Kein Platz für Obdachlose: Schule zieht Zaun gegen Obdachlose
Ein Gymnasium in Hamburg-St.Pauli hat einen Obdachlosenschlafplatz auf dem Gelände mit einem Zaun abgesperrt. Anwohner protestieren dagegen.
Schulleiter Frank Berend ist erkennbar angefasst wegen der Kritik. „Wir haben das Problem, dass hier offen Drogen konsumiert werden“, berichtet er fröstelnd auf der Straße. Es sei Crack geraucht und Heroin aufgekocht worden. Der Platz sei vermüllt, in den Eingangsbereich der Schule sei gepinkelt worden. Die Fünft- und Sechstklässler hätten Angst, auf dem Weg zum Spielplatz hier vorbeizugehen.
„Natürlich sind trockene Stellen, wo man schlafen kann, dünn gesät“, räumt der Schulleiter ein. Deshalb habe er auch dafür plädiert, die obdachlosen Menschen am Rande des Schulgeländes zu dulden, nachdem die Schule zum Winterhalbjahr 2020 hierher gezogen war. „Die Menschen dort vertreiben, wollte ich in der kalten Jahreszeit nicht“, schrieb Berend den Eltern in einem Brief.
Das sei zunächst auch gut gegangen, doch nach einigen Wochen habe es zunehmend Streit und Pöbeleien unter den dort lebenden Obdachlosen gegeben. Nicht akzeptabel sei, dass der Hausmeister tätlich angegriffen wurde. Der Mann hatte Drogenkonsumenten aufgefordert, den Platz zu verlassen. Das brachte ihm einen Faustschlag gegen den Kopf und eine Einlieferung ins Krankenhaus ein.
Eine Koexistenz funktioniere nicht
Immer wieder hätten er selbst und der Hausmeister „Wege gesucht, wie eine Koexistenz vielleicht möglich sein könnte“, schildert Berend. Sie hätten die Menschen vor Schulbeginn geweckt und gebeten zu gehen. Bei Drogenkonsum hätten sie die Polizei informiert. Es habe sich aber gezeigt, dass eine Koexistenz auf der Basis einfacher Regeln mit den oft suchtkranken Menschen nicht funktioniere.
„Ihnen einfach diesen Platz zuzubilligen, löst das Problem der Menschen nicht“, schreibt Berend. Sie benötigten dringend Einzelfallbetreuung, Suchtberatung, Hilfe bei der Wohnungssuche. „Dies kann die Schule nicht leisten“, sagt Berend. Sie sei zuallererst für ihre Schülerinnen und Schüler verantwortlich.
Frank Berend, Schulleiter desStruensee-Gymnasiums
„Ein Zaun kann nie eine Lösung sein und ist ein schlimmes Signal“, sagt Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter bei Obdachlosenzeitung Hinz&Kunzt, einem Projekt der Diakonie. „Obdachlose zu vertreiben – das geht nicht.“ Karrenbauer sieht in dem Zaun aber auch einen Hilferuf. In allen Stadtteilen nehme die Verelendung der Menschen auf den Straßen zu. „Das führt immer öfter zu Konflikten mit Anwohner:innen – und das ist kein Wunder“, sagt er.
Im Fall des Struensee-Gymnasiums äußert sich der sichtbar gewordene Protest für die Obdachlosen gegen die Schule. Ein langes Transparent der Ultras St. Pauli forderte: „Weg mit den Zäunen!“ Jemand machte sich auch ans Werk und öffnete ein Element des Zauns.
Schulleiter erklärt sich gesprächsbereit
Schulleiter Berend will die Fläche in Zukunft nutzen, um Fahrradständer aufzubauen. Solche gibt es bereits auf der anderen Seite an der Einfahrt zum Schulhof, auf ähnliche Weise eingezäunt wie die Arkaden. Am gestrigen Nachmittag wollte er sich mit Vertretern von Hinz&Kunzt und Anwohnerinitiativen treffen, um deren Meinung zu hören. „Ich bin da sehr gesprächsbereit“, versichert er. Zumal die Befassung mit Obdachlosigkeit ja auch ein Bildungsthema sei.
Das Dilemma des Struensee-Gymnasiums wirft ein Schlaglicht auf die Situation in der Großstadt. Die Sozialbehörde geht von rund 7.000 Wohnungslosen in Hamburg aus. 5.000 davon sind öffentlich-rechtlich untergebracht, 2.000 leben auf der Straße, sind also obdachlos. Für sie gibt es bisher nur eine Unterkunft im Rahmen des Winternotprogramms, das aber nicht von allen Obdachlosen angenommen wird.
„Städtisch finanzierte Straßensozialarbeiterinnen und -arbeiter suchen obdachlose Menschen gezielt auf, um sie auf Angebote hinzuweisen“, teilt die Sozialbehörde auf taz-Anfrage mit. In Hamburg gebe es das ganze Jahr über ein breit aufgestelltes umfangreiches Hilfesystem für obdachlose Menschen.
Karrenbauer findet, dass das nicht reicht. Es sei an der Zeit, dass die Stadt dezentrale Unterkünfte schaffe, „die so ausgestaltet sind, dass die Menschen diese auch annehmen“, sagte Karrenbauer. Dafür müssten alle Beteiligten an den Tisch.
Ein Anfang könnte der „Housing First“-Ansatz sein, bei dem Menschen zunächst mit einer eigenen Wohnung versorgt werden, bevor ihre anderen Probleme angegangen werden. Ein Projekt mit 30 Plätzen hat der Senat gerade ausgeschrieben. Es soll in diesem Jahr starten.
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