Kirchenreformer über neuen Papst: „Das Zölibat ist oft eine Fiktion“
Papst Franziskus sorgt für frischen Wind, sagt Christian Wiesner von „Wir sind Kirche“. Jetzt muss sich die deutsche Kirche bewegen.
taz: Herr Weisner, Sie sind bei der Konferenz der katholischen Bischöfe in dieser Woche in Fulda dabei. Was sind Ihre Erwartungen?
Christian Weisner: Die katholische Kirche ist im tiefen Umbruch, sie bekommt viel neuen Wind vom neuen Papst. Die Frage ist, wie schnell die deutschen Bischöfe diesen Kurswechsel mitmachen.
Worin sehen Sie einen neuen Kurs? Papst Franziskus sagt, die Kirche müsse homosexuellen Paaren oder Frauen, die abgetrieben haben, mit Barmherzigkeit begegnen. Eine Abkehr von kirchlichen Dogmen ist das aber doch noch nicht.
Durch seine offenen und warmherzigen Worte hat Papst Franziskus schon von der ersten Minute, in der er auf dem Petersplatz in Rom auf dem Balkon stand, einen Klimawandel eingeleitet. Natürlich mögen manche enttäuscht sein, dass er sich zum Beispiel noch nicht positiv zur Frauenordination geäußert hat. Aber allein seine Absage an diesen Männerklerikalismus und Triumphalismus ist doch entscheidend. Wir von „Wir sind Kirche“ sehen uns jedenfalls bestätigt. Und wir finden es sehr klug, dass er jetzt nicht seinen Vorgänger diskreditiert, indem er geltende Regeln sofort ändert.
Seit Montag treffen sich die 67 deutschen katholischen Orts- und Weihbischöfe in Fulda zu ihrer traditionellen Herbstversammlung. Papst Franziskus hatte zuvor mit Äußerungen zum Selbstverständnis der Kirche, zur Stärkung der Frauen und zum Respekt vor Homosexuellen unter Katholiken für Aufsehen gesorgt. In seinem ersten längeren Interview seit seiner Wahl im März forderte er Achtung und „Barmherzigkeit“ für Schwule und Geschiedene und sprach sich für eine starke Rolle der Frau aus. „Wir müssen ein neues Gleichgewicht finden, sonst fällt auch das moralische Gebäude der Kirche wie ein Kartenhaus zusammen“, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche im Interview mit der Jesuitenzeitschrift Civiltá Cattolica.
Glauben Sie denn, dass Papst Franziskus das vorhat?
Man darf Franziskus nicht überfordern. Mit so einem großen Kirchenschiff kann man keine abrupten Wendemanöver machen. Aber da ist jetzt jemand, der den Kurs neu justiert. Und wenn ein Schiff nur ein Grad vom Kurs abweicht, dann ist der Zielpunkt ein ganz anderer.
ist Stadtplaner und Sprecher der Reformbewegung „Wir sind Kirche“, die sich für eine Demokratisierung der katholischen Kirche einsetzt. Der 61-Jährige lebt bei München.
Reicht ein neuer Tonfall, um die Kirche attraktiver zu machen? Selbst im traditionell katholischen Milieu kann man mit der katholischen Sexualmoral nicht mehr viel anfangen.
Wir müssen uns als Kirche fragen, warum wir die Menschen nicht mehr erreichen. Da lautet die Botschaft von Franziskus: Er nimmt die Menschen so, wie sie sind. Dass sich die katholische Kirche zu einer Moralinstanz aufgespielt hat, ist eine Fehlentwicklung. Er sagt, dass wir uns wieder mehr um die Menschen kümmern müssen, gerade um die an den Rändern. Das ist für die Bischöfe, die jetzt mit Dienstwagen und dem Gehalt eines Staatssekretärs nach Fulda kommen, eine fordernde Botschaft.
Kritiker fragen aber auch: Wird er das Zölibat abschaffen? Wird er Frauen zu Priestern weihen lassen? Wird er im Kampf gegen Aids das Verhütungsverbot lockern?
Wir brauchen eine organische Veränderung. Das Zölibat ist vielerorts eine Fiktion – man weiß, dass er nicht eingehalten wird. Wenn er freiwillig und von Ordensleuten ausgeübt würde, dann wäre das viel glaubwürdiger. Wichtig ist, dass Gemeinden Gottesdienst feiern können. Franziskus hat jetzt grünes Licht für eine ernsthafte Diskussion über eine Weiterentwicklung der Kirche gegeben. Es liegt jetzt an uns, diesen Ball aufzunehmen.
Sind regionale Sonderwege da denkbar?
Bisher galt immer: Das geht nicht – wegen Rom. Jetzt heißt es, wir müssen die Initiative übernehmen und unsere Ideen in Rom vortragen. Wir brauchen keine Entweder-oder-, sondern eine Sowohl-als-auch-Kirche. Dann werden wir wieder katholischer, im Sinne von umfassender. Das heißt, auch regionale Unterschiede zuzulassen.
Die Bischofskonferenz dominieren Kardinäle und Bischöfe, die unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ins Amt kamen.
Einige werden sicher Schwierigkeiten mit dem neuen Stil von Franziskus haben. Aber in Deutschland haben die Weihbischöfe traditionell ein gewichtiges Wort mitzureden, etwa bei der Wahl des Vorsitzenden. Und ich denke, dass die Lehmann-Linie jetzt Aufwind bekommen hat gegenüber der Linie von Kardinal Meisner, die auf strikte Rom-Hörigkeit getrimmt war.
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