Berlinale-Hommage an Steven Spielberg: Männer, die keine Helden sind

Der Ehrenbär der Berlinale geht an Steven Spielberg für dessen Lebenswerk. Auch seinen jüngsten Film, „Die Fabelmans“, hat das Festival im Programm.

Frontaler Blick auf das Führerhaus eines Tanklasters, der im gleißenden Sonnenlicht über die Landstraße rast

Der Anfang von Spielbergs Kinokarriere: „Duell“ wurde 1972 erst fürs Fernsehen gedreht Foto: Universal Pictures Home Entertainment, Courtesy of Universal Studios Licensing LLC

Während sich vor der Windschutzscheibe die Mojave-Wüste weitet, plätschert im Autoradio eine Anrufersendung. Ein Mann beklagt sich, er wisse nicht recht, wie er das Formular der Census-Behörde ausfüllen solle. Als Mann fühle er sich ja berechtigt, „Familienvorstand“ anzukreuzen, aber andererseits habe er keine rechte Lust zu arbeiten, und das mache nun eben seine Frau. Vor den Nachbarn wäre es ihm aber peinlich, wenn er nun seine Frau als Haushaltsvorstand angebe. Die Frau von der Behörde beschwichtigt den Mann durchs Radio, das Gespräch zieht sich.

David Mann, der Mann am Steuer des knallroten Valiant, fühlt sich verstanden. Dann blasen ihm plötzlich die Abgase eines rostigen Tanklasters ins Auto. Er überholt den Laster. Wenig später überholt der Laster wiederum ihn und Mann schnuppert erneut Abgase. Er beschließt, an einer Tankstelle Halt zu machen, doch der Tanklaster hält kurz darauf auf der anderen Seite der Zapfsäule. Steven Spielbergs „Duel“ beginnt mit einer alltäglichen Situation. Die Egos zweier Männer geraten auf einer Straße aneinander.

Auf ein Minimum reduzierte Dialoge

„Duel“ entstand als Fernsehfilm für ABC, aber weil Spielberg sich bei dem Film deutlich größere ­Freiheiten genommen hat als bei seinen bisherigen Regiearbeiten wie der Science-Fiction-Fernsehserienfolge „L.A. 2017“ und ersten Folgen der Krimireihe „Columbo“, gilt der Film heute als eigentliches Regiedebüt Spielbergs. Als solches ist es auch Teil der Auswahl, die die Berlinale anlässlich der Verleihung des Ehrenbären im Rahmen der Filmfestspiele zeigt. Spielberg macht für den Preis sogar für ein paar Stunden einen Abstecher nach Berlin.

Anders als im Fernsehen jener Jahre üblich nahm Spielberg das Material für seinen Film in vergleichsweise aufwändigen Dreharbeiten auf, er brauchte drei Tage länger als vorgesehen und reduzierte die Dialoge auf ein Minimum. Nach dem Erfolg der Fernsehausstrahlung brachte Universal den Film außerhalb der USA auch in die Kinos. Zu diesem Zweck ließ Universal Spielberg zwei weitere Tage drehen, um den Film auf eine übliche Kinolänge zu bringen. Im Rahmen der Berlinale läuft diese 90-minütige Kinofassung. „Duel“ machte aus dem Fernsehregisseur Steven Spielberg einen Kinoregisseur.

Apotheose des Sommerferien-Horrorfilms

Auf „Duel“ folgten in kurzer Folge drei Filme, die Spielberg zu einem der wichtigsten Regisseure der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts machten, der aus den Ausläufern von New Hollywood jenes Blockbusterkino formte, auf dessen Nachnachfolger sich Hollywood heute bisweilen selbst reduziert. 1975 dreht er „Jaws“ („Der weiße Hai“), die Apotheose des Sommerferien-Horrorfilms.

Eine Insel vor Neuengland, kurz vor der Sommersaison. Eine junge Frau verschwindet, als sie am Rande einer Party schwimmen geht. Am nächsten Tag wird sie tot aufgefunden. Der Befund ihrer Verletzungen ist eindeutig: Sie ist Opfer einer Haiattacke geworden. Polizeichef Brody will die Strände schließen, doch der Bürgermeister und die versammelten Autoritäten des Orts reden ihm das aus. Dann wird vor den versammelten Augen der Badenden ein Kind Opfer einer weiteren Haiattacke. „Jaws“ greift Urängste in der Begegnung mit dem Meer auf, zeigt eine Stadt zwischen kollektiver Verleugnung und Massenpanik.

