Klarnamenpflicht auf Plattformen: Wenn Dieter auf Facebook hetzt
Das Netzwerk Facebook darf Nutzer:innen Pseudonyme verbieten, urteilt ein Gericht. Doch hält eine Klarnamenpflicht von Hasspostings ab?
Auf den ersten Blick erscheint das Urteil der Richter:innen vom Oberlandesgericht München logisch: Wenn Menschen im Netz mit ihrem Klarnamen unterwegs sind, so das Gericht, dann halten sie sich eher an die Regeln, als wenn sie ein Pseudonym verwenden. Auf Facebook würden viele Hasskommentare von Nutzer:innen mit Fantasienamen gepostet. Um präventiv auf seine User:innen einzuwirken, dürfe das soziale Netzwerk Pseudonyme verbieten und User:innen löschen, so die Richter:innen am Dienstag. Zwei Personen hatten gegen Facebook geklagt.
Wie die meisten Befürworter:innen der Klarnamenpflicht, darunter der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, liegen auch die Richter:innen einem Irrtum auf. Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass man mit einer Klarnamenpflicht Hasspostings nicht in den Griff bekommt. In Südkorea wurde ein 2007 eingeführtes Gesetz fünf Jahre später wegen Ineffizienz wieder zurückgenommen. Und Untersuchungen zeigen ganz im Gegenteil, dass anonymisierte User:innen deutlich weniger strafbare Inhalte im Netz posten als unter ihrem Klarnamen.
Im Gegenteil scheint das Hetzen mit Klarnamen in Mode gekommen zu sein: Auf Facebook gehört es mittlerweile zum guten Ton, hetzerische Posts mit Klarnamen zu etikettieren. Dieter und Hannelore posten, um ihren „Widerstand“ gegen die vermeintliche Coronadiktatur zum Ausdruck zu bringen. Für Menschen, die sich gegen Nazis engagieren, Rechercheure und viele andere Menschen, die potenzielle Ziele digitaler Gewalt sind, ist das Verbot des Pseudonyms ein Schlag ins Gesicht.
Abseits des populistischen Kampfbegriffs gäbe es wirksame Mittel, um effektiver gegen Hatespeech auf sozialen Netzwerken vorzugehen. So müssen die Strafverfolgungsbehörden stärker im digitalen Raum geschult werden. Der deutsche Juristinnenbund fordert etwa verpflichtende Fortbildungen für Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei – und mehr Personal. Nur wenn Verbrechen im digitalen Raum nicht länger straflos bleiben, ändert sich auch das Verhalten der Menschen.
Facebook weiß derweil auch ohne Klarnamen schon sehr viel über seine Nutzer:innen. Dieser Datenfundus ist für das Geschäftsmodell entscheidend. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass der Tech-Konzern nun User:innen mit Pseudonym löschen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles