Kinofilm „Beale Street“: Die Gesichter der Liebenden
Von der Unmöglichkeit, in einer ungerechten Welt glücklich zu sein: „Beale Street“ ist die erste Verfilmung eines Romans von James Baldwin.
„Ich wünsche niemandem, einen geliebten Menschen so zu sehen: durch eine Glasscheibe.“ Dieser Satz fällt gleich zu Beginn von „Beale Street“ und fasst bereits die Kernhandlung des Films zusammen: Es geht um zwei Menschen, die sich lieben, die einander anschauen, die sich jedoch weder berühren noch den Duft des anderen erkennen können.
Zwischen sie schiebt sich in Form einer Trennscheibe ein Justizsystem rassistischer Willkür, das schwarze Menschen einfach wegsperrt, kontrolliert, kriminalisiert, misshandelt – eine recht aktuelle Story, wenn man so will. Sie spielt im verarmten Harlem der frühen Siebzigerjahre.
Regisseur Barry Jenkins, der 2016 mit seinem Low-Budget-Drama „Moonlight“ den Oscar für den Besten Film abräumte (übrigens der erste queere Film, der je in dieser Kategorie ausgezeichnet wurde) widmet sich auch in seinem neuen Film, „Beale Street“, der Erkundung von Begehren und der Verletzlichkeit von Körpern in einer rassistischen und patriarchalen Gesellschaft.
Im Zentrum der Geschichte stehen die junge Erzählerin Tish (Kiki Layne) und ihr Geliebter Fonny (Stephan James), den sie aus Kindertagen kennt. Weshalb Fonny im Gefängnis landet, wird erst nach und nach klar. Der zweistündige Film besteht aus vielen Zeitsprüngen, die von der Annäherung der beiden erzählen und von der Unmöglichkeit, in einer ungerechten Welt verliebt und glücklich und unschuldig zu bleiben.
Übersetzung in ausgedehnte wortlose Szenen
Schuldig wird nicht nur Fonny von der Polizei erklärt, für eine Vergewaltigung, die er unmöglich begangen haben kann. Schuld und Sünde wirft auch Fonnys Mutter, Mrs Hunt (gespielt von der umwerfenden Aunjanue Ellis), Tish vor, als sie vor der versammelten Familie erklärt, dass sie von dem bereits inhaftierten Fonny schwanger ist.
„Beale Street“ basiert auf dem Roman „Beale Street Blues“ des afroamerikanischen Schriftstellers James Baldwin (1924–1987), und spätestens bei dieser moralischen Verurteilung der jungen Frau wird deutlich: Baldwin schrieb in seinen Essays und Romanen über eine Menge Dinge, über Armut, über Sexualität, über Beziehungen, über Rassismus, doch drehten sich seine Erzählungen auch immer wieder um die Rolle der Schwarzen Kirche, in der Baldwin selbst aufgewachsen ist und in der er ein zentrales Hindernis für Emanzipationsbewegungen in der Schwarzen Community erkannte.
„Beale Street“. Regie: Barry Jenkins. Mit KiKi Layne, Stephan James u.a. USA 2018, 117 Min.
Dass Tish von ihren eigenen Eltern als unverheiratete Schwangere vollste Unterstützung erhält, gehört zu den großen Stärken dieser Erzählung, die im Angesicht der Brutalität das Verliebtsein und das blinde Vertrauen in geliebte Menschen zelebriert. Barry Jenkins übernimmt in seiner Filmadaption viele Textpassagen eins zu eins aus dem Roman, lässt aber den Großteil davon ganz weg. Die Herausforderung, der sich Jenkins nämlich vornehmlich gestellt hat, ist die Übersetzung von Baldwins Erzählung in ausgedehnte wortlose Szenen, die vor allem aus Nahaufnahmen von Gesichtern bestehen.
Die Dramaturgie verlässt sich in diesen Momenten ganz auf die Filmmusik von Komponist Nicolas Britell, mit dem Jenkins schon für „Moonlight“ zusammengearbeitet hat. Die pompösen Hörner und Streicher sind genauso ein Wagnis wie Jenkins’ Fokus auf die Gesichter der Liebenden und darauf, wie sie einander anschauen. Um die Köpfe herum wird alles weichgezeichnet, schöne Erinnerungen kommen häufig in Zeitlupe. In den eher düsteren Szenen zerlegt Komponist Britell dieselben süßlichen Streicher- und Hornpassagen zu mysteriösen Jazzstücken. Das Wagnis glückt – zumindest für jenes Publikum, das ein Herz für gut gemachte Schnulzen hat.
Auch verwendet Jenkins wie schon im Vorgängerfilm besondere Farbfilter, die sich durch die gesamte Story ziehen. Während es in „Moonlight“ vor allem kühle Blautöne waren, ist in „Beale Street“ alles gelb und grün: Von der Anfangssequenz an, in der das Paar durch gelbes Laub spaziert, scheint den gesamten Film über Herbst zu sein, obwohl mindestens eine komplette Schwangerschaft nacherzählt wird.
Zudem ist in jeder Szene ein grünes Detail: ein Vorhang, der Boden, ein Pullover, die Tür. Die Farbe der Hoffnung zieht sich bis zum bitteren Ende dieses Films, dessen Hauptfiguren ihren Optimismus trotz allen Elends nicht aufgeben werden.
Grün ist auch die Augenfarbe der großartigen Regina King, des heimlichen Stars des Films. Seit ihrer ersten Rolle in dem Hip-Hop-Filmklassiker „Boyz n the Hood“ (1991) übernahm die 48-jährige Kalifornierin unzählige Nebenrollen in TV- und Kinoproduktionen. Dieses Jahr wurde Kings weitgehend unbeachtete Karriere endlich gewürdigt mit dem Oscar für die „beste Nebendarstellerin“ in ihrer Rolle als Tishs Mutter Sharon. Zu Recht, denn Regina Kings Performance macht eine gute Hälfte des Charmes aus, der von „Beale Street“ ausgeht.
Es ist der wissende Blick ihrer Mutter, aus dem Tish die Kraft gewinnt, als Hochschwangere für die Freilassung ihres Geliebten zu kämpfen. Und es ist auch Mutter Sharon, die mithilfe des illegal zusammengekratzten Geldes nach Puerto Rico fliegt, um das vermeintliche Vergewaltigungsopfer ausfindig zu machen, das Fonny als Täter identifiziert hat und anschließend untergetaucht ist. Wobei „vermeintlich“ nicht richtig ist, da hier vonseiten der Frauen dem Opfer vertraut wird, sie glauben, dass die unbekannte Frau tatsächlich vergewaltigt wurde – allerdings nicht von der Person, die ihr von der Polizei als Täter vorgeführt wurde.
Platz für Atmosphärisches
Diese Reise nach Puerto Rico endet ohne Ergebnis und bringt den Plot des Films nicht wirklich weiter. Vielleicht war es Jenkins nur wichtig, diesen einsamen Aufbruch der Figur Sharon zu zeigen, ihre Ankunft bei Sonnenuntergang am Flughafen San Juan – als rein ästhetische Entscheidung und nicht unbedingt als inhaltliche.
Auch sonst scheint einiges von der Handlung des Buchs in der Verfilmung vereinfacht worden zu sein, um Platz zu schaffen für Atmosphärisches. Und das funktioniert, und zwar vor allem deshalb, weil die personale Erzählerin des Films, Tish, eine schüchterne Erzählerin ist, die verlässlich unverlässlich alle Einzelheiten außen vor lässt, um die auch Jenkins’ Inszenierung sich nicht schert – die sich das Publikum aber durchaus zusammenreimen kann.
Die Verzweiflung der Post-Civil-Rights-Ära etwa wird in einem einzigen knappen, jedoch prominent platzierten Satz in der zweiten Hälfte des Films angedeutet: Fonnys sichtlich traumatisierter Freund Daniel, der ebenfalls drei Jahre unschuldig im Gefängnis verbracht hat, sagt, er wisse nun, was Malcolm X gemeint habe, als er den weißen Mann den Teufel nannte. Und auch toxische Männlichkeit als Thema, das sowohl in Baldwins als auch in Jenkins’ Werken stets eine wichtige Rolle spielt, wird in „Beale Street“ anhand zweier gegensätzlicher Szenen schemenhaft dekonstruiert: Als Positivbeispiel fungiert ein jüdischer Vermieter, der dem mittellosen jungen Paar sein Loft überlasst, weil er „für die Liebe“ ist.
Als Negativbeispiel dagegen will in einer Szene, die sich kurz vor Fonnys Verhaftung zuträgt, ein weißer Polizist Fonny scheinbar aus einer Laune verhaften. Daran gehindert wird er von Tish, die ihren Körper zwischen die beiden Männer schiebt und das Sprechen für ihren Partner übernimmt. Die Deeskalation ist erfolgreich, und doch ist Fonny schnell aufgebracht über den schützenden Auftritt seiner Freundin.
Gelöst wird auch dieses Problem mit ein, zwei Blicken, die die Liebenden einander zuwerfen. Der romantisierende Stil mag Geschmackssache sein. Die Zärtlichkeit aber wird der Seele von Baldwins Schreiben zweifelsohne gerecht.
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