Kirchenkunst von Schröders Gnaden: Herren der Fliegen und Backsteine
Schon lange möchte Altkanzler Schröder der Marktkirche ein Fenster von Markus Lüpertz stiften. Dagegen klagt der Stiefsohn des Architekten.
Es begann damit, dass der Kirchenvorstand der Marktkirche zum großen Reformationsjubiläum 2017 ein besonderes Zeichen setzen wollte. Es habe da ganz verschiedene Pläne gegeben, sagt Stadtsuperintendent Rainer Möller-Brandes, der allerdings zu dieser Zeit selbst noch nicht im Amt war.
Und irgendwann kam dann dieses Angebot, das man schwer ablehnen kann: Altkanzler Gerhard Schröder bot an, ein Kirchenfenster im Wert von 150.000 Euro zu stiften. Sein Malerfreund Markus Lüpertz sollte es gestalten, sich dabei mit dem Leben und Wirken Martin Luthers auseinandersetzen. Den Einbau dieses Fensters versucht der Erbe des Architekten der Kirche nun allerdings mit einer Zivilklage zu verhindern.
Lüpertz, muss man wissen, ist ähnlich wie Schröder ein großer Könner von schmissigen Auftritten, was ihn für Medien schwer widerstehlich macht. Er inszeniert sich gern als genialischer Malerfürst und Dandy, blickt auf ein schillerndes Bohèmeleben zurück, ist selbst drolligerweise zum Katholizismus konvertiert. Seine Werke sorgen öfter einmal für Aufregung – in Salzburg wurde seine Mozartskulptur geteert und gefedert, in Augsburg sorgte seine Aphrodite-Plastik für Kontroversen, in Bamberg wurde eine seiner Skulpturen gestürzt und geköpft.
Fünf fette Fliegen fordern gewagte Interpretationen heraus
Auch sein Entwurf für das Hannoversche Kirchenfenster ist nicht unbedingt geprägt von erbaulicher Gefälligkeit. Große Debatten entzündeten sich vor allem um fünf fette Fliegen, die den großen Reformator in dieser Darstellung umschwirren. Der Künstler möchte sie nach eigenem Bekunden verstanden wissen als Symbol des Bösen und der Vergänglichkeit. Er verweist auf die Legende, nach der Luther der Teufel in Gestalt einer Fliege erschien – was angeblich zum berüchtigten Wurf mit dem Tintenfass führte.
In Hannover haben diese fünf Fliegen anscheinend ein ganzes Feuerwerk an Assoziationen losgetreten – jedenfalls wenn man dem Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zur Podiumsdiskussion mit dem Künstler höchstselbst glaubt. Vom Klimawandel-bedingten Insektensterben bis zu den fünf Ehefrauen Schröders reichte das Spektrum der Interpretationen.
Nur den Kläger interessieren die Fliegen nicht. Georg Bissen ist der Stiefsohn Dieter Oesterlens – des Architekten, der die zerbombte Marktkirche nach 1945 wieder aufgebaut hatte und als einer der bedeutendsten deutschen Architekten der 50er- bis 70er-Jahre gilt.
Das Fenster verändere die Atmosphäre der Kirche, argumentiert der Erbe, der extra angereist ist. Und davor wolle er das Werk seines Stiefvaters schützen. „Schlichtheit und Geschlossenheit“ seien die zentralen Stichworte, welche er immer wieder gebraucht habe. Tatsächlich ist der Innenraum der Kirche geprägt von nacktem roten Backstein, von Putz und Zierrat befreit, sodass die imposante gotische Hallenarchitektur umso stärker wirkt.
Rainer Möller-Brandes, Superintendent
Allerdings, argumentiert dagegen der Kirchenvorstand, der sich nach langen internen Diskussionen für das Fenster entschieden hat, hat die Kirche ja nicht immer so ausgesehen. Im Laufe ihrer Geschichte – mit dem Bau der jetzigen Kirche wurde 1347 begonnen – ist sie mehrfach umgebaut und umgestaltet worden. „Und Kirche darf und muss sich doch auch verändern, sie ist doch kein Museum“, sagt der Superintendent. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum sie nun ausgerechnet auf dem historischen Stand von 1952 eingefroren werden soll.
Es gehört aber zu den Spezialitäten des deutschen Urheberrechtes, dass es ein „Urheberpersönlichkeitsrecht“ gibt, das nicht veräußert und nicht übertragen, dafür aber vererbt werden kann und das erst 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers erlischt. Das erläutert der Sprecher des Landgerichtes Hannover, Dominik Thalmann, beim Ortstermin.
In diesem Fall führt es nun dazu, dass ein Anwalt, der sonst in Tokyo sitzt, ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat, wenn die Marktkirchengemeinde ihre eigene Kirche umgestalten will.
Ob es tatsächlich soweit kommt, wird sich allerdings erst in der mündlichen Verhandlung am 3. November herausstellen. Beim Ortstermin beschränkt sich der Vorsitzende Richter Florian Wildhagen auf die sorgsame Inaugenscheinnahme.
Umringt von zahlreichen Journalisten schreiten Richter, Kläger, Beklagte und Anwälte den Mittelgang und die Seitenschiffe ab; geben zu Protokoll, von wo aus das Fenster überhaupt zu sehen wäre, und wo es von Säulen verdeckt wird. An dem großen Aufsteller mit der Darstellung des umstrittenen Fensters gehen sie kommentarlos vorbei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Schuldenbremse-Debatte in Union
Die Bredouille um die Bremse
Kanzler Scholz überraschend in Kyiiw
Waffenversprechen bei Blitzbesuch in der Ukraine
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Pro und Contra
US-Präsident Biden hat seinen Sohn begnadigt – richtig so?