piwik no script img

Kinder in der UkraineAlles für den Sieg

Schach gegen Spende, den eigenen Zopf verkaufen – so sammeln kleine Ukrainer Geld für die Armee. Manche errichten Straßensperren.

Mit Blasmusik die Truppen unterstützen: Kinder im westukrainischen Luzk Foto: Juri Konkewitsch

Luzk taz | Sie zocken zusammen am Computer oder spielen Verstecken im Hof. Aber sie sammeln auch Geld und kaufen kugelsichere Westen für ihre Väter an der Front. Damit die Soldaten wissen, dass ihre Kinder zu Hause nicht einfach auf den Sieg warten, sondern auch etwas dafür tun.

Am 1. September begann in der Ukraine das neue Schuljahr. Statt der Blumen, die Schü­le­r*in­nen traditionell zum Schulanfang mitbringen, trugen Kinder der Schule Nr. 21 in Luzk am 1. September Drohnen für die ukrainischen Soldaten. Die Ferien hatten sie genutzt, um Geld für die Armee zu sammeln, und dabei 52.000 Hrywni (etwa 1.400 Euro) zusammenbekommen.

„Für die Kinder ist wichtig, dass auch sie ihren Beitrag leisten zum gesamtukrainischen Ziel: dem Sieg über den Aggressor“, sagt Sergei Pritula, einer der bekanntesten ukrainischen Freiwilligen, Ja, einige Tausend Hrywnja seien wie ein Tropfen im Ozean. „Aber auch ein Ozean besteht aus Millionen kleinen Flüsschen.“

Straßensperren sind eine Lieblingsmethode der Kinder zum Geldsammeln. Sie lassen die Autofahrer dort nur gegen Zahlung eines kleinen Betrags weiterfahren. In der Stadt Snamjanka im Bezirk Kirowohrad haben Kinder auf diese Weise 50.000 Hrywni eingesammelt und einen Pick-up für die Soldaten gekauft. Sie boten an den Straßensperren Zuckerwatte und kalte Mojitos an. Zusammen mit dem Auto übergaben sie den Soldaten auch eine Flagge, auf die sie gute Wünsche geschrieben hatten. Bevor die Soldaten das Auto übernahmen, machten sie mit den Kindern noch eine Spritztour.

Zöpfe und Netze flechten

Mädchen versuchen auch, mit ihren Haaren Geld zu verdienen. Die Sechstklässlerin Milana Nedoschitko aus Luzk hat sich kurz vor Beginn des neuen Schuljahres ihren 50 cm langen Zopf abgeschnitten. Nachdem die 11-Jährige einen TV-Beitrag über Perücken für Krebskranke gesehen hatte, suchte sie mithilfe ihrer Mutter einen Friseursalon, der Haare ankauft. Das Geld, das sie bekam, spendete sie Kriegsfreiwilligen.

In Dnipro hat ein 13-jähriges Mädchen einen anderen Weg gewählt: statt Haare abzuschneiden, flicht Karina Schaparowa sie zu Zöpfen. Ihr Kinderzimmer wurde zu ihrem Friseursalon. Hier hatte Schaparowa bisher ihrer Schwester Zöpfe im afrikanischen Stil geflochten – jetzt macht sie es für alle. Der Preis dafür ist symbolisch, 20 Hrywni (etwa 50 Cent). Aber das Mädchen konnte Armeefreiwilligen schon mehrere Tausend Hrywnja übergeben.

Ukrainische Kinder flechten aber nicht nur Zöpfe, sondern auch Tarnnetze und spezielle Anzüge für Scharfschützen, die „Kikimora“ genannt werden. In der Stadt Dubno im Westen des Landes meldeten sich Schulkinder, deren Angehörige an der Front kämpfen, in den Sommerferien dafür als Freiwillige.