Ohne breitbeiniges Mackertum

Bald bekommt Polizeichef Brody (Roy Scheider ), der als zugezogener New Yorker ein höchstens akzeptierter Außenseiter in dem Ort ist, Unterstützung von einem Meeresbiologen (Richard Dreyfuss) und einem Haijäger (Robert Shaw). Brody ist ein humorvoller, nachdenklicher Familienmensch mit viel Alltagsverstand, der plötzlich eine Reihe von Entscheidungen treffen muss, mit denen er sich nur unbeliebt machen kann. Brody entschließt sich dafür, das Notwendige zu tun, aber ohne breitbeiniges Mackertum.

„Jaws“ transformiert die liberale Rollenkritik, die schon in „Duel“ anklingt, in ein zutiefst liberales Kino für alle. Spielbergs Helden sind weiße Mittelschichtsmänner, die eigentlich lieber etwas anderes tun würden, als Helden zu sein, die sich daheim am Küchentisch am wohlsten fühlen. Obwohl Brody zunächst gegen Widerstände aus dem Ort agiert, ist sein Handeln für die Gemeinschaft letztlich kathartisch. „Jaws“ hatte ein Budget von 9 Millionen Dollar, das er am ersten Wochenende nahezu wieder eingespielt hatte. Der Film war auch der erste, der mehr als 100 Millionen Dollar einspielte. Der Blockbuster war in seiner Rohform geboren.

Zwei Jahre später, 1977, inszenierte Spielberg in „Close Encounters of the Third Kind“ (Unheimliche Begegnung der dritten Art) eine intergalaktische Versöhnung. Wohl weil der Film vor einigen Jahren auf der Berlinale lief, ist er leider nicht Teil der Auswahl.

Auf der Suche nach der Bundeslade

1981, parallel zur beginnenden Präsidentschaft Ronald Reagans, wandte sich Spielberg nach einiger Überzeugungsarbeit durch George Lucas der Vergangenheit zu. In „Raiders of the Lost Ark“ („Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes“) macht sich Indiana Jones im Auftrag der US-Regierung auf die Suche nach der Bundeslade, um zu verhindern, dass diese den Nazis in die Hände fällt. Die comic-hafte Geschichte um einen mackerigen Grabräuber, für die Spielberg als Regisseur angeheuert wurde, damit sich Lucas auf sein „Star Wars“-Franchise konzentrieren konnte, brachte Spielberg dank eines Deals, den Lucas’ Anwalt mit Paramount ausgehandelt hatte, mehr Geld ein als alle Filme davor zusammen.

Der Film führte Spielberg neben dem eigenen Marktwert die Lukrativität des Produzierens vor Augen. Jahre später kommentierte er: „George ließ mich verstehen, was ich verdiene.“ Anders als bei den Fortsetzungen zu „Der weiße Hai“ führte Spielberg bei den folgenden Teilen der „Indiana Jones“-Reihe selbst Regie. Innerhalb einer Dekade, von 1971 bis 1981, arbeitete sich Spielberg zu einem zentralen Regisseur des Hollywood-Mainstreamkinos hoch.

Diese Stellung zementierte er, als er 1994 gemeinsam mit Jeffrey Katzenberg und David Geffen Dream­Works Pictures gründete. „Saving Private Ryan“ wurde der erste Filmhit für die eigene Produktionsfirma, die bis zum Verkauf 2005 alle Filme Spielbergs produzierte.

Eine Reihe moderner Klassiker

In einem seiner vielen klugen Texte zu Spielbergs Filmen reflektiert der Wiener Filmtheoretiker Drehli Robnik die Art, wie Spielberg das Genrekino Hollywoods umdefinierte: „Spielberg benutzt die Intelligenz von Genres und Affekt auf spezielle Weise. Er fügt dem zeitgenössischen Hollywoodkino ein Konzept von Zeitlichkeit und Subjektivität hinzu, das im US-Genrekino nicht üblich ist. Dieses feiert die Attraktivität menschlicher Problemlösungen. Spielberg hingegen konzentriert sich auf Momente des Leidens seiner Charaktere und ihrer Unfähigkeit zu handeln und insbesondere in seinen Filmen der 1990er Jahre auf das, was von Menschen übrig bleibt, die Gewalt erfahren haben.“

Anfang, Mitte der 1990er Jahre reformiert Spielberg sein liberales weißes Männerkino noch einmal grundlegend. In „Schindler’s List“ wendet er sich 1993 nach einigem Zögern erstmals der Schoah als Thema für einen Film zu. 1998 revolutioniert er die Darstellung des Erlebens von Krieg und Gewalt in „Saving Private Ryan“. Die Chance, diese Filme als Diptychon zu präsentieren, hat sich die Hommage leider zugunsten einer Reihe mittelguter Spielberg-Filme mit Deutschlandbezug wie „Bridge of Spies“ selbst versagt. Dennoch ist die Hommage eine gute Gelegenheit zum Wiedersehen mit einer ganzen Reihe moderner Klassiker auf der großen Leinwand.

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