Kinder fragen, die taz antwortet: War Corona schlimmer als die Pest?
Wir wollen von Kindern wissen, welche Fragen sie beschäftigen. Jede Woche beantworten wir eine. Diese Frage kommt von Yola, 10 Jahre alt.
Liebe Yola, eins vorweg: Nicht alle Fragen lassen sich so beantworten, dass man ganz sicher sein kann, dass die Antwort auch stimmt. Auch deine leider nicht. Denn um zu wissen, ob Corona schlimmer als die Pest war, muss man sich ja erst mal darüber einig werden, was genau „schlimm“ bedeutet.
Während der Coronapandemie war es zum Beispiel für viele Kinder schlimm, dass die Kitas und Schulen zeitweise geschlossen waren. Viele Kinder leiden bis heute darunter, weil sie weniger lernen konnten. Oder weil es sie krank gemacht hat, dass sie ihre Freund:innen nicht treffen durften.
Für andere war es schlimm, dass ihre Großeltern krank wurden oder sogar gestorben sind. Vergleichen mit der Pest lassen sich diese „Schlimmfälle“ aber nicht. Denn als die Pest richtig wütete, gab es für die meisten Kinder ja noch nicht mal Schulen.
Superspreader. Impfdurchbruch. Impfneid. Herdenimmunität. Geisterspiele. Osterruhe. 1G. 2G. 3G plus. Maskenmuffel. Booster. Helden des Alltags. Covidioten. Na, was geht in Ihnen vor, wenn Sie diese Begriffe lesen? Beklemmung, Abwehr – oder etwa Nostalgie? Der Beginn der Covid-19-Pandemie jährt sich zum fünften Mal, und während die taz-Redaktion normalerweise sehr begeisterungsfähig ist für Sonderseiten zu Jahrestagen aller Art, liefen die ersten Planungsrunden hier eher schleppend an.
Corona? Danke nein, da halten die Leute am Kiosk ganz freiwillig mindestens anderthalb Meter Abstand. Zu nah, zu schmerzhaft, zu kacke war diese Zeit, die Lücken in Familien und Freundeskreise riss, weil jemand starb oder sich abwandte. Die nachweislich bei vielen Spuren in der Psyche hinterließ, insbesondere bei jungen Menschen. Die Krankheitsverläufe hervorbrachte, die den Alltag vieler Menschen auch heute noch massiv einschränken.
Wie also würdigen, dass fünf Jahre vergangen sind – so, dass man es auch lesen will? In Brainstormingrunden kamen wir auf die wildesten Ideen. Wie wär’s denn mit Corona-Sonderseiten, auf denen wir Corona nicht erwähnen? Alles irgendwie auf der Metaebene verhandeln, mit einer Reportage aus einem Ort, an dem es Corona nie gab (dem polynesischen Inselstaat Tuvalu zum Beispiel) oder ein Interview mit Christian Drosten führen, aber übers Fliegenfischen und die Trendfarbe der Saison (ein warmer Braunton).
Wir haben Christian Drosten dann tatsächlich angefragt – nachdem wir eingesehen hatten, dass die Pandemie ausreichend offene Fragen hinterlassen hat, um sich in einem Dossier ernsthaft mit ihr zu beschäftigen. Und so spricht unsere Gesundheitsredakteurin Manuela Heim mit Deutschlands bekanntestem Virologen über im Labor erzeugte Viren und warum zu seiner Verwunderung auch 2025 noch immer kein Beleg dafür vorliegt, dass die Pandemie einen natürlichen Ursprung hatte.
In einer langen, sehr persönlichen Reportage erzählt unsere Kollegin Shayna Bhalla von ihrer Long-Covid-Erkrankung, die Anfang 2022 begann, als die Menschen um sie herum langsam wieder in Clubs oder auf Reisen gingen. Mit Anfang 20 musste sie lernen, dass Belastung bedeuten kann, sich die Haare zu kämmen. Und dass sie diese Ungewissheit in ihrem Leben so schnell nicht loswird.
Eiken Bruhn beschäftigte sich während der Pandemie viel damit, was dieses Virus gesellschaftlich so anrichtet – und fragt sich heute, ob sie selbst damals zu vorschnell vermeintliche Lösungen herbeischrieb. Ihr Text ist ein Plädoyer, dem Gegenüber zuzuhören – und wirklich verstehen zu wollen, warum jemand denkt, wie er denkt.
Unsere Kolumne „Starke Gefühle“ übernehmen diese Woche sechs Schülerpraktikant:innen. Sie berichten von techniküberforderten Lehrer:innen, von ausgefallen Skifreizeiten, von Einsamkeit, aber auch von Zusammenhalt trotz Lockdowns. Gleich daneben steht die Antwort auf die Kinderfrage einer Zehnjährigen, ob Corona denn jetzt schlimmer als die Pest war.
Und schließlich erklärt Lukas Heinser, was alles Schönes von der Pandemie geblieben ist. Vom In-die-Armbeuge-Niesen über Desinfektionsspender-Mahnmale bis hin zu „Stand jetzt“ – der Formulierung, die jede mittel- bis langfristige Planung infrage stellt, die uns zeigt: Alles ist Gegenwart, alles kann sich sofort und vollständig verändern.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre, und: Bleiben Sie gesund! Leonie Gubela
Vergleichen lassen sich aber die Zahlen der Todesopfer. Da kommen wir zum nächsten Problem: Man weiß nicht genau, wie viele Menschen durch Corona gestorben sind. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO waren es auf der ganzen Erde rund 7 Millionen. Das sind aber nur die an die WHO gemeldeten Fälle. Forscher:innen schätzen, dass die richtige Zahl zwischen 19 und 36 Millionen liegt.
100 Millionen Tote
Der schlimmste Ausbruch der Pest war vor rund 675 Jahren – wie soll man da erst genaue Angaben machen können? Allerdings sank damals die Zahl der Menschen in Europa in kurzer Zeit um die Hälfte. Allein auf unserem Kontinent sollen wohl etwa 50 Millionen Menschen durch die Pest gestorben sein, weltweit sogar 100 Millionen.
Ganz genau kann das aber niemand sagen. Was die Zahl der Todesopfer betrifft, war die Pest aber wohl ziemlich sicher „schlimmer“ als Corona – vor allem, wenn man bedenkt, dass damals weniger als 400 Millionen Menschen auf der Erde lebten. Heute sind es mehr als 8 Milliarden.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Aber ist die Pest nun auch die schlimmere Krankheit? Unklar! Bei Corona konnten Forscher:innen innerhalb eines Jahres einen Impfstoff entwickeln und so das Schlimmste verhindern. Hätte es das vor 675 Jahren schon gegeben, wären die Auswirkungen der Pest auch weniger schlimm gewesen.
Du siehst: ganz genau lässt sich deine Frage nicht beantworten.
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