piwik no script img

Kinderschutzbund-Chef über Grundgesetz„Kinder brauchen besondere Rechte“

CDU und SPD planen im Bund eine Grundgesetzänderung. Diese schwäche die Position der Kinder, warnt Ralf Slüter vom Hamburger Kinderschutzbund.

Kinder brauchen besondere Rechte: Protest für die Beachtung der Kinderrechte während Corona Foto: Boris Roessler/dpa
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

Herr Slüter, warum lädt der Hamburger Kinderschutzbund am 22. April zur Diskussion über „Kinderrechte ins Grundgesetz“?

Ralf Slüter: Im Moment versuchen Bundestag und Bundesrat einen Kompromiss zwischen CDU und SPD zu verabschieden. Die Kinderrechteorganisationen fordern seit Jahren, dass Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden. Dafür braucht man eine Zweidrittelmehrheit. Und die haben jetzt einen Kompromiss gefunden, der uns nicht gefällt.

Welche Formulierung stört Sie?

Nichts vom dem, was wir fordern, ist umgesetzt. Zwar werden Kinderrechte im Grundgesetz erwähnt, aber der Vorrang und die besondere Bedeutung ihrer Rechte sind dort überhaupt nicht beschrieben. Es heißt dort, das Kindeswohl sei „angemessen“ zu berücksichtigen. Das kann man sich schenken. Kinder haben sowieso Rechte wie alle Menschen, die verbrieft sind im Grundgesetz. Das ist so. Aber Kinder können an keiner Stelle für sich sorgen und selbst die Stimme erheben. Deswegen brauchen sie besondere Rechte. Aber wenn es nur heißt „angemessen“, dann ist das weniger als das Grundrecht, das ihnen sowieso zusteht.

Wieso das?

Wer entscheidet, was angemessen ist? Das gibt wieder Erwachsenen das Recht, das zu beurteilen. Die Rechtsposition der Kinder wird geschwächt. Das ist auch die Befürchtung von Anwälten und Richtern.

Bild: Kinderschutzbund HH
Im Interview: Ralf Slüter

Ralf Slüter

59, Psychologe und Kindertherapeut, ist seit vier Jahren Geschäftsführer des Kinderschutzbundes in Hamburg.

Was fordern Sie nun?

Wir lehnen diesen Kompromiss ab. Besser, man lässt es und sucht neue Mehrheiten im Bundestag nach den Wahlen.

Welche Formulierung wäre gut?

Kinderrechte sollten in der Art und Weise, wie die UN-Kinderrechte-Charta das fordert, im Grundgesetz stehen. Also: Jedes Kind hat das Recht auf Förderung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie auf Schutz der staatlichen Gemeinschaft. Es hat das Recht auf Beteiligung. Und dem Kindeswohl kommt bei allem staatlichen Handeln, das seine Rechte berührt, vorrangige Bedeutung zu.

Welche Partei steht für welche Position?

Soweit ich weiß, will die SPD auch das, was wir uns vorstellen. Was genau die CDU befürchtet, ist mir unklar. Dass vielleicht Kinderrechte ausspielbar sind gegen Elternrechte. Dass Elternrechte eingeschränkt werden, das will die CDU nicht. Von daher glaube ich, dass dieser Kompromiss das Einzige ist, was mit der CDU durchsetzbar ist. Wir wünschen, dass das abgelehnt wird. Die SPD könnte in der Gefahr sein, zu sagen, besser das als gar nichts. Aber wir sehen darin einen Rückschritt.

In welchem Stadium ist die Sache?

Online-Diskussion

„Kinderrechte ins Grundgesetz – ganz, ein bisschen oder gar nicht?“, 22. April, 17 bis 19 Uhr mit Politikern auf Einladung des Kinderschutzbundes Hamburg, Anmeldung: Veranstaltungen@Kinderschutzbund-Hamburg.de

Die Bundesregierung hat den Kompromiss beschlossen. Jetzt sind Bundestag und Bundesrat an der Reihe. Wir wünschen uns, dass der Bundesrat nicht zustimmt.

Sie haben heute Politiker am Tisch. Marcus Weinberg, Melanie Leonhard. Hoffen Sie, Sie können mit beiden eine Lösung finden?

Weinberg ist familienpolitischer Sprecher der CDU im Bundestag und hat diesen Kompromiss verhandelt. Er muss erklären, warum diese Formulierung gefunden wurde. Sozialsenatorin Leonhard wird diejenige sein, die mit dem Justizressort mitbestimmt, wie Hamburg im Bundesrat stimmt. Wir wünschen, dass sie nein sagt oder für Nachverhandlungen sorgt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Wenn ich das schon höre: „Jedes Kind hat das Recht auf Förderung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie auf Schutz der staatlichen Gemeinschaft.“

    Hier ist wohl eher gemeint, noch mehr Kinder in die Heime zu prügeln und dort zu foltern, dass sie drogen-, alkoholabhängig oder kriminell werden, in der Psychiatrie oder Gefängnis landen, ihren Lebensunterhalt mit Prostitution verdienen oder am Ende keine dreißig Jahre alt werden.

    taz.de/Tod-eines-e...imkindes/!5756902/

  • hahaha - der Witz ist echt gut. Also der Gesetzentwurf. Da sieht man das Unglaubliche, dass die CDU/CSU und die anderen Parteien ihre inkompetente Coronapolitik noch übertrefffen können. Geht nicht, gibts nicht.

  • taz (Ralf Slüter, Geschäftsführer des Kinderschutzbundes in Hamburg): "Es heißt dort, das Kindeswohl sei „angemessen“ zu berücksichtigen. Das kann man sich schenken. Kinder haben sowieso Rechte wie alle Menschen, die verbrieft sind im Grundgesetz."

    Das Wort "angemessen" wird gerne verwendet, besonders da rechtlich nicht klar definiert ist, was "angemessen" eigentlich bedeutet. Das ist wieder mal so eine unbestimmte Formulierung, die zu viel Spielraum für Interpretationen lässt und am Ende dann mit (juristischer) Hermeneutik wieder so ausgelegt werden kann, wie man es gerade braucht.

    Man sollte sich lieber einmal Gedanken darüber machen, weshalb in diesem reichen Land, das sich mit Art. 20 Abs. 1 GG "schmückt" (Sozialstaatsprinzip), es so viele arme Kinder gibt und warum das Kindergeld für Hartz IV Familien und Alleinerziehende auf den Bezug von Hartz IV immer noch angerechnet und der Regelsatz entsprechend gekürzt wird. Etwa 2,5 Millionen Kinder leben in Deutschland in Armut, sagte der grüne Sozialexperte Sven Lehmann schon 2018. Die Reichen bekommen für ihre Sprösslinge Kindergeld, aber Hartz IV Familien und der alleinerziehenden Hartz IV Mutter wird das Kindergeld von ihrem kläglichen Existenzminimum immer noch abgezogen. So sieht soziale Gerechtigkeit in Deutschland aus.

    Im Januar 2021 schrieb die taz: "Kinderrechte im Grundgesetz sind eine populäre Forderung: Wer sich dafür einsetzt, hat die Chance auf mehr Spenden oder Wählerstimmen." - Und darum geht es wohl auch in erster Linie, denn bald ist Wahl. Anstatt aber noch mehr Papier zu bekritzeln - mit "Kinderrechte" im Grundgesetz - die dann aber wieder genauso missachtet werden, wie die schon bestehenden Grundrechte, die ohnehin für jeden deutschen Staatsbürger von seiner Geburt bis zu seinem Tod (angeblich) gelten, sollten unsere Volksvertreter lieber endlich mal etwas gegen die ausufernde Armut in diesem Land machen.