Keine US-Sanktionen gegen Nord Stream 2: Röhre in die Heißzeit
Nicht nur außenpolitisch bringt Nord Stream 2 Deutschland in die Bredouille. Wer 2045 klimaneutral sein will, braucht keine Pipeline mehr.
E s klingt nach dem vier Jahre lang ersehnten deutsch-amerikanischen Frühling – und der ebenso dringend notwendigen Neujustierung der transatlantischen Beziehungen: Washington will vorerst von Sanktionen gegen Nord Stream 2 absehen. Dies sei im „nationalen Interesse“ der USA, heißt es. Also dürften bald die letzten Kilometer der fast fertigen Gasröhre in der Ostsee verlegt werden.
Doch das heißt noch nicht Vollzug. Wichtig ist das Wörtchen „vorerst“. So kann sich das US-Außenministerium bereits in drei Monaten neu zum Gasprojekt positionieren – je nach Gefechtslage in der amerikanischen Innenpolitik. In bereits 90 Tagen steht der nächste Sanktionsbericht des State Department an den Kongress an. Der Druck der Republikaner auf die Regierung von Präsident Joe Biden dürfte indes wachsen.
Der Demokrat weiß zudem sehr wohl um die geopolitische Dimension von Nord Stream 2 – und dass Appeasement gegen einen wie Wladimir Putin wenig bringt. Wahrscheinlich ist es Biden auch wichtiger, sich mit Europa gegen die für ihn viel größere Bedrohung zusammenzuraufen – China.
Die Riesenröhre muss da zurückstehen. Vorerst. Den Streit ums Gas hat Biden also nur auf den Stapel „Wiedervorlage“ gelegt. Um Berlin bei Gelegenheit weiter mit Sanktionen zu drohen.
Bundesregierung muss Projekt stoppen
Diese machtpolitische übersieht die gewichtigere Frage des Klimas. Wer wie Deutschland 2045 klimaneutral sein will, benötigt keine Pipeline mehr, die dieses Ziel konterkariert. Die Deutschen müssen auch ohne Nord Stream nicht frieren. Außerdem soll die Röhre auch nach 2050 Erdgas nach Deutschland schleusen. Das brächte 100 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich im Jahr, knapp ein Siebtel der deutschen Emissionen, klimaschädliches Methan aus der Förderung nicht mitgerechnet.
Deshalb muss die nächste Bundesregierung das Projekt stoppen – wenn auch hohe Entschädigungen drohen. Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock spricht aber nur wachsweich davon, Nord Stream 2 die „politische Unterstützung zu entziehen“. Außenpolitisch bringt die Röhre Deutschland in die Bredouille, klimapolitisch Richtung Heißzeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend