisten, sie zu verschenken, und genau das will ich tun. Es ist meine Form des Widerstandes gegen eine Gesellschaft, die glaubt, sie könnte jeden korrumpieren mit ihrer gestohlenen Kohle. Wer faul sein will, soll diesen Leuten recht geben. Wer kein Problem damit hat, fleißig zu sein, kann ihnen und ihren „Verführungskünsten“ aber genau so gut den Stinkefinger zeigen, finde ich.

  • Das ist ja letztlich das wunderbare an "Streulicht". Voyeurismus wird da nicht bedient. Auch der Klassismus und Rassismus, den die Protagonistin erlebt, wird nicht "medienwirksam" inszeniert. Keine Gangsprache, keine coolen Typen, .....Die Affäre während des Studiums, die stolz darauf ist, immer faul gewesen zu sein. Die Protagonistin war fleißig. Sie ist nicht einfach die coole Überfliegerin. Die Darstellung ihres Lebens ist realistisch. Nichts wird zugespitzt. Damit ist das Buch weit weg von Klassenkitsch und Culture-Clash-Komödien, aber auch von Betroffenenheitsemo.