Kinoempfehlungen für Berlin: Schicksal und Moderne
Die Kindheit war oft nicht so schön, wie in den Erinnerungen, und das Leben geht seltsame Wege. Auch in den drei hier empfohlenen Filmen.
I n unseren Breitengraden ist die bekannteste Erfindung des französischen Comic-Texters René Goscinny zweifellos der kleine Gallier „Asterix“, doch in Frankreich erfreuen sich die Geschichten um den Grundschüler „Le petit Nicolas“ („Der kleine Nick“), die Goscinny gemeinsam mit Jean-Jacques Sempé (Illustrationen) schuf, mindestens ebenso großer Popularität.
Kinder können sich dabei mit dem arglosen Blick auf die oft unverständliche Welt der Erwachsenen identifizieren, während der große Reiz für letztere in dem nostalgischen Blick auf eine heile Kindheitswelt besteht, die es so wohl nie gegeben hat.
Der Animationsfilm „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ von Amandine Fredon und Benjamin Massoubre setzt allerdings nicht nur „Petit Nicolas“-Comics in bewegte Bilder um, sondern erzählt auch von deren Entstehungsgeschichte sowie einer ganzen Reihe von biografische Details der beiden Comic-Schöpfer. Denn der kleine Nick entsteigt kurzerhand seinen Geschichten und unterhält sich mit den ebenfalls als Animationsfiguren präsenten Goscinny und Sempé über deren Freundschaft, ihre Arbeitsbeziehung und das Leben.
So erfährt man unter anderem, dass Goscinnys jüdische Familie Opfer im Holocaust zu beklagen hatte, und dass Sempés wenig schöne Kindheit von einem ständig alkoholisierten Vater geprägt war – was die tagträumerischen Entwürfe der kindlich-heilen Welten in den Comics noch einmal in einem anderen Licht erscheinen lässt (29.–30. 12, 2.–4. 1., 16.30 Uhr, 1. 1. 15.30 Uhr, Wolf Kino; 29.–30. 12., 14.30 Uhr, Filmkunst 66; 29. 12., 17 Uhr, 1. 1., 15 Uhr, Acud Kino; 1. 1., 13 Uhr, Bundesplatz Kino; 1. 1., 12.45 Uhr, B-ware! Ladenkino).
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Die Journalistin und Romanautorin Dörte Hansen widmet sich in ihren Werken gern dem Leben in Norddeutschland sowie der plattdeutschen Sprache. Das ist auch in ihrem Bestseller „Mittagsstunde“ und in der gleichnamigen Verfilmung durch Regisseur Lars Jessen so, in der die Jetztzeit, in der Uni-Dozent Ingwer (Charly Hübner) in seinem (fiktiven) Heimatdorf Brinkebüll den Großeltern, dem 90-jährigen Gastwirt Sönke Feddersen und dessen dementer Frau Ella, pflegend zur Seite steht, mit Kindheitserinnerungen und anderen Rückblenden aus der Zeit seit Mitte der 1960er Jahre verknüpft.
Die Familienchronik mit ihren offenen Geheimnissen ist dabei der Aufhänger, um von den Veränderungen in der alten Bundesrepublik über die Jahrzehnte hinweg zu erzählen: Flurbereinigung (die Zusammenlegung kleiner landwirtschaftlicher Flächen; eine Vorbereitung zur industriellen Landwirtschaft größeren Ausmaßes), Schließung der Dorfschule, Verschwinden der kleinen Läden und die damit verbundene Erosion des Dorflebens. Das war der Preis der Moderne.
„Mittagsstunde“ hat dabei nichts nostalgisch Verklärendes, aber ein Bewusstsein für einen Verlust, den Veränderung eben auch immer bedeutet. Doch der Film driftet nicht ins Sentimentale, er moderiert all dies mit norddeutscher Trockenheit und entsprechendem Humor (30. 12., 18 Uhr, 2. 1., 20.30 Uhr, 4. 1., 20.30 Uhr, Acud Kino, 30.–31.12., 11 Uhr, B-ware! Ladenkino, 30. 12., 3.1., 13.30 Uhr, Kino im Kulturhaus Spandau, 2. 1., 15 Uhr, 4. 1., 17 Uhr, Sputnik Kino, 3.1, 17 Uhr, Filmmuseum Potsdam).
Demnächst regulär im Kino, an Silvester schon mal als Preview zu sehen: die Verfilmung des Romans „Acht Berge“ von Paolo Cognetti durch die belgischen Regisseur:innen Felix van Groeningen und Charlotte Vandermeersch.
Ihr Film erzählt von der Freundschaft zweier sehr verschiedener Männer, die sich seit der Kindheit immer wieder in einem Bergdorf im Aostatal treffen und über ihre Erfahrungen mit extrem unterschiedlichen Lebensentwürfen diskutieren, streiten und schweigen (31. 12., 17 Uhr, Hackesche Höfe Kino, 31. 12., 19 Uhr, Sputnik).
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