Kinotipp der Woche: Tüfteln an Ruhr und Oder

Die Reihe „Fortschritt als Versprechen – Industriefilm im geteilten Deutschland“ präsentiert Filme aus BRD und DDR über die Konstruktion der Zukunft.

Eine Frau in einem weißen Kittel arbeitet in einer Farbrik und setzt ein elektronisches Gerät zusammen, das Bild scheint wie durch Glas aufgenommen, wodurch sich der Bildinhalt dreimal wiederholt und visuell überlappt

Schicker Industriefilm: „Mit Licht schreiben“ von Hugo Niebeling (BRD 1968) Foto: Karen Niebeling

Anfang der 1960er Jahre gibt der Chemiekonzern Bayer einen Film bei dem Münchner Filmemacher Ferdinand Khittl in Auftrag. Der Film bewirbt kein konkretes Produkt, sondern weist den Konzern eher als Teil der Moderne aus.

„Gegenwart, das sind also ehemalige, inzwischen realisierte Prognosen oder sogar Utopien. Die jeweilige Gegenwart ist immer als Form vergangener Zukunft zu begreifen.“ Farbfilm, knackige Hauptsätze als Kommentar, an Überlegungen der Wirtschaft angelehnte Reflexion über Zeitlichkeit.

Die Vergangenheit der Zukunft ist jetzt“ (BRD 1969) verströmt Fortschrittsglauben. Schon seit dem 10. Februar präsentiert das Deutsche Historische Museum in der Ausstellung „Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland“ Industriefotografie aus Ost- und Westdeutschland.

Ab Freitag (24. 2.) ergänzt das Zeughauskino diese Ausstellung mit einer Filmreihe unter dem Titel Fortschritt als Versprechen – Industriefilm im geteilten Deutschland und präsentiert 13 Programme zum Industriefilm in BRD und DDR.

Der Industriefilm war in den 1950er und 1960er Jahren zentrales Propagationsmittel der europäischen Moderne. Die Reihe des Zeughauskino wird eröffnet mit Ferdinand Khittls Frühwerk „Werkstatt für Europa – Feuer an der Ruhr“ von 1957.

In den folgenden Jahren sollte Khittl, später auch Unterzeichner des Oberhausener Manifests, in seiner Produktion für die Gesellschaft für Bildende Filme zu einem der innovativsten Filmemacher des Industriefilms in Westdeutschland werden. Mit „Die Parallelstraße“ drehte er 1962 einen neuen deutschen Film, bevor es den Begriff eigentlich gab.

„Werkstatt für Europa – Feuer an der Ruhr“ ist eine erste filmische Selbstdarstellung des Ruhrgebiets nach dem Zweiten Weltkrieg. In Zeiten vor Filmförderung und formaler Filmausbildung war der Industriefilm neben vielen anderen auch filmisches Versuchsfeld für junge Filmemacher_innen und moderne Musiker wie Hans Posegga oder Oskar Sala. Hans H. Hermanns Film über ein Stahlwerk von Krupp in Essen trägt den Titel „Technik – Drei Studien in Jazz“ und ist unterlegt mit Musik von Martin Böttcher.

In Sachen Moderne setzte die DDR-Filmmusik verlässlich auf Bigband-Sounds. Auch Christoph Czernys Werbefilm für den „Trabant Tramp“, die Outdoor-Cabrio-Variante des Trabant klingt entsprechend, dazu fährt eins der Modelle kurz schwungvoll über Feldwege, lässt Wasser zur Seite spritzen, und allerlei Freizeitaktivitäten von Rollschuhen bis Wasserski verheißen große Gaudi. Der entsprechende Film für den Wartburg 1.3 kommt mit Semperoper und der Inszenierung als Familienkutsche eher klassischer daher.

Hugo Niebeling kombiniert in „Allegro“ (1970) schwungvolle Musik, den Soloauftritt eines Balletttänzers und experimentelle Filmaufnahmen zu einer Hymne an das Erdöl. In „Mit Licht Schreiben“ (1968) huldigen nüchterne, klare Bilder der Fotoindustrie.

Das Zeughauskino zeigt die Industriefilme der Reihe thematisch sortiert und mit kundigen Einführungen. Die Filme erweisen sich als teils vergnüglicher, teils überraschender Blick auf vergangene Fortschrittshoffnungen. Vergangenheit – seltsame Zeit.

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