piwik no script img

Kirche für ein TempolimitMehr auf die Bremse treten

Eine kirchliche Initiative will Unterstützung für eine Geschwindigkeitsbegrenzung sammeln. Und so Druck auf das Verkehrsministerium machen.

Im Auftrag des Herren unterwegs – aber bitte schön langsam Foto: Frank Sippach/plainpicture

Nürnberg taz | Ein basisdemokratisches Tempolimit, für das sich die Fah­re­r*in­nen im Bundesgebiet einfach selbst entscheiden. Vorbei an Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Co., beschlossen durch das Mehrheitsrecht auf der Straße. So schlägt es Markus Bärlocher vor, Verkehrswende-Aktivist aus Nürnberg: „Wenn wir jetzt alle freiwillig Tempo-100 auf der Autobahn, Tempo-80 auf der Landstraße und Tempo-30 innerorts fahren, haben wir das Tempolimit verwirklicht. Wir müssen nur genug sein.“

Könnte das funktionieren? Immerhin, seine Petition bei Campact hat bereits 216.353 Unterzeichner*innen. Auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist für ein Tempolimit. In einer Forsa-Umfrage von 2022 waren 63 Prozent der Befragten zumindest für eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h. Bislang sind alle Forderungen aber am politischen Widerstand der FDP gescheitert.

Dabei drängt es: Der Verkehrssektor ist der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen in Deutschland – und ein Bereich mit hohem Einsparpotenzial. Ein Tempolimit, so wie es von Bärlocher vorgeschlagen wird, würde laut Berechnungen der Deutschen Umwelthilfe mindestens 11,1 Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung sei die Einzelmaßnahme mit dem höchsten Einsparpotential im Verkehr.

Tempolimit zum Selbermachen

Die Lösung liege also auf der Hand, so Bärlocher: „Wenn die Politik nicht handelt, müssen wir selbst was machen: Wir tun so, als wäre die Geschwindigkeitsregelung bereits beschlossen und umgesetzt.“ Ein Tempolimit zum Selbermachen: Einen ähnlichen Vorschlag legte die evangelische Kirche bereits ihren Mit­ar­bei­te­r*in­nen vor. Im Herbst vergangenen Jahres tagte dazu die Synode der EKD. Hier wurde über Klimaschutz und auch übers Tempolimit diskutiert, denn die Kirche sehe sich in der „Schöpfungsverantwortung“. Sie fühle sich dem Natur- und Klimaschutz verpflichtet.

Auf der Synode sprechen auch die Ak­ti­vis­t*in­nen der Letzten Generation. Eine ihrer Forderungen ist ein Tempolimit von 100 km/h auf der Autobahn. Aimée von Baalen, Sprecherin der Vereinigung, appelliert an die Delegierten: „Wir brauchen jetzt eine gesellschaftliche Transformation. Die werden wir nur mithilfe der Kirche schaffen.“

Aus der Diskussion heraus entsteht ein Beschlusspapier. Darin schreibt die Synode, allen Mitarbeitenden der Kirchen sei geboten, sich bei Dienstfahrten an ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen zu halten.

Das Gebot bleibt freiwillig. Denn wer sollte es auch kontrollieren? Verpflichtende Regeln für ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen könnten nur die 20 Landeskirchen verabschieden. Diese setzen darauf, dass ihre Beschäftigten eigenverantwortlich auf die Bremse treten: In einer Umfrage der Nachrichtenagentur epd äußerte keine von ihnen die Absicht, verbindliche Regeln zu verabschieden.

Vom Kirchentag soll ein Signal ausgehen

Mit der freiwilligen Selbstverpflichtung positioniert die Kirche sich aber auch eindeutig in der politischen Debatte. Außerdem erklärt die Synode in ihrem Papier, sie unterstütze die Bemühungen für ein bundesweites Tempolimit. Die Kirche wolle aber „bei sich selbst anfangen“, so Anna-Nicole Heinrichs, Präses der Synode. Die Delegierten bitten das Kirchenamt noch um eine öffentliche Kampagne zu dieser Selbstverpflichtung. Diese steht bislang aus. „Werdet mit eurem Engagement sichtbar!“, wünscht sich Markus Bärlocher. Er hofft, dass vom Kirchentag ein Signal ausgeht. Das wird es sicherlich, doch wird es auch politisch durchschlagen?

Verkehrsminister Wissing äußert sich bisher ablehnend zum Tempolimit. Die FDP drängt eher auf den Freiheitsgedanken als auf verordneten Klimaschutz. Anders bei den Grünen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) besteht bereits seit geraumer Zeit auf ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Denn genau dies könne ein „wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz“ sein. Mit dieser Haltung ist sie nicht allein. Auch Ex­per­t*in­nen von Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace sprechen sich für eine Geschwindigkeitsbegrenzung aus. Mit der Koalition aus SPD, Grünen und der FDP wird sich dabei wohl nicht viel machen lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Tempolimit plus Hunde- und Katzenverbot sind definitiv schnell umzusetzen. Allein das Halten von Hunden und Katzen rein zur Freude der Halter ist ebenso abzulehnen wie das Fahren, so schnell man möchte, was ja ebenfalls nur der Freude der Halter dient.

    Beide Maßnahmen könnten jeweils ca. 12 Mio. Tonnen CO2 einsparen. Das wäre ein guter Schritt in die richtige Richtung.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    Hat die Kirche eigentlich schon den eigenen Immobilienbestand von 40.000 mit Wärmepumpen ausgestattet?

    Oder gibt es wenigsten einen Plan?

  • Die 0,5% Unterzeichner (an Autos in D) sind bisher auch in Gemeindenähe nicht im Verkehr aufgefallen.

    Andere Relation: die Unterzeichner sind max. 16% der Kirchenangestellten....

    Vielleicht gibt es auch Pfarrer mit Porsche.

  • Den Überkonsum der Gesellschaft kritisiert die Kirche selten. Weil sie genau weiß, dass sie dann auch noch ihre letzten Schäfchen vergraulen würde. Wer Sonntags mit dem Auto zur Kirche fährt, möchte sich nicht noch anhören, wie schlecht sein Verhalten für die Umwelt ist.



    Generell was das Klima noch nie groß ein Thema für die Kirche. Aber jetzt beim Tempolimit da haben die Obersten plötzlich eine Meinung. Da werfe ich den Bumerang mal zurück und schreibe: Eure Kathedralen sind energetisch betrachtet alle eine glatte 6. Was da an Heizenergie verschwindet darf man gar nicht genau ausrechnen.

  • Eine schöne Idee, aber so schnell sollte man nicht aufgeben, die Regierung zum Handeln zu bringen. Denn nur ein Gesetz kann das Tempolimit auch Flächendeckend und effektiv für den Klimaschutz umsetzen. Wenn positiv geschätzt 5 Prozent bisheriger Schnellfahrer:innen mitmachen, bringt das für die miserable Bilanz im Individualverkehr nämlich nur einen Tropfen auf den heißen Asphalt. Außerdem übernimmt man mit diesem Appell die Mär der FDP und Fossilindustrie, dass freiwillige Verbraucherentscheidungen genug des Klimaschutzes seien. Ich erinnere an dieser Stelle daran, dass BP den CO2 Fußabdruck ersann, um die Hauptverantwortung der Fossilindustrie für die Klimakrise auf die einzelnen Verbraucher abzuwälzen. Damit es auch ja keine gesetzlichen Einschränkungen für das Modell: Vergesellschaftung der unwiderruflichen Umwelt- und Klimazerstörung samt ihrer exorbitanten Folgekosten und Privatisierung der Gewinne gebe die man sich ja auch noch durch hohe staatliche Subventionen vergolden ließ.



    neuezeit.at/co2-fu...uck-bp-geschichte/



    Alternativ schlage ich den Kirchen eine Öffentlichkeitswirksame Bummeldemo auf bundesweit mehreren Autobahnen vor. Auf allen Spuren mit Tempo 100 und demonstrativen Forderungen auf der Karosse an Herrn Wissing von der FDP. Zusätzlich dürfen auch gerne Kreuze als Symbol für jeden Verkehrstoten bei Unfällen sichtbar angebracht werden, damit kann man den mehrfachen Effekt des Tempolimits für das Überleben einzelner Menschen sowie der Menschheit insgesamt hinweisen.