Etwa eine Woche brauchen sie für eine Kikimora. „Das Wichtigste ist, rechtzeitig die Farbe des Garns zu wechseln, damit unsere Kämpfer unbemerkt bleiben“, erzählt die 12-jährige Darja. Neben den Mädchen steht ihre Mentorin Anna But. Sie ist aus Melitopol nach Dubno gekommen. 70 Tage hatte sie in der besetzten Stadt gelebt, dann wurde sie unter Beschuss evakuiert.

Auch der 4-jährige Dmitri Dubowoj aus Tscherkassy flicht Tarnnetze. Er hilft seit dem 24. Februar, seit sein Kindergarten geschlossen ist. Seine Mutter hatte ihn damals ins Freiwilligenzentrum mitgenommen, wo sie mit anderen Frauen Tarnnetze herstellt und Lebensmittelspenden sortiert. Der Vater verteidigt derweil die ukrainischen Grenzen. Jeden Tag zieht der kleine Junge das T-Shirt an, das ihn als Freiwilligen ausweist. Der Junge muss sich auf die Zehenspitzen stellen, um das Netz zu erreichen, in das er Bänder flicht. „Ich mache das, damit mein Papa am Leben bleibt“, sagt der Kleine.

Unter freiem Himmel

Dank der jungen Spen­den­samm­le­r*in­nen wurden in der Ukraine auch Dame- und Schachpartien auf Plätzen und in Parks populär. Hier kann man gegen junge Großmeister antreten. Es gilt: Wer verliert, wirft einen Geldbetrag in eine Schachtel mit der Aufschrift: „Spenden für die Armee“.

So hat die 10-jährige Weltmeisterin im Damespiel, Waleria Jeschowa aus Kyjiw, 21.000 Hrywni (etwa 560 Euro) zusammenbekommen und es der Stiftung von Sergei Pritula gespendet. Walerias Bedingungen waren einfach: Der Spieler gibt eine beliebige Summe. Gelingt es ihm zu gewinnen oder geht das Spiel unentschieden aus, spielt sie noch eine Partie gratis mit ihm. Aber die kleine Meisterin hat alle besiegt.

Für eine ähnliche Aktion wurde der 8-jährige Saweli aus Butscha bekannt. Er war mit seiner Mutter nach Luzk evakuiert worden und spielte dort mit Passanten Schach gegen Geld. Die Leute spendeten, so viel sie konnten. Manche gaben auch einfach Geld, ohne zu spielen. Und das 5-jährige Schach-Wunderkind aus Winniza, Artjom Kutscher, sammelt mit seinen Schachpartien Mittel „für einen Panzer und eine Schutzweste“ und spielt mit Passanten unter freiem Himmel.

Singen gegen den Krieg

Auch künstlerische Talente werden beim Fundraising von den Kindern eingesetzt. So hat die 5-jährige Maria Makejewa aus Krywyj Rih zehn Stunden lang zusammen mit ihrem Bruder ukrainische Lieder auf den Straßen von Lwiw gesungen und 35.000 Hrywni (etwa 936 Euro) gesammelt.

Maria und Alexander waren in den ersten Kriegstagen zusammen mit ihren Eltern nach Lwiw gekommen. Dort überlegten sie bald, wie sie die Armee unterstützen könnten. Der 9-jährige Alexander spielt Saxofon, und Maria singt sehr gut. Einen Monat haben sie sich auf den Auftritt vorbereitet, Texte gelernt, geübt.

Schüler und Schülerinnen der Musikschule in Luzk treten jeden Tag in der Nähe von Bushaltestellen auf und sammeln so Spenden für die Streitkräfte. Die Konzerte des Orchesters organisiert ihr Lehrer Nikolai Kuriljuk. Er sucht belebte Plätze in der Nähe von Schutzräume, um die Kinder und sich im Fall vor Luftangriffen in Sicherheit bringen zu können. Zwischen sieben und vierzehn junge Mu­si­ke­r*in­nen kommen für die Auftritte des Blasorchesters zusammen. Für die bislang gesammelten 70.000 Hrywni (etwa 1.870 Euro) haben die Jugendlichen Periskope für die Schützengräben gekauft.

Naschen für den Sieg

Süßes ist ein weiterer Hit. In Kalusch haben 11-jährige Kinder mit dem Verkauf von Limonade ein Terminal für einen Starlink-Internetzugang finanziert. Es wurde einer Einheit der Spezialeinsatzkräfte übergeben. 160.000 Hrywni (etwa 4.280 Euro) hatten die Kinder in den heißen Sommerwochen auf Wohltätigkeitsbasaren mit dem Verkauf von selbst gemixten Getränken eingenommen

Ein 10-jähriges Mädchen aus der Bukowina, Diana Michailowa, hat der Stiftung von Sergei Pritulin mehr als 22.000 Hrywni (etwa 588 Euro) für den Kauf von Drohnen übergeben. Das Geld hatte sie mit selbst gebackenen Kuchen, Muffins und Keksen verdient. Diana wollte die Armee unterstützen, weil ihr Großvater seit einem halben Jahr vermisst wird. Im Stadtzentrum verkaufte das Mädchen fast täglich ihre Backwaren sowie selbst gebastelte Armbänder und Ohrringe.

Maria Schuiko-Sabo hat zusammen mit ihrer Mutter selbst gemachte Mojitos bei einem Fahrradrennen in Uschhorod verkauft. Sie hat dafür eigens auf die Becherböden Motivationssprüche geschrieben: „Putin wird bald sterben“, „Moskau wird brennen“, „­Wieder zwei Russen weniger“. Auf diese Weise hat sie 2.000 Hrywni (etwa 54 Euro) verdient.

In Luzk wiederum haben zwei Elfjährige, Sergei Sajaz und David Schegelski, im Sommer Kirschen verkauft und so Geld für eine Drohne vom Typ „Bajraktar“ gesammelt. Sie sind gerade aus der Türkei zurückgekommen, wo sie mit ihren Müttern in Urlaub waren. Die Reise hatte ein Vertreter des Bajkar-Unternehmens, das die Drohnen herstellt, bezahlt, nachdem er von ihrer Aktion erfahren hatte.

Selber machen

Helfen geht auch ohne Geld. Eine 13-jährige Schülerin aus Belopol im Gebiet Sumy, Jekaterina Grinewa, hat 500 Stahlbetonklammern hergestellt und zum Freiwilligenzentrum gebracht. Die Soldaten hatten diese bei den Freiwilligen angefragt. Sie werden zur Verstärkung von Unterständen gebraucht. Die 500 Klammern von Jekaterina reichten für sechs Unterstände.

Jekaterina sagte, dass es schwer war, die Klammern zu biegen – ihre Hände taten weh.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ach, wie niedlich, dieser aufopferungsvolle Patriotismus der lieben Kleinen an der ukrainischen Heimatfront!



    Verzeihung, wenn ich zynisch werde: was soll diese Berichterstattung? Dass hier die nächste Generation junger hassender Menschen heranwächst, die dazu beitragen, den Konflikt zwischen Russen und Ukrainern auf ewig am Köcheln zu halten? Die Muster solcher Kriegspropaganda, für die Kinder herhalten müssen, sind historisch doch bestens bekannt … kann man da wenigstens sie nicht außen vor lassen?



    Und ich hoffe noch, ich habe hier etwas gründlich missverstanden, Herr Konkewitsch … in dem Fall täte mir meine Polemik herzlich leid. Ansonsten wäre ich sehr irritiert darüber, dass ein solcher Artikel ausgerechnet in der taz erscheint.

    • @Abdurchdiemitte:

      "Und ich hoffe noch, ich habe hier etwas gründlich missverstanden"



      Das scheint mir so zu sein.



      Was wäre denn ihr Vorschlag? Dass ukrainische Eltern ihren Kindern verbieten, Äpfel am Straßenrand zu verkaufen und das Geld an die Armee zu spenden?



      Ich lese aus dem Artikel weder Erziehung zum Hass heraus, noch dass die Kinder instrumentalisiert würden. Kinder kommen von ganz allein auf solche Ideen.