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Kinderfaschingskostüm „Flüchtling“Alaaf versemmelt

Diverse Online-Versandhändler bieten in diesem Jahr das Kostüm „Flüchtling“ an. Nach Protesten hat Amazon es aus dem Sortiment genommen.

Karnevaleske Darstellung bayerischer Grenzschließungsforderungen? Ach nein, den Kids fehlen die passenden Kostüme. Umzug in Lindau/Bodensee am Sonntag. Foto: dpa

Nein, das ist kein schlechter Scherz. Neben den herkömmlichen Kinder-Faschingskostümen Prinzessin oder Cowboy bieten diverse Online-Versandhändler in diesem Jahr auch das Modell „Flüchtling'‘ an. Bei Amazon stand es unter dem Titel „Flüchtling 1./2. Weltkrieg'‘. Dafür gab es so viel Kritik, dass Amazon das Kostüm aus dem Sortiment nahm.

Bei Ebay kann man es aber immer noch kaufen. Dort ist es noch präziser betitelt: „Kinder 1940er Jahre Kriegszeit evakuierte Flüchtlinge'‘. Für Jungen umfasst es einen grauen Pullunder über dreckigem Hemd mit Pluderhose, für Mädchen einen Mantel mit hochgeschlossenem Baumwollkleid. Wie Kind eben so aussah zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Hut, Gasmaske und Box sind auch dabei. Wem das noch nicht historisch-authentisch genug ist, der kann sich alternativ auch für ein Kostüm mit angebrachtem ID-SCHILD entscheiden. Während des Zweiten Weltkriegs kennzeichnete man die Kinder für den Fall, dass sie verloren gingen.

Dass die Kinder-Flüchtlingskostüme von vielen Kunden als geschmacklos, taktlos oder skandalös empfunden werden, war zu erwarten. Einige Kommentatoren kritisieren allerdings auch die voreilige Kritik an den Kostümen. Spiegel Online zum Beispiel wies darauf hin, dass die Flüchtlingskostüme vorwiegend vom britischen Anbieter „Fancy Me'‘ angeboten wurden. In England sei die Nachfrage nach solchen Kostümen besonders hoch, weil in Grundschulen oftmals historische Ereignisse nachgespielt würden. Dazu gehöre auch ein „World War II‘-Tag mit Soldaten- und Flüchtlingskostümen.

Nur ist so ein pädagogischer Historientag eben etwas anderes, als eine ausgelassene Kinderfaschingsfeier. Es ist fast unmöglich, das Kostüm ohne den aktuellen Bezug zur Flüchtlingsfrage zu betrachten. Kinder, die vor Bürgerkrieg fliehen müssen, egal ob heute oder damals, sind keine Vorlage für eine glanzvolle Faschingsverkleidung. Neben einem strahlenden Superman, Marienkäfer oder Piraten ist so ein Flüchtlingskind ziemlich deplatziert.

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