Kieler Verfassungsdebatte: Die Götter Norddeutschlands
Endlich soll die Landesverfassung Schleswig-Holsteins einen Gottesbezug bekommen! Bloß welcher ist der wahre Gott? Auf den rechten Pfad führt die taz.
BREMEN/HAMBURG taz | Puh, das ist gerade noch einmal gut gegangen: Fragt man Mormonen und ZeugInnen Jehovas, war es allerhöchste Zeit, dass Schleswig-Holstein sich noch schnell zu Gott bekennt, so kurz vor dem Weltuntergang.
Zugegeben: Angesichts dessen, dass selbst das Grundgesetz des Vatikans vom 26. November 2000 komplett ohne einen Gottesbezug auskommt – sogar ganz ohne Religion –, könnte man die Initiative für ausgemachten Schwachsinn halten, ein höchstes Wesen in eine Landesverfassung einzutragen: Diese soll ja weder für Engel noch für Geister gelten, sondern für Menschen, und zwar für lebendige.
Götter schaffen Aufmerksamkeit
Doch das ist zu kurz gedacht. Denn wenn man davon ausgeht, dass es im Interesse Schleswig-Holsteins liegt, Beachtung zu finden, scheint gerade der Gottesbezug der Verfassung dafür förderlich. Das lässt sich leicht an einigen Beispielen verdeutlichen: Exemplarisch für die Länder ohne Gottesbezug steht das Land Bremen, das niemand je ernst genommen hat.
Im krassen Gegensatz dazu hat Bashir al-Assad im Jahr 2012 Gott in die syrische Verfassung aufgenommen – und kaum ein Land ist seither stärker in den Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit gerückt, es sei denn die Republik Iran, deren ganze Verfassung „im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Gnädigen“ verkündet wurde.
Bloß: Welcher Gott könnte zum Land Schleswig-Holstein passen? Das ist so eine dieser Fragen, über die bereits so mancher Streit entbrannt ist. Die taz.nord empfiehlt, sich einfach nicht auf ein einziges höheres Wesen zu beschränken – und legt dar, auf welche Götter der echte Norden ganz sicher nicht verzichten sollte:
Gestatten: Thor, der Drag God
Mit der Aufnahme von Thor in die Landesverfassung schlüge Schleswig-Holstein mehrere Fliegen mit einem Hammer: Regionalhistorisch wäre die Wahl der wohl in Süderbrarup geborenen Gottheit korrekt, genderpolitisch wäre man mit ihr weit vorne und den Nazis würde man eine Identifikationsfigur rauben.
Denn entgegen der apokryphen Stilisierung zum virilen Haudrauf zeichnen alte Quellen Thor als nahezu metrosexuelle Figur, die zwar cholerisch tut, im Zweikampf aber sogar von älteren Damen besiegt wird und sich gern in Freyas Kleid hüllt - ausdrücklich eine Art Federboa. Den Hammer wiederum lässt sich Thor - ganz wie ein Drag King - in den Schoß legen. Doch, doch: Dieser Gott hat uns noch viel zu sagen!
Nerthus, der Postmaterielle
Zu Nerd, der auch Njörd oder, lateinisch, Nerthus genannt wird, gibt es keine Primärquellen. Durch die Römer aber wissen wir, dass er zwischen Ost- und Nordsee eine Aussteigerexistenz führte: Im blumengeschmückten Planwagen ist der Nerd dort rumgereist, wie ein Zausel im Flower-Power-VW-Bus.
Dazu passt auch, dass Nerds Geschlecht ungewiss ist: Trotz der eindeutig maskulinen Endung von Nerthus bezeichnet ihn Tacitus als "Göttin" und "Mutter Erde", um ihn später wieder als geheimnisvolles, asexuelles Geistwesen, als Numen zu charakterisieren, das auch keinen dauerhaften Besitz ausbildet: Zum Abschluss des Gottesdienstes werde Nerthus feierlich mitsamt Karren und Kühen im See versenkt. Wenn es Nerd nicht schon gäbe, er müsste für eine Verfassung des postmateriellen Zeitalters erfunden werden
Boreas und Euros
Der kritische Blick in den Himmel lässt bereits Heinrich Heine im Nordsee-Zyklus erkennen: "Das sind keine Wolken! / Das sind sie selber, die Götter von Hellas." Kein Wunder, steht doch auch das Stammhaus der griechischen Könige in Glücksburg. Nun würde das vollständige Pantheon die Verfassung des Landes wohl überfrachten.
Energiepolitisch unverzichtbar aber ist die Anrufung der Anemoi, also der Windgötter: Da ist der Norden, also "Boreas, der klarfrierende", wie es im fünften Gesang von Homers Odyssee heißt, von Westen her Zephyros und sein Pendant Notos von Ost. Und, schon allein um Horst Seehofer zu ärgern, der ja gegen den Länderfinanzausgleich stänkert, am allerwichtigsten: der allesbelebende Wind aus dem Südosten. Der trägt den klingenden Namen Euro.
Ein Pfahl tuts auch
in Hauptproblem von Göttern muss verantwortliche Politik beachten: Sie verursachen oft hohe Kosten. Daran, dass es auch billige Varianten gibt, erinnerte jüngst die Band Die Ärzte: Bei einem "Waldspaziergang" - so der Songtitel - sieht das lyrische Ich "ein Stück Holz, das sah heilig aus". Es nimmts "mit nach Haus", schnitzt sich "einen Gott daraus".
In Norddeutschland Ende des Pleistozäns gängige Praxis: Grob behauene Pfähle - zu erkennen sind Vulva oder Penis - als preiswerte Götter ins Erdreich gerammt. Von christlichen Missionaren als Götzen verdammt, sind sie anschlussfähig für die Kult-Praxis Pfahlsitzen - mit der zuletzt der Heidepark Soltau Marketingwirkung erzielte
Der gute Gott und seine Helfer
Bondieu oder auch Bondyé ist das Oberhaupt des Voodoo, einer Religion, die sich aus afrikanischen, islamischen, katholischen und indianischen Elementen zusammensetzt. "Der gute Gott" kümmert sich freilich nicht persönlich um die Gläubigen. Dafür hat er Helferlein, die sich Loa nennen und so zahlreich vorhanden sind, dass Voodoo-Anhänger ihre ganz privaten Loa Racine anbeten: das sind Familien-Loa, die Bondieu Kritik und Wünsche überbringen und manchmal auch direkt in den Körper der Gläubigen kriechen, die daraufhin in angenehme, vollkommen ungefährliche Trance fallen.
Große Gotteshäuser sind beim Voodoo nicht nötig: Bondieus Anhänger teilen sich praktischerweise in überschaubare Gruppen auf, mit denen sie ihre Lieblings-Loa dort anbeten, wo sie gerade möchten - also auch im Büsumer Watt, auf dem Bahnhof Niebüll oder im Freibad Katzheide in Gaarden-Ost.
Wann der Fußballgott Schleswig-Holstein verlassen hat, ist klar: vor 102 Jahren. Da holte Holstein Kiel den letzten Deutschen Meistertitel ins Land, wo heute fußballerisch nur Elend herrscht. Die Kieler kämpfen in der Dritten Liga um den Klassenerhalt, den VfB Lübeck hat es nach zwei Insolvenzen in die fünfte Liga verschlagen. Den ETSV Weiche Flensburg hat ein Betonbauer (!) auf Platz fünf der Regionalliga Nord gehievt. Es ist klar: Der Fußballgott würde dringend gebraucht. Ob er sich per Aufnahme in die Verfassung zur Rückkehr bewegen ließe?
Immerhin, ein paar passable Kicker hat das Land ja hervorgebracht: Leverkusens Flügelflitzer Sidney Sam etwa oder das schlampige Genie "Paddy" Ebert. Und natürlich Bundestorwarttrainer "Andy" Köpke. Den halten in Kiel viele für den leibhaftigen Fußballgott. Worüber, falls das nicht stimmen sollte, der echte Fußballgott so beleidigt sein könnte, dass er lieber südlich der Elbe bleibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen