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taz FUTURZWEI

Keine Hitzepolitik, keine Klimapolitik Politiker mögen’s heiß!

Alte, Arme, Kranke, Schüler: Jeder muss in Deutschland selbst sehen, wie er mit der zunehmenden Hitze zurechtkommt. Über ein Totalversagen der Politik.

Einer, der die Hitze gut zu vertragen scheint: Bundeskanzler Merz ist bei der Klimapolitik ein Totalausfall Foto: picture alliance/dpa | Christoph Soeder

taz FUTURZWEI | Seit 1951 haben die Sommertage mit Temperaturen über 30 Grad zugenommen. Dennoch staunen wir jedes Jahr wieder, erst witzelnd, dann schwitzend, über die 30 Grad als dem neuen Normal von Mitte Juni bis Ende August.

Wenn die Temperaturen dann wieder erträglich sind, werden die Hitzefolgen vergessen.

Der Anstieg der Übersterblichkeit, die jährlich zunehmenden Einweisungen von vornehmlich Alten in die Krankenhäuser wegen Hitzefolgen-Erkrankungen, die Schließung von Kindergärten und das Hitzefrei in den Schulen mit verzweifelten Eltern, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder versorgen sollen, die Produktionsausfälle und Kostensteigerungen in der Wirtschaft wegen der Hitze, die Hitzeschäden an der öffentlichen Infrastruktur, der sich ausbreitende Wassermangel wegen sinkender Grundwasserpegel, die trotz immer höherer Eintrittspreise immer volleren Schwimmbäder und vieles andere – alles vergessen.

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Tenor: Was soll’s, so ist das eben mit dem Wetter, mal zu heiß, dann wieder zu kalt, mal zu trocken, dann wieder zu nass, mit Waldbränden, vertrockneten Feldern und Ernteausfällen.

Die Gesellschaft freut sich schon auf den nächsten Sommer.

Keine Mehrheit für die Bekämpfung von Klimawandelfolgen

Und der Klimawandel? Wie jüngste Umfragen zeigen, gibt es im Moment keine Mehrheiten für eine staatlich gesteuerte Klimapolitik. Unsere Nachbarn rund ums Mittelmeer kommen doch auch mit der Hitze zurecht.

Jetzt muss eben jeder sehen, wie er damit zurechtkommt. Die Grünen geben Verhaltens-Tipps, die die Hitze erträglich machen sollen: Angepasste Arbeitszeiten, längere, bezahlte Pausen, Verschattung und Sonnenschutz, Ventilatoren und kostenlose Bereitstellung von Getränken durch die Arbeitgeber.

Aber ein umfassendes Klimapolitik-Konzept, eine daran ausgerichtete Stadt-, Raum- und Regionalplanung, daran angepasste pflichtige Regelungen im Baurecht, eine den Verbrauch und die Sicherung der Ressourcen regulierende Wasserpolitik in einem Wasserhaushaltsgesetz, also politische Vorschläge für die Anpassung unseres alltägliches Leben auf die Klimawandel-Folgen gibt es auch von den Grünen nicht.

Beim Hitzeschutz fehlt es an Mitteln

Für den Hitzeschutz zuständig sind die Länder, hier gibt es seit 2020 einschlägige Landesgesetze und vom Bundesgesundheitsministerium seit 2023 den „Hitzeschutzplan für Gesundheit“.

Die Vorgaben bleiben indes wirkungslos, weil sie kaum rechtlich verpflichtende Regelungen enthalten. Sie sehen auch keine öffentlichen Mittel vor, mit denen die Anpassung der Infrastrukturen an den Klimawandel, vor allem durch die Kommunen, finanziert werden könnte.

Jeder muss selbst sehen, wie er mit der Hitze zurechtkommt.

Bild: privat
Udo Knapp

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Die Klimaanlagen-Industrie hat Hochkonjunktur. Aber auch hier bremst der Mangel an klugen öffentlichen Vorgaben deren Einsatz aus. Für Eigentümer von Wohnungen und Einfamilienhäusern ist ihr Einsatz als Teil eines Gesamtkonzeptes aus Energie-Erzeugung, Wärmepumpen und Versorgung mit Wärme und Kälte nicht schwierig.

In Mietshäusern dagegen wird weiter geschwitzt. Eine Förderung von Gesamtkonzepten für Eigenenergieerzeugung, Wärmepumpen und an sie angepasste Klimaanlagen in Mietshäusern und deren Wohnungen gibt es nicht.

Ein Förderprogramm für alle Kommunen aus dem großen Schuldentopf der Bundesregierung für den Einbau von Klimaanlagen in allen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Schulen etcetera, die mit selbst gewonnener Energie aus Solartechnik und Wärmepumpen betrieben werden, gibt es ebenso wenig wie Förderprogramme für den Umbau der Städte zum Schutz vor Hitzewellen.

Die soziale Unwucht

Ein Ergebnis dieses Politikversagens ist die jetzt direkt zu erlebende Spaltung entlang der Reichtums-Verteilung. Wer nur zur Miete, mitten in den Beton- und Asphaltwüsten wohnt, auf öffentliche Krankenhäuser und anderes angewiesen ist, muss weiter schwitzen.

Aber nicht nur das. Das Fehlen einer durchgetakteten Klima- Energie- und Wärme- beziehungsweise Kältepolitik trifft vor allem die Alten, die Kranken, die Schüler, die Kinder und andere, die in volatilen Verhältnissen leben. So müssen, nur mal als Beispiel, die etwa 800.000 Pflegebedürftigen, die heute in Pflegeheimen leben, ohne jeden Hitzeschutz auskommen.

In den meisten Krankenhäusern, Schulen oder Kindergärten gibt es keine baulichen Vorrichtungen für den Hitzeschutz und die Anpassung an den Klimawandel.

Vorbilder der Klimaanpassungspolitik

Dabei ist Klimaanpassungs-Politik im öffentlichen Raum nun wirklich kein Hexenwerk und in anderen europäischen Hauptstädten schon Alltag.

In Kopenhagen wird in einem auf Jahre ausgelegten Plan am Umbau der Stadt in eine Schwammstadt zur Sicherung des Grundwasserspeichers gearbeitet. Asphaltierte Flächen, überbreite Straßen werden zurückgebaut, mit für Versickerung geeigneten Oberflächen ausgestattet oder durch Grünflächen ersetzt.

In Paris gibt es, nach den Hitzekatastrophen vor einigen Jahren, in immer weiteren Teilen der Stadt Fahrverbote für fossil betriebene Autos, um deren Wärmeeintrag ins Stadtklima zu reduzieren. Ein Meldesystem für alle, die Hitzehilfen brauchen, wurde eingerichtet, in öffentlichen Gebäuden werden gekühlte Aufenthaltsräume bereitgestellt.

In Warschau werden durch Abriss und Umbau, Straßenrückbau, Parkplatzentsiegelung und Fahrverbote kühle Luftschneisen durch die ganze Stadt eingerichtet.

In Wien werden für neue und alte Stadtbäume breit ausgelegte Wurzelräume geschaffen, damit sie das Oberflächenwasser halten und ihren Anteil am Abkühlen der Stadt erfüllen können. Stadtweit werden kostenfreie Trinkwasseranlagen aufgestellt.

In Essen wird die Stadt als hydrosozialer Raum neu gedacht. Neben der versickerungssicheren Schwammstadt durch Entsiegelung, sollen Flüsse und Bäche an die Oberfläche zurückgeholt und deren Ufer zu öffentlichen Stadträumen mit Parks umgestaltet werden.

In Berlin dagegen geht es mit der CDU/SPD Regierung andersrum. Das Tempelhofer Feld, eine echte Hitzeoase, soll bebaut, Radwege zurückgebaut und Geschwindigkeitsbegrenzungen aufgehoben werden.

Es erstaunt schon, um es vorsichtig zu formulieren, dass es in der aktuelle Hitze-Phase noch nicht mal eine von der Opposition beantragte aktuelle Stunde zur Hitzepolitik der Bundesregierung im Bundestag gibt, während das Schleifen der durchaus erfolgreichen Klimapolitik der Ampel weitgehend widerspruchslos hingenommen wird.

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