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Kinder und KrankheitenDas Primrose-Syndrom und wir

Seltene Krankheiten sind für betroffene Kinder und ihre Eltern eine Herausforderung. Dabei fehlen vor allem: Menschen mit den gleichen Erfahrungen.

Seltene Krankheiten: Eltern betroffener Kinder fühlen sich oft allein gelassen Foto: dpa

E nde September ist wieder eine dieser Wochen: Ergotherapie, Zahnarzt, Augenärztin – alles geballt. Willkommen zu unserer medizinischen Stadtrundfahrt! Die Haltestellen: Charité, Klinikum Neukölln, eine Praxis in Charlottenburg, eine Praxis in Mitte, eine Praxis in Kreuzberg – und fast alles immer und immer wieder.

Unsere Tochter hat gleich zwei seltene Erkrankungen. Zwei pathogene Genmutationen.

Erkrankungen gelten dann als selten, wenn weniger als 5 von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Zusammengenommen haben sehr viele Menschen eine seltene Erkrankung. Vier Millionen sollen es in Deutschland sein. Das zu wissen bringt den Betroffenen halt nur nichts. Denn jede einzelne Krankheit ist halt selten. Bedeutet: lässt sich wenig mit verdienen, also wenig Forschung, also wenige Behandlungsmöglichkeiten.

Die eine Erkrankung unserer Tochter ist schnell erklärt: Sie bekommt keine richtigen Zähne. Niemals. Sie hat eine Dentinogenesis imperfecta. Kleine, braune, sehr kaputtbare Stummel wachsen aus ihrem Kiefer. Ihre Backenzähne wurden bereits im Alter von zwei Jahren mit Stahlkronen versehen.

Betroffene bitte melden!

Wenn sie den Mund weit aufmacht, sieht sie aus wie der Beißer aus „James Bond“. Ist jetzt noch süß, doch später in die Schule und noch später in die Pubertät zu gehen mit solchen Zähnen … Wir alle urteilen halt gern aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds. Und besonders gern aufgrund der Zähne, die wir sehen. Braune Zähne heißt: zu dumm zum Zähneputzen oder zu faul oder zu schlechte Ernährung oder noch nie einen Zahnarzt gesehen oder alles zusammen. Auf jeden Fall: unhygienisch und asozial. Tja.

Die zweite Erkrankung heißt Primrose-Syndrom. Darunter sind so viele Symptome zusammengefasst, dass der Platz hier nicht reicht: Muskelschwäche, großer Kopf, Hörverlust, Augenleiden, eine Art Verkalkung des Gehirns, intellektuelle Einschränkung, Skoliose … Die Prävalenz, also die Krankheitshäufigkeit, wird auf den Fachseiten im Netz zumeist angegeben mit: weniger als ein Fall auf eine Million Menschen. In der Literatur ist ein gutes Dutzend Fälle beschrieben. Das war’s.

Und das ist ein Problem, denn keine Ärztin und kein Arzt, die unsere Tochter behandeln, hatte jemals zuvor mit dieser Erkrankung zu tun. Einige der genannten Symptome sind bei unserer Tochter zu beobachten, andere nicht. Ob die anderen Sachen noch kommen? Weiß niemand. Gibt es überhaupt noch einen anderen Fall in Deutschland? Weiß niemand.

Es ist gut, nicht alles zu wissen, sagte uns ein Humangenetiker. Wahrscheinlich hat er recht. Bringt ja wenig. Aber der Austausch mit anderen Betroffenen kann ja auch nicht schaden. Deshalb: Sollten Sie oder Ihr Kind auch eine Dentinogenesis imperfecta oder das Primrose-Syndrom haben, melden Sie sich doch bitte bei mir. Danke!

Und allen anderen: Gute Gesundheit!

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Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
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1 Kommentar

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  • Das ist natürlich bitter. Ich hoffe, dass Ihre Kinder trotz Einschränkungen ein möglichst gutes und leidfreies Leben führen können.

    Mir persönlich ist die Fortpflanzung eben aufgrund der unzähligen Risiken, die damit verbunden sind, viel zu heikel